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Psychologe Bernhard Kalicki über Kitas„Viele Fachkräfte verlieren wir“

Die Arbeit in Kitas muss attraktiver werden, fordert Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut. Sonst lässt sich Personalmangel nicht beheben.

Dominosteine bleiben, Sprachkitas nicht Foto: imago
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Herr Kalicki, seit Jahren treiben Bund und Länder den Ausbau von Kita- und Ganztagsbetreuung massiv voran. Dennoch fehlen vor allem in den westdeutschen Bundesländern Plätze und im Osten betreut eine Fachkraft in der Regel zu viele Kinder. Was heißt das für die Qualität der frühkindlichen Bildung?

Bernhard Kalicki: Wir haben in den vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren die Betreuungsinfrastruktur und damit die Teilhabe an früher Bildung massiv ausgebaut. Mit dem Ausbau ist auch die Nachfrage gestiegen. Das ist zunächst mal eine Erfolgsgeschichte. Heute ist es Konsens, dass frühkindliche Bildung als gesellschaftliche Aufgabe begriffen wird. Der massive Kitaausbau ist übrigens nicht zulasten der Qualität gegangen – die Fachkraft-Kind-Relation hat sich tendenziell sogar verbessert. Da muss man sagen: Hut ab! Gleichzeitig, da haben Sie recht, ist noch nicht alles gut. Wir wollen die Qualität der Einrichtungen weiter verbessern und die Betreuungsangebote auch quantitativ weiter ausbauen.

Aber wie? Im Jahr 2025 fehlen Schätzungen zufolge 73.000 Fachkräfte. Der Nationale Bildungsbericht hat kürzlich den Personalnotstand als drängendstes Problem in der frühkindlichen Bildung bezeichnet.

Der Fachkräftemangel bremst uns aus bei der Qualität. Für eine gute pädagogische Arbeit – also beispielsweise eine intensive Sprachanregung und -begleitung – brauche ich eine dichte Interaktion. Dialoge mit jedem Kind sind kaum möglich, wenn ich für zehn oder mehr Kindergartenkinder verantwortlich bin. Deshalb brauchen wir auf jeden Fall mehr Fachkräfte. Dafür muss man unter anderem auch die Möglichkeit eines Quereinstiegs mit entsprechender Nachqualifizierung oder die schnelle Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen weiter nutzen. Da gibt es aber nicht die eine Lösung, sondern viele Stellschrauben. Übrigens ist auch die Anzahl der Ausbildungsplätze und der ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher an den Fachschulen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Das zeigt: Der Beruf ist attraktiv.

Im Interview: Bernhard Kalicki

leitet die Abteilung Kinder und Kinderbetreuung beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. Kalicki ist ausgebildeter Psychologe und Professor für Frühkindliche Bildung an der Evangelischen Hochschule Dresden (EHS).

Wirklich? Viele Mit­ar­bei­te­r:in­nen in den Kitas klagen über eine hohe Belastung und wenig Geld. Einige Bundesländer wie Hamburg sagen auch, dass sie wesentlich mehr Er­zie­he­r:in­nen ausbilden könnten, aber die Be­wer­be­r:in­nen fehlen.

Die Arbeitsbelastung in den Kitas ist immens und die Bezahlung noch zu niedrig. Das mindert natürlich die Attraktivität. Insgesamt haben wir aber eine hohe Identifikation mit der Tätigkeit. Es wäre deshalb sinnvoll, Erzieherinnen und Erziehern bessere Entwicklungsmöglichkeiten in der Kita anzubieten. Momentan ist das ein Sackgassenberuf. Viele Fachkräfte verlieren wir. Wer sich weiterqualifiziert, sucht sich oft später eine Stelle außerhalb der Kita. Vor allem die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt: Das System Kita ist auf Kante genäht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben wir während der Pandemie alleingelassen. Ich bin gespannt, wie viele das System deshalb noch verlassen werden.

Was könnte eine kluge Politik ihnen denn bieten?

Eine Möglichkeit wäre, neben der Kitaleitung Stellen für bestimmte Fachspezialisierungen zu schaffen, die entsprechend besser bezahlt würden, aber auch eine persönliche Weiterentwicklung zulassen. Solche Stellen könnte man für Sprachbildung, inklusive Pädagogik, Praxisanleitung schaffen. Einzelne Länder wie Rheinland-Pfalz gehen schon solche Schritte.

Das klingt nach viel Klein-Klein. Reicht das aus?

Wir haben in der Kinder- und Jugendhilfe ja das Subsidiaritätsprinzip: Der Staat muss nicht alles regeln. Wenn wir freie Träger finden, die ein Angebot unterbreiten, werden diese bevorzugt. Der Staat springt nur als Gewährleister ein. Gleichzeitig haben die Familien ein starkes Wahlrecht, welche Einrichtungen sie bevorzugen. Das System der Kitas kann man also nicht so einfach am grünen Tisch planen, vor allem nicht auf Bundesebene. Die Kernverantwortung liegt ja bei den Ländern.

Aber die Länder nehmen – auch bei den Kitas – gerne Bundesgelder. Das zeigen die Reaktionen auf die Entscheidung der Bundesregierung, das Bundesprogramm „Sprachkitas“ Ende des Jahres auslaufen zu lassen. Aktuell werden darüber etwa 8.000 halbe Stellen finanziert, jede achte Kita profitiert davon. Ist das eine kluge Entscheidung?

Die Stellen werden wegfallen. Die Fachkräfte, die momentan diese Stellen innehaben, werden bei ihren Trägern aber sicher Anschlussperspektiven finden. Natürlich kann man kritisieren, dass so ein erfolgreiches Programm jetzt wegfällt. Ich komme jedoch zu einem anderen Urteil: Die Sprachbildung ist Kerngeschäft, jede Fachkraft braucht diese Kompetenz. Das Bundesprogramm Sprachkitas ist aber selektiv. Wenn jede achte Kita eine Sprachkita ist, dann frage ich, was ist mit den sieben anderen? Dazu kommt, dass solche Programme nicht nachhaltig sind, sondern immer für vier, fünf Jahre aufgelegt werden.

Im Koalitionsvertrag hat die Ampel noch versprochen, die Sprachkitas zu verstetigen …

Ja, aber es reicht nicht aus, dass wir an einer Stellschraube Fachkräfte in Sprachförderung qualifizieren, sondern wir brauchen ein kompetentes System. Deshalb halte ich den Ansatz des sogenannten Gute-Kita-Gesetzes für vielversprechender: Also Bundesmittel an die Länder auszuschütten, um die Qualität der Kitas nachhaltig zu verbessern, die dann alle erreicht. Das Bundesfamilienministerium hat angekündigt, dieses Gesetz weiterzuentwickeln und das Thema Sprachbildung dabei zu priorisieren. Das halte ich für sehr klug.

Die Länder kritisieren, dass mit dem Ende der Sprachkitas ein bewährtes Programm zur Sprachförderung und damit zur Chancengleichheit ausläuft. Ausgerechnet jetzt, wo die Pandemie die soziale Ungleichheit noch verschärft hat.

Das Sprachkitas-Programm ist auf jeden Fall wertvoll und es wäre wünschenswert, wenn dieser Ansatz fortgeführt würde. Die pandemiebedingten Folgen kann man aber auch anders auffangen. Zum Beispiel, indem man Mittel abhängig von sozialen Indikatoren verteilt. Man gibt mehr Ressourcen an Kitas, die von sozial benachteiligten Kindern besucht werden.

Manche Kommunen wie München haben diesen Ansatz früh verankert. Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz etwa haben ihn mittlerweile auch landesweit umgesetzt. Ein anderes Konzept zielt darauf ab, die sozial benachteiligten und belasteten Familien über die Kitas zu stärken, beispielsweise im Rahmen der frühen Hilfen. Die herkunftsbedingten Benachteiligungen aufzufangen ist eine Kernaufgabe der frühen Bildung – und Sprachförderung ist dabei ein Ansatz.

Dennoch steht ein gutes Programm der Sprachförderung vor dem Aus, weil die Bundesregierung im kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten möchte. Auch andere Bildungsprogramme sollen gekürzt werden. Spart der Bund nicht am falschen Ende?

Wenn er in Summe die Investitionen zurückfahren würde, dann würde er an der falschen Stelle sparen. Ich kann aber angesichts der Haushaltslage nachvollziehen, dass der Bund priorisieren muss. Ich bin sehr froh, dass das sogenannte Gute-Kita-Gesetz mit den jährlich 2 Milliarden Euro fortgeführt wird. Aber natürlich ist es gut, dieses Gesetz in den kommenden beiden Jahren zu evaluieren und zu prüfen: Was wollten wir mit dem Bundesgesetz erreichen? Welche anderen guten Ideen gibt es?

Und zwar?

Wir haben gute Konzepte. Was fehlt, ist eine hinreichende Verbindlichkeit bei der Planung des Ausbaus und der Qualitätsentwicklung.

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8 Kommentare

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  • Ich bin Fachkraft im Bundesprogramm Sprach-Kitas und etwas entsetzt über diese Artikel. Wie Nicole schon angemerkt hat, sind die Aussagen unvollständig oder fehlerhaft. Alltagsintegrierte sprachliche Bildung ist nur ein Aspekt der vier Säulen des Bundesprogramms. Es geht also nicht Mal ansatzweise 'nur' um Sprachförderung. Ich hab den Eindruck, dass Herr Kalicki überhaupt keine Ahnung hat wovon er das redet.



    Der Wegfall des Programms reißt eine große Lücke in die Qualität der Kindergärten, egal wie sehr wir uns bemühen nachhaltig zu arbeiten. Das ist gerade für die Brennpunkt Kitas ein herber Schlag.

  • Bin seit 2020 ausgelernt/examiniert und habe dieses Jahr gekündigt. Vorerst wird mich nichts mehr zurück in den Erzieherberuf, geschweige denn eine Kita kriegen. Ich kenne viele ehemalige Klassenkammerad*innen und junge (aber auch ältere) Erzieher*innen denen es genauso geht. Die Zustände sind eine Katastrophe. Wer mit Ambitionen und hohen Ansprüchen in diesen Beruf kommt, schraubt jene zwangsweise herunter oder geht, weil er dies nicht kann. Fortbilduldungen (z.B. Integrationserzieher*innen oder Anleiter*innen) werden von vielen (gerade) jungen Erzieher*innen wahrgenommen. Jene machen den Beruf jedoch nicht weniger zur Sackgasse - kaum höhere Bezahlung und noch mehr Verantwortung, abgesehen davon bringen einen diese Schulungen nicht in "höhere" Positionen. Wer Erzieher*in ist, bleibt dies wohl oder übel - mit Fortbildung oder ohne. Vom Stress, welcher durch u.A. den Personalmangel, dauerhaft hohen Lärmpegel, fehlenden Fachkräften, regelmäßigen Krankheiten etc. ausgehend entsteht, will ich erst gar nicht anfangen. Eltern wissen meist nicht, wie selten ganzheitliche frühkindliche Bildung stattfindet - und die meisten wollen dies auch gar nicht wissen, so lange sie ihr Kind abgeben können (in Berlin ja auch jeder selbstverständlich ohne Kitagebühren). Wenn sich nichts ändert, wird es knallen und das bleibt uns eigentlich auch nur noch zu hoffen, damit sich etwas ändert. Erzieher*innen haben dieses verkorkste System Jahrzehnte lang zulasten ihrer eigenen Gesundheit auf ihren Schultern getragen - jüngere Generationen haben diese Bereitschaft der Aufopferung für ihren Beruf i.d.R. nicht mehr. Zum Glück.

  • Die Aussagen sind unvollständig und teilweise fehlerhaft. Sprachkitas sind Kitas mit besonders vielen Kindern, die einen erhöhten Förderbedarf aufgrund von Armutsgefährdung und/oder nicht deutscher Herkunftssprache betreuen. Daher sind nicht alle Kitas Sprachkitas. Hier den Rotstift anzusetzen ist besonders fatal. Auch kann das gute Kita Gesetz nichts auffangen. Dieses Geld wurde bereits anderweitig verplant. Würde man es umwidmen käme es zu Qualitätseinsparungen in anderen Bereichen oder Aussetzung der Beitragsfreiheit, was wiederum zu Lasten der Familien geht. Auch die zusätzlichen Fachkräfte können nicht überall nahtlos weiterbeschäftigt werden, sondern gehen den Kitas teilweise verloren, da es sich oft um sehr gut qualifizierte Quereinsteiger handelt, die aufgrund der Gesetzeslage nicht einfach als Erzieher eingestellt werden können. Die Einstellung des Programms, entgegen der Absichtserklärung im Koalitionsvertrag, ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten und zeigt wie wenig Wertschätzung Kitas, Kinder, und Familien erfahren. Ein absolut falsches Signal!!

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Die Arbeit in Kitas muss attraktiver werden, fordert Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut. Sonst lässt sich Personalmangel nicht beheben."

    Klingt für mich logisch. Wenn da nicht das deutsche Bürokratentum wäre.



    Man kann auch nicht massenhaft Flüchtlinge ins Land lassen und dann sich nicht um deren Kinder kümmern. Eins bedingt das andere. Das scheint manchen Politikern nicht so klar zu sein.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Das System nimmt meine Kommentare nicht vollstöändig an - ich gebs erst mal auf ...

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    >>Der massive Kitaausbau ist übrigens nicht zulasten der Qualität gegangen – die Fachkraft-Kind-Relation hat sich tendenziell sogar verbessert.

  • Kitas sind Ländersache bzw. eine Angelegenheit der Kommunen. Wenn der Bund hier Geld dazu geben möchte sagt das im Grunde aus, dass das Verhältnis verfügbarer Mittel Bund-Länder-Kommunen nicht mehr stimmt. Offensichtlich sollte das mit den Steuern die eingehen reformiert werden.

  • Yep, nach 6 Jahren Horterzieher in einem Schlüssel von 1 Erzieher:in zu 22 Kindern hab ich die Segel in MV gestrichen. Alle anderen BL sind ebenfalls wenig attraktiv. In diesem Sinne noch ein rant an Frau Schwesig, die gezeigt hat dass man Geld von einem ‘guten Kita-Gesetz’ in sturer Dummheit verpulvern kann: 100 % des Anteils für MV ging in die Elternbeitragsfreiheit. Das hat nichts innerhalb der Kitas verbessert, sondern fischte meiner Meinung nach hauptsächlich nach Wähler:innenstimmen um den ‚sozialen‘ Aspekt der SPD zeigen zu können. Dass sich Erzieher:innen aufreiben wenn 2 Menschen im Kollegium krank sind und folglich 4 Erwachsene auf 100 Kinder aufpassen müssen scheint soweit egal. Qualität? Gute Kita? Nö. Burn-out - yes. Tschüs es istbschade dass ich mich entscheiden muss als Erzieher in D nicht mehr zu praktizieren.