piwik no script img

Freie Marktwirtschaft versus SozialismusZurück zur Planwirtschaft

Gastkommentar von Oliver Roßmannek

Die zentrale Planung von Großkonzernen ist heute effizienter als in der Vergangenheit. Moderne Informationstechnologien sind mit ein Grund dafür.

Auch die Deutsche Post nutzt Optimierungsalgorithmen bei der Datenverarbeitung Foto: Jens Kalaene/dpa

S pätestens mit dem Untergang der Sowjetunion 1991 endete die Utopie, dass eine sozialistische Wirtschaftsordnung dauerhaft tragfähig ist. Es war nicht mehr zu leugnen, dass eine Planwirtschaft dermaßen ineffizient und innovationsfeindlich ist, dass sie nur mittels Unterdrückung und autoritärer Regime überleben kann. Wäre es ein Boxkampf, hätte die Marktwirtschaft durch K. o. gewonnen.

Folglich waren privates Eigentum und wirtschaftliche Steuerung über Marktpreise die Mittel der Wahl für erfolgreiche Staaten. Das sozialistische China verwandelte sich unter Deng Xiaoping in den 1990ern schleichend in eine Marktwirtschaft und wurde quasi zum Synonym für Wirtschaftswachstum. Sozialistische Länder ohne marktwirtschaftliche Reformen wie Kuba oder Nordkorea versanken dagegen in wirtschaftlicher Stagnation. Die Geschichte ist damit allerdings nicht zu Ende.

Selbst Rocky Balboa verlor seinen ersten Titelkampf, trat aber schließlich erfolgreich zum Re-Match an. Die Planwirtschaft kommt zurück. Und ganz wie Rocky könnte sie am Ende gewinnen. Wieder ist China Vorreiter, diesmal getrieben von den diktatorischen Allmachtsfantasien des Xi Jinping. Im Geiste Maos initiierte Xi in den letzten Jahren massive Programme, um junge großstädtische Akademiker auf dem Land anzusiedeln.

Und noch immer erholt sich die chinesische Tech-Branche von den harten Regulierungsmaßnahmen, die Xi ihr in den letzten Monaten auferlegte. Auch wenn das Ergebnis dieses „Großen Sprungs in die Vergangenheit“ noch nicht feststeht und die Reformen selbst innerhalb der kommunistischen Partei umstritten sind, könnte der Kurs Richtung Planwirtschaft langfristig klappen.

Oliver Roßmannek

ist Organisationswissenschaftler und lehrt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

China wieder in Vorreiterrolle

Betriebswirtschaftlich lässt sich das damit erklären, dass eine zentrale Planung in großen Konzernen und Organisationen heute weitaus effizienter ist als noch einige Jahrzehnte zuvor. Eine gängige Annahme unter Ökonomen und Managern ist, dass die Performance von Konzernen leidet, wenn zu viele verschiedene Geschäftsbereiche in einem Konzern verwaltet werden. Die steigende Komplexität könne die zentrale Planung in einem Konzernvorstand schnell überfordern, glaubt man.

Nicht ohne Grund spaltet der Siemens-Konzern seit 2010 viele Geschäftsbereiche ab. Nun zeigen aktuelle Ergebnisse einer großen wissenschaftlichen Vergleichsstudie, dass diese gängige Annahme immer weniger stimmt. Ergebnisse aus den letzten 50 Jahren indizieren, dass Konzerne mit vielen Geschäftsbereichen immer weniger unter dieser Struktur leiden.

Ein maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung sind Fortschritte in den Organisationswissenschaften. So hat sich in vielen Konzernen die Nutzung von internen Märkten durchgesetzt. Mit Simulation einer Marktwirtschaft können einzelne Teile eines Konzerns miteinander Handel treiben und marktübliche Preise nutzen, also wären sie unabhängige Unternehmen. Damit reduziert sich die Komplexität für den zentralen Unternehmensvorstand und die Effizienz von Marktmechanismen kommt dem Konzern zugute.

