Hausbesetzung in Frankfurt: Freiraum auf Zeit

Ein besetztes Haus in Frankfurt bietet neben Ak­ti­vis­ten auch Wohnungslosen Platz. Noch sind sie geduldet, doch im April sollen Bauarbeiten beginnen.

Transparente hängen an der Fassade eines besetzten Hauses in Frankfurt

Die Losung im besetzten Haus: „Freiräume statt Glaspaläste“ Foto: Sebastian Gollnow/dpa

FRANKFURT taz | Stoffbanner hängen aus den Fenstern des vierstöckigen Altbaus: „Gegen die Stadt der Reichen“, steht dort und „Solidarität mit der Revolution im Iran“. Von der S-Bahn-Station Galluswarte sind es nur wenige Schritte bis zum besetzten Haus in der Günderrodestraße in Frankfurt. Die Bahngleise verlaufen hier oberirdisch. Wer an der Bahnstation wartet, befindet sich etwa auf Höhe des ersten Stocks und blickt direkt auf das Haus. Seit Anfang Dezember ist es vom Kollektiv „Freiräume statt Glaspaläste“ besetzt. Ihre Forderungen: Zwischennutzung als Wohnraum für Wohnungslose bis zum Abriss des Gebäudes und eine höhere Quote für Sozialwohnungen in den geplanten Neubauten.

Nach vier Verhandlungsterminen konnte das Kollektiv Ende Dezember einen Erfolg verkünden: Bis zum Beginn der Bauarbeiten Ende April dürfen sie das Gebäude nutzen. „Die Nachbarschaft und die Stadtbevölkerung reagiert sehr positiv auf unser Projekt. Das bestärkt uns und gibt uns viel Energie“, sagt Jule. Die Schülerin sitzt auf einem grauen Sofa im Plenumsraum, wo sich das Kollektiv einmal täglich trifft. Stühle und Sessel sind im Kreis aufgestellt. Insgesamt gehören etwa 30 Personen zum Kollektiv, nicht alle von ihnen schlafen dauerhaft im besetzten Haus. Neben den Ak­ti­vis­t*in­nen wohnen noch etwa 15 Wohnungslose im Haus – perspektivisch sollen noch mehr Menschen hier unterkommen.

Zohar ist seit Anfang Januar hier. Sie ist im Juli vergangenen Jahres aus Israel nach Frankfurt gekommen und zunächst bei Verwandten untergekommen. „Ich brauche eine Unterkunft, aber ich bin auch aus politischen Gründen hier: Hier kann ein selbstorganisiertes Haus in die Praxis umgesetzt werden“, erzählt sie bei einem Teller Suppe. Auf dem schwarzen Tisch steht ein Strauß gelber Tulpen und ein letztes Stück vom Kuchen, den ein Mitbewohner gebacken hat. Seit Kurzem funktioniert der Ofen in der Küche. „Wir hoffen, dass es der Stadt zeigt, dass dieses eine Haus nicht genug ist. Wohnungslosigkeit und hohe Mieten sind ein größeres Problem“, sagt Zohar. Gehört habe sie vom besetzten Haus über Project Shelter, wo sie seit einigen Monaten aktiv ist.

Project Shelter setzt sich seit Jahren für obdachlose Mi­gran­t*in­nen und Geflüchtete in Frankfurt ein. Ihre Arbeit besteht vor allem darin, Wohnraum zu vermitteln. Bereits im Dezember ist das Kollektiv „Freiräume statt Glaspaläste“ auf Project Shelter zugegangen, seitdem sind sie Teil des Hauses. Das gilt auch für die ada kantine, die nun im zweiten Stockwerk Personen unterbringen kann. Sie bietet üblicherweise viermal wöchentlich in der ehemaligen Kantine der „Akademie der Arbeit“ in Frankfurt Bockenheim kostenlose Mahlzeiten an. Das Projekt bezeichnet sich selbst als „solidarische Küche“ und verarbeitet nur gespendete Lebensmittel.

Bewegtes Miteinander

„Peter, mach die Kippe aus!“, ruft Jule einem Mitbewohner zu, der im Flur steht und raucht. Dass das Rauchen im Haus verboten ist, darauf verweisen einige Schilder im Flur. Peter reagiert wütend und brüllt, er lasse sich das Rauchen nicht verbieten, geht nach einer kurzen Tirade aber doch nach draußen zum Rauchen. Immer wieder gebe es Konflikte im Haus. „Hier prallen Welten aufeinander. Eigentlich bräuchte es eine Sozialarbeiter*in“, sagt Jule.

