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Russische Verluste im UkrainekriegMoskaus Aderlass

Die USA schätzen die Zahl der getöteten oder verwundeten russischen Soldaten auf bis zu 80.000. Zugleich erhöht Washington seine Militärhilfe für Kiew.

Ukrainische Soldaten verladen die Leichnamen getöteter russischer Soldaten in einen Kühlwaggon Foto: Efrem Lukatsky/ap

Berlin taz | Erstmals hat das US-Verteidigungsministerium in Washington offiziell seine Schätzungen zu russischen Opferzahlen in der Ukraine genannt. Man gehe von „70.000 bis 80.000“ getöteten oder verwundeten russischen Soldaten seit Beginn des russischen Einmarsches am 24. Februar aus, erklärte Unterstaatssekretär Colin Kahl bei einem Briefing im Pentagon am Montag. Die Zahlen seien „bemerkenswert“ und es handele sich um den „intensivsten konventionellen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg“.

Rund 190.000 russische Soldaten sollen nach US-Erkenntnissen am 24. Februar am Einmarsch in die Ukraine beteiligt gewesen sein – 140.000 davon von außen und 50.000 weitere, die bereits vor Ort waren, etwa im Donbass und auf der Krim.

Die laufende ukrainische Zählung gefallener russischer Soldaten erreichte bis Montagabend demnach 42.340; dazu müssen Verwundete gezählt werden. Offizielle russische Angaben zu den eigenen Verlusten gibt es schon seit Monaten nicht mehr.

Zu ukrainischen Opferzahlen gibt es keine offiziellen Angaben. Vor wenigen Tagen war ein angeblich geleakter Bericht des ukrainischen Generalstabs im Umlauf, der von 191.000 getöteten oder verwundeten Soldaten auf ukrainischer Seite spricht; es könnte sich allerdings auch um Desinformation handeln.

Keine Kriegsziele erreicht

Vor allem aus den sehr heftig umkämpften Kriegsfronten im Donbass, im Osten der Ukraine, wird regelmäßig von beiden Seiten berichtet, dass nur Bruchteile der ursprünglichen Truppenstärke von Offensivaktionen zurückkehren.

Auf die Frage, wie lange Russland diese Verlustraten aushalten kann, sagte US-Unterstaatssekretär Kahl am Montag, dies hänge von den Entscheidungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin ab. Keines seiner ursprünglichen Kriegsziele habe Russland erreicht, und die russischen Offensivaktionen würden immer schwächer. Dazu habe wesentlich die Lieferung von Raketensystemen aus dem Westen an die Ukraine beigetragen, die mit Präzision und größerer Reichweite russische Ziele hinter den Frontlinien träfen.

In der Ostukraine, so Kahl, „hat sich die Lage im Wesentlichen stabilisiert“. Der Fokus der Kampfhandlungen „verlagert sich nach Süden, weil die Ukrainer beginnen, dort Druck auszuüben und die Russen ihre Kräfte dorthin verlagern müssen“. Gemeint sind die Regionen Cherson und Saporischschja. „Jetzt ist die Front im Osten und zunehmend im Süden. Wir müssen die Fähigkeiten, die etwas bringen, in einem dafür relevanten Zeitrahmen liefern.“

Ebenfalls am Montag bewilligte das US-Verteidigungsministerium sein achtzehntes und nach eigenen Angaben bisher umfangreichstes militärisches Unterstützungspaket für die Ukraine. Darin ist vor allem neue Munition für die bereits mehreren hundert aus den USA gelieferten Himars-Mehrfachraketenwerfersysteme vorgesehen. Insgesamt betrage die US-Militärhilfe für die Ukraine seit dem russischen Angriff nunmehr 9,1 Milliarden US-Dollar.