Ein anderer Treiber ist die verstärkte Anwendung von organisationspsychologischen Erkenntnissen. Traditionell haben Konzerne mit einer relativ geringen Motivation ihrer Mitarbeiter zu kämpfen. Kleine selbstständige Unternehmer sind dagegen höher motiviert, da sie sich abseits von Hierarchien gut selbst verwirklichen können und außerdem für den eigenen Wohlstand arbeiten.

Happiness Manager steigern die Motivation

Jedoch gelingt es Konzernen immer besser, Mitarbeiter zu motivieren, sei es durch variable Vergütungen, verheißungsvolle Karriereleitern oder eine sinnstiftende Unternehmensvision. Auch kommen immer mehr Happiness Manager zum Einsatz für den Stressabbau der Mitarbeiter und die Steigerung des Engagements. Große Staatskonzerne müssen nicht zwangsweise innovationshemmend sein.

Konzepte wie das sogenannte Intrapreneurship ermöglichen es Mitarbeitern, eigene Produkte und Geschäftsmodelle innerhalb der Konzernstrukturen zu entwickeln. So hat allein die Deutsche Bahn über 75 Intrapreneurship-Teams, die die Digitalisierung der Branche vorantreiben sollen. Andere Staatskonzerne wie Airbus können überhaupt erst so innovativ sein, da sie auf die Finanzmittel und politische Unterstützung von Staaten bauen können.

Großflugzeuge sind so kapitalintensiv, dass neue private Investoren kaum in den Markt einsteigen können. Natürlich erleichtern auch moderne Informationstechnologien eine zentrale Planung, selbst in Staatskonzernen. Die Deutsche Post nutzt längst Optimierungsalgorithmen und Methoden zur Verarbeitung von Big Data, um die Datenströme effizient zu nutzen und die Komplexität der Logistikketten zu bewältigen. Interessanterweise sind dabei Konzernstrukturen oftmals Marktstrukturen überlegen.

Lange Zeit galt der Markt als Instrument zur Bewältigung komplexer Systeme, da die Preissignale die Marktteilnehmer wie eine „unsichtbare Hand“ lenkten. Eine zentrale Planung vermochte das nicht. Leistungsfähige Rechenzentren können heutzutage aber selbst gigantische Datenmengen verarbeiten und Menschen adäquat koordinieren. Und das geht einfacher in Großkonzernen, da Daten innerhalb der Konzerne verhältnismäßig einfach geteilt werden können. Eine Vielzahl von unabhängigen Unternehmen zum Teilen von Daten zu bewegen, ist dagegen weitaus schwieriger.

All dies führt sicherlich nicht dazu, dass wir morgen in einer Planwirtschaft oder gar im Sozialismus leben. Aber es erleichtert Staaten wie China, zumindest teilweise zu ihren ideologischen Wurzeln zurückzukehren. Und diese Entwicklung ist letztendlich auch ein Gegenargument zur Privatisierung von Staatsunternehmen in demokratischen Marktwirtschaften. Wenn Staatskonzerne wie die Deutsche Bahn immer effizienter werden, reduziert sich auch der Nutzen der Privatisierung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Der 'Sieg' des Kapitalismus über ein staatsgelenktes sozialistisches System lässt sich nur aus der Historie erklären. Insbesondere, wenn jetzt festgestellt wird, dass zu große Unternehmen eben doch nicht so überlebensfähig sind selbst in einer freien Marktwirtschaft. Zum Beispiel, wenn die Rohstoffe, auf deren günstigen Preisen ja ein großer Teil der Wettbewerbsfähigkeit beruht (einer Art Neokolonialismus, den Putin ja gerade abbremst), teurer werden. Im 'freien' System gewinnt der, der sich die besten Arbeitsbedingungen schaffen kann, am besten ausbeutet und gleichzeitig damit eine Vorherrschaft auf dem Markt erreichen kann, auch wenn im verschärften Wettbewerb ähnlich starker Unternehmen die Profite kleiner werden. Nebenkosten wie Umwelt, Klima oder Müll werden nicht eingerechnet, weil sie der Wettbewerbsposition schaden. Auch wenn in offenen Gesellschaftssystemen durch politische Massnahmen Grenzen gezogen werden konnten, ändern konnte die Politik aber nichts daran, dass sie über eine Globalisierung in ihrer Wirkung abhängiger geworden ist und wir gerade feststellen, dass die Entfesselung der Produktivkräfte die Ursache für die Klimakastrophe sind und im Prinzip sixh ein 'entweder-oder' System herausgebildet hat, das zum Beispiel Habeck daran hindert, wirksam die Klimakastrophe zu bekämpfen, weil er damit viele inzwischen zu systemabhängige Existenzen in Frage stellt. So fortschrittlich für viele Unternehmen der Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch Einsatz von Technolohie und IT gewesen sein mag, diese Veränderungen sollten eben nicht Privatinteressen dienen, sondern allen Beteiligten zu Gute kommen, einem Ziel, das einem kapitalitisch organisiertem Markt widerspricht. Aufzuarbeiten wäre, wie sich die Abhängigkeiten in den 'sozialistisch' bezeichneten Ländern mit einer von (nicht qualifizierten) Parteigängern gelenkten Ordnung zu einer nachhaltig und auf Mitbestimmung beruhenden am Gemeinwohl orientierten Gesellschaftsform verändern liesse.