Seit die ada kantine und Project Shelter Teil des Hauses sind, sei es tatsächlich leichter geworden, da hier auch So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen aktiv seien. Oft helfe es aber schon, miteinander zu reden und Bedürfnisse klar zu kommunizieren, sagt Jule. „Wir alle lernen hier viel dazu. Als Kollektiv ergänzen wir uns supergut.“

Das Haus in der Günderrodestraße steht bereits seit Ende November leer. Laut den Ak­ti­vis­t*in­nen sind in dem Block noch drei weitere Häuser unbewohnt. Sie alle gehören der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die nur wenige Meter weiter ihren Sitz hat, ebenso wie die Frankfurter Rundschau (FR) und die Frankfurter Neue Presse (FNP). Alle Gebäude sollen ab Frühjahr abgerissen werden. Die FAZ zieht gerade ins nahegelegene Europaviertel um, FR und FNP nach Sachsenhausen. Nach dem Abriss der Gebäude soll auf dem Gebiet das „Quartier Hellerhöfe“ entstehen: ein neues Wohnquartier mit Wohnungen, Büros, zwei Kitas und einer Grundschule. Dazu gehört ein 50 Meter hohes Hochhaus, das als Holzhybridbau geplant ist.

Dem Leerstand in der Günderrodestraße ging die Verdrängung der ehemaligen Mie­te­r*in­nen voraus. Seit 20 Jahren vermietet die FAZ die Gebäude an die Konversionsgesellschaft KEG. Bis Ende vergangenen Jahres hatte diese wiederum einen Untermietvertrag mit dem Evangelischen Verein für Wohnraumhilfe, der die Wohnungen als Sozialwohnungen vermietete. Mit Ende der Vertragslaufzeit wurden alle Mie­te­r*in­nen aus den Wohnungen im Gallus vertrieben, ihnen wurden neue Wohnungen zugewiesen – teilweise in weit entfernten Stadtteilen.

Planungsdezernent Mike Josef (SPD), dessen Dezernat das Neubauquartier bewilligt hatte, steht trotz Kritik zum „Quartier Hellerhöfe“ und den Planungen. „Bisher gab es hier lediglich 47 Wohnungen. Nun entstehen 510 Wohnungen, von denen 180 gefördert sind“, sagt er auf Anfrage der taz. Im Gallus seien in den vergangenen Jahren zu wenig Sozialwohnungen gebaut worden und die zahlreichen Neubauprojekte im Viertel für die Bevölkerung nicht mehr bezahlbar. „Wir brauchen jede geförderte Wohnung, um den Bedarf zu decken“, sagt Josef. Erst seit 2020 kann die Stadt Investoren dazu verpflichten, Sozialwohnungen bei Neubauprojekten einzuplanen.

Die Sozialquote soll rauf

Im Quartier Hellerhöfe ist eine Quote von 30 Prozent Sozialwohnungen vorgesehen – viel zu wenig, finden die Aktivist*innen, und fordern mindestens 60 Prozent. Dazu kritisieren sie, dass Sozialwohnungen in Frankfurt nach maximal 20 Jahren aus der Preis- und Belegungsbindung rausfallen, es sind also nur temporär Sozialwohnungen.

Das kritisiert auch Eyup Yilmaz, wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. Er solidarisiert sich mit den Besetzer*innen. „Die Stadt baut zu wenig Sozialwohnungen. Sie muss aktiv werden und die Stadtentwicklung nach dem Bedarf der Bevölkerung ausrichten“, sagt Yilmaz.

Frankfurts Mietpreise gehören zu den höchsten Deutschlands: laut statista nach München und Berlin auf dem dritten Platz. Hier zahlt man für einen Quadratmeter im Neubau knapp 17 Euro Kaltmiete im Monat. Die hohen Mieten in der Stadt wirken sich auch auf die Obdachlosigkeit aus. Etwa 400 bis 500 Menschen leben laut Diakonie Frankfurt auf der Straße. Hinzu kommen etwa 3.100 Menschen ohne festen Wohnsitz, die in Unterkünften und Übergangseinrichtungen leben.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Wände im Treppenhaus zieren große Poster, die über die Geschichte des Häuserkampfes in Frankfurt informieren. Graffiti oder Tags sucht man hier vergebens. Nur in einem extra dafür vorgesehenen „Kreativ-Raum“ ist das Austoben an den Wänden erlaubt. Zu Beginn der Besetzung im Dezember fanden in den Räumen des Hauses regelmäßig Veranstaltungen statt – Bar­abende, Vorträge oder Konzerte.

Im Januar ist es etwas ruhiger geworden im Haus. Die Umbauarbeiten nehmen viel Zeit ein. Noch sind nicht überall Küchengeräte und Schränke eingebaut, auch Hochbetten sollen noch gebaut werden. Spülmaschinen, Ofen, Töpfe und Geschirr haben die Ak­ti­vis­t*in­nen durch Spenden erhalten. Zukünftig soll das Erdgeschoss weiter offen für Veranstaltungen sein, die anderen Stockwerke den Be­woh­ne­r*in­nen aber Privatsphäre geben. „Das Haus befindet sich gerade in einem Transformationsprozess“, sagt Zohar, „es soll aber weiterhin ein Haus für alle sein.“

Ende April sollen die Bauarbeiten in der Günderrodestraße beginnen. Wie es danach mit dem Hausprojekt und seinen Be­woh­ne­r*in­nen weitergeht, ist unklar. „Wir wollen