Stress mit Frisuren: Dreads und andere Krankheiten

Mein Mann und meine Tochter finden meine Dreadlocks unmöglich. Ich selbst mag sie sehr und hoffe, dass sich niemand davon angegriffen fühlt.

Die Autorin mit ihren Dreadlocks von hinten fotografiert

Die Frisur der Autorin gefällt nicht allen Foto: Privat

Während der letzten fünf Jahre habe ich fast ausschließlich über das Thema Krankheit geschrieben. Erst, weil es mich interessiert hat, dann wegen Corona und dann, weil meine Tochter selbst schwer krank wurde.

Nun geht es Olivia viel besser, und ich kann mich wieder unwichtigeren Dingen zuwenden. Toll! Zum Beispiel dem Thema Frisuren. Bei mir zu Hause würde jedoch niemand so weit gehen, meine Haare als Frisur zu bezeichnen. Meine Tochter nennt meine Dreadlocks nur „deine Krankheit“ und mein Mann bezeichnet sie als „das Gestrüpp“.

In letzter Zeit wurde ja reichlich über die politische Korrektheit von Dreadocks gemutmaßt. Was gestern noch ein links-alternatives Statement gegen Rassismus und für Weltfrieden und so war, ist heute schon Kulturklau. Unklar bleibt allerdings, ob hier bei Afrikanern, Hindus, indigenen Völkern Mittelamerikas, ­islamischen Derwischen oder bei den Höhlenmenschen direkt geklaut wurde.

Für mich sind es einfach die Haare, die mir gefallen. Trotzdem hoffe ich wirklich, dass sich niemand dadurch verletzt fühlt. Denn natürlich können Dreadlocks auch ein Zeichen politischen Widerstandes sein. Oder aber auch ein Zeichen für jahrelang ungeschnittenes und ungekämmtes Haar. Dann entsteht allerdings meist eher ein dickes Filzknäuel am Hinterkopf und nicht viele einzelne Dreads.

Ja, man kann Dreads waschen

Wenn ich ein FAQ über mein Gestrüpp ­schreiben müsste, käme nach „Und die hast du dann einfach nicht mehr gekämmt?“ die Frage „Kann man das eigentlich waschen?“. Ja, man kann. Es ist ein bisschen, als würde man einen dicken Wollpulli waschen, nur dass es zum Glück nicht nach nassem Schaf riecht. Und das drittmeist Gefragte ist: „Weißt du, wo man hier Gras kaufen kann?“ Nein, weiß ich nicht.

Wenn ich die Pros und Kontras meiner „Krankheit“ aufschreiben sollte, wären die klaren Vorteile die Schönheit von Dreads, ihr mega Volumen und ihre abschreckende Wirkung auf Rechte und Spießer. Zu den Nachteilen zählt, dass lange Dreads ziemlich schwer sind, ewig zum Trocknen brauchen und wenn man nachts auf ihnen liegt, ist es in etwa so gemütlich, als würde man auf einer Fußmatte schlafen. Außerdem mag mein Mann sie nicht. Ich glaube, er hat Haarneid. Seine Glatze ist nämlich nicht etwa eine von buddhistischen Mönchen oder Neonazis geborgte Trendfrisur, sondern lediglich die Folge mangelnden Haupthaars.

Und versteht mich nicht falsch: Ich fände es ganz und gar nicht in Ordnung, wenn etwa H&M ohne Entlohnung oder Absprache zum Beispiel Aborigines-Designs auf T-Shirts druckt und millionenfach verkloppt. Aber von weißen, linken Spießern auf der Straße wegen meiner Dreads angepöbelt zu werden, fände ich auch nicht so schön.

Meine aus Ghana stammende Freundin lacht übrigens laut auf und gibt mir einen Klaps auf den Hintern, wenn ich sie nach Begriffen wie „Kulturelle Aneignung“ frage. Der Rassismus, den sie täglich erlebt, ist ein ganz anderer. „Entspannt euch mal“, sagt sie zu mir.

Recht hat sie. Wie kulturverkrampft wird das bitte, wenn es so richtig losgeht mit Fragen wie: Wer darf welche Musik machen, wie tanzen oder kochen, welche Heilmethoden anwenden oder sich welcher spirituellen Richtung anschließen? Wer darf welche Kleidung tragen, welche Deko aufhängen oder welche Sportart machen? Und was wird dann eigentlich aus den vielen Menschen auf der Welt, die vom Kunsthandwerk leben und ­­aus den vielen Yogalehrerinnen bei uns?

Und während wir auf Social Media pseudointellektuell über Rassismus herumlabern, statt wirklich mal mit unserem privilegierten Arsch hochzukommen, um uns in einem der vielen sozialen Projekte zu engagieren, wählt jeder Zehnte die AfD. Und wetten, dass keiner von denen Dreadlocks trägt? Wir sollten echt mal unser Feindbild klarkriegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.