Auch andere Länder planen eine Ausweitung ihrer militärischen Unterstützung: Am 11. August ist dafür eine Geberkonferenz in Kopenhagen geplant, an der vor allem nord- und nordosteuropäische Länder teilnehmen sollen, aber auch Großbritannien und Deutschland, wie das Verteidigungsministerium in Kiew mitteilte. Die Kopenhagener Konferenz soll das bestehende Ramstein-Format, auf dem sich die Unterstützer der Ukraine absprechen, um die Komponente der langfristigen Unterstützung ergänzen. Deutschland werde dort eine „etwas breitere“ Unterstützung verkünden, die „stabil und kontinuierlich“ sein werde, wurde eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums zitiert.

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5 Kommentare

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  • Ich möchte eine Sache herausstreichen, die die Fragwürdigkeit der geschätzten Zahlen verdeutlicht. Dabei hege ich keine weitere Absicht, will niemanden er Lüge bezichtigen usw. ich will nur zeigen, dass die Zahlenschätzungen leider nicht als verlässlich angenommen werden können.

    Das Argument sind Schätzungen der Vergangenheit. Bereits einen Monat nach dem Beginn des Krieges gab es eine NATO-Schätzung: "bis zu 40.000" russische Soldaten seien "insgesamt getötet, verwundet, gefangen genommen worden oder werden vermisst". Das ging seinerzeit auf NATO-Quellen und das "Wall Street Journal" zurück.

    Nehmen wir die Zeitachse: Das war nach 1 Monat Krieg, heute haben wir 5 Monate abgeschlossen. Heute sind die Zahlen hier die von bis zu 80.00 getöteten oder verwundeten Soldaten sprechen. Da der Unterschied in der Erhebung wohl gefangene und vermisste Soldaten ausklammert (wenn die Zahlen hier wirklich nur das umfassen), müssten die Zahl wenn diese einbezogen wären etwa bei 5* 40.000 Soldaten = 200.000 Soldaten stehen, wenn die Rate an Verlusten konstant geblieben wäre.



    Wir müssen zweitens identifizieren, dass nur die Gefangenenrate eine wichtige offene Größe darstellt, da Vermisste relativ schnell in die Statistik "Tote" aufgehen müssen. Nun ist aber nichts darüber bekannt, dass die Ukraine russische Soldaten in 10.000-Bereich gefangengenommen hätte d.h. auch diese Anteil kann nicht sehr groß sein. D.h. von den linear interpolierten 200.000 erwarteten Verlusten sind Gefangene oder Vermisste kein großer Anteil. Es bleiben Verletzte und Tote. Unsere heutige Schätzung aber beträgt "bis zu 80.000".

    Sicher, es gibt Gründe, anzunehmen, dass die Verluste nach dem ersten Ansturm und nach Umstellung der Kriegsführung in geringerer Rate wuchsen als zuvor bei der Bodenoffensive, aber dennoch erscheinen 80.000 Soldaten verwundet oder getötet nicht besonders hoch.

    Entweder waren die alten Schätzungen sehr falsch, oder die neuen sind deutlich konservativer. Wir wissen in Wahrheit wenig.

    • @JK83:

      Die Schätzung stellt eher das Minimum als das Maximum da. 80.000 mindestens eher deutlich mehr und davon sehr viele Tote und weniger Verletze als bei einer westlichen Armee zu erwarten wäre.

  • Ein bemerkenswert sachlicher und detaillierter Bericht von Herrn Johnson.



    Ob er wohl Kreide gefrühstückt hat?

    • @wori:

      Gut, dass wir einen Oberressortleiter wie Sie haben.😃

  • Gott sei Dank helfen die USA hier schnell und pragmatisch im großen Umfang. Umso erbärmlicher wirken die deutschen Verrenkungen und Erklärungen für die immer neuen Verzögerungen der Waffenlieferungen.

    Die USA haben schon einmal Europa bzw. zumindest den westlichen Teil davon befreit und diese Freiheit danach unter hohem Einsatz verteidigt. Hoffentlich lernt Europa irgendwann dazu auch alleine in der Lage zu sein.