  • Immer das Problem mit den reißerischen Überschriften…



    China ist nur dann ein Beispiel für den Erfolg der Planwirtschaft, wenn man den Wachstumstreiber des privaten Sektors als Teil des Plans sieht. Man könnte alternativ formulieren, dass in China ein neues Modell versucht wird: der Erfolg durch Kontrolle.

  • Wenn Unternehmen planen, dann kurzfristig, weil sie den Plan immer wieder an den Markt anpassen.

    Planen kann die Gesellschaft, oder in China ein Diktator, wo es hingehen soll und der Staat macht Gesetze, die den Markt dann steuern.

  • Hmm, überzeugt mich nicht.



    Das Wesen von Planwirtschaft und Marktwirtschaft ist doch nicht WIE in einem Betrieb geplant wird, sondern wie eine VOLKSWIRTSCHAFT geplant wird.

    Preissetzung, Inolvenz, U.gründung, Profitinteresse usw. sind Marktwirtschaft. Ob die Unternehmen zentral planen oder nicht ist wirklich egal.

    • @GregTheCrack:

      Die interessante Frage ist, ob neuere informationstechnische Entwicklungen es erlauben würden, die demokratische Planung ganzer Volkswirtschaften, bzw. der globalen Ökonomie, mit guten Ergebnissen zu bewerkstelligen, also, ob man bestimmte Methoden und Mechanismen auch für eine kommunistische/sozialistische Ökonomie nutzen könnte. Vielleicht als eine Art Hybridökonomie, in der es Elemente von Plan und Markt gibt, bzw. nur noch eine Art simulierte Märkte, aber kein privatwirtschaftliches, kapitalistischen Wirtschaften mehr. Spannende Gedankenspiele und Debatten eröffnen sich.

  • Bei all dem sollte man aber nicht vergessen, dass die Inspirationsquelle der 'sozialistischen' Planwirtschaft eine erzkapitalisische war, war sie doch der Versuch die Produktionsweise des Fordismus in der jeder Handgriff geplant und auf die Sekunde durchgetaktet war von der Fabrik auf das gesamte Wirtschaftssystem zu übertragen. Alles in Allem deuten die gegenwärtigen Entwicklungen wie 'Industrie 4.0', 'Production-on-Demand', ... eher auf ein Hybridmodell von Plan und Markt hin als auf ene Rückkehr zum 5-Jahresplan.

  • Zum Thema und dem Verfasser empfehle ich insbesondere das sehr kluge Vorwort aus dem Buch:



    "Der Sozialismus der Zukunft, Interventionen" von Thomas Piketty 2022.



    www.thalia.de/shop...etails/A1062012733