Obdachlosen-Hausprojekt in Mitte: Wohnen bis zum Abriss
Die Obdachlosen in der Habersaathstraße 40-48 können möglicherweise zwei weitere Jahre dort bleiben. Der Bezirk verhandelt über ihren Verbleib.
Anfang August hatte das Bezirksamt der Arcadia Estates GmbH nach jahrelangem Rechtsstreit eine umstrittene Abrissgenehmigung für das ehemalige Schwesternwohnheim mit seinen 120 Wohnungen erteilt, das erst in den 1980er Jahren mit öffentlichen Mitteln errichtet und 2008 energetisch saniert wurde. Seit Jahren will die Arcadia Estates das Haus abreißen lassen, um dort neu und teuer zu bauen. Bis dahin werde „auch nach Schätzung der Eigentümer noch eine längere Zeit vergehen“, heißt es in dem Brief. Der Zeitraum der Nutzung sei zwar noch unklar, „es dürfte sich aber um eine Wohnperspektive von ein bis zwei Jahren handeln“.
Die Bewohner*innen sollen im Gegenzug rückwirkend ab dem 1. Januar Betriebskosten in Höhe von 3,50 Euro monatlich pro Quadratmeter zahlen. Außerdem sollen sie schriftlich bestätigen, dass sie aus ihrem Verbleib in der Habersaathstraße keine rechtlichen Ansprüche ableiten – sprich, dass sie freiwillig ausziehen, sobald das Haus abgerissen wird. Wie genau das aussehen kann, soll an diesem Mittwoch bei einem Treffen zwischen der Senatsverwaltung, dem Bezirksamt und dem Sozialträger „Neue Chance“ diskutiert werden.
Blaupause für Zwischennutzung von Leerstand?
„Wir wollen alles tun, damit der Verbleib der neuen Mieter*innen möglich ist“, sagte von Dassel zur taz. Rund 40.000 Euro Betriebskosten soll das Bezirksamt nun an die Arcadia zahlen, Geld, das es sich über die Bewohner*innen von den Sozialämtern oder Jobcentern zurückholen will. Im Gegenzug erwartet der Bezirk, dass der Eigentümer vorhandene Mängel wie Rohrbrüche, fehlende Wasserversorgung oder Stromsperren beseitigt und Mülltonnen bereitstellt.
Sollte es zu einer Vereinbarung kommen, sieht von Dassel darin eine mögliche Blaupause für die künftige Unterbringung von Obdachlosen in leerstehenden Häusern. „Es gibt einige Abrisskandidaten“, so der Grünen-Politiker. „Ich habe die Hoffnung, dass eine Zwischennutzung dann öfter möglich ist.“
Die Bewohner*innen selbst reagieren erfreut auf die Bleibeperspektive. „Ich würde es unterschreiben“, sagt der ehemalige Obdachlose Sven zur taz. Jedoch könnten mit der Vereinbarung nicht alle Bewohner*innen in dem Haus bleiben, da Menschen aus Nicht-EU-Staaten keine Leistungen vom Amt bekommen. „Für diese Menschen brauchen wir auch eine Lösung“, so der 52-Jährige.
Der Sozialträger „Neue Chance“, der im Erdgeschoss eine Beratungsstelle eingerichtet hat, wäre froh, die Bewohner*innen weiter unterstützen zu können. „Es ist eine sehr heterogene Gruppe, an die wir sonst nicht rankommen würden“, so der Geschäftsführer Ingo Bullermann zur taz. Insbesondere die zuvor langjährig Obdachlosen hätten teilweise hohen Unterstützungsbedarf, auch wegen Suchtproblemen. Mit Blick auf die Beratungen mit Bezirk und Senat wünscht sich Bullermann „weiterhin möglichst viel Selbstbestimmung“ der Bewohner*innen.
Langfristige Perspektive nur durch Rekommunalisierung
Auch die Initiative „Leerstand Hab ich Saath“, die das Haus gemeinsam mit den Obdachlosen besetzt hatte, zeigt sich erfreut. „Die psychische Anspannung durch die Angst vor einer Räumung war in den vergangenen Monaten sehr groß“, so Sprecherin Valentina Hauser zur taz. Eine Zwischennutzung könne den Menschen nun Sicherheit geben. „Wir wollen aber, dass die Menschen langfristig bleiben können“, betont Hauser. „Das ist nur mit einer Rekommunalisierung möglich.“
Ähnlich sieht das der mietenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schenker. Er glaubt, dass der Eigentümer mit der Zwischennutzung vor allem Geld verdienen möchte. „Ziel muss sein, dass dieses Vorzeigeprojekt in Sachen Housing First dauerhaft bleiben kann“, sagte er. Dass Obdachlose generell in leerstehenden Häusern untergebracht werden, hält Schenker für schwierig und warnt vor einem „Wohnen 2. Klasse“. „Wichtiger wäre es, illegalen Leerstand in Wohnraum zurückzuführen.“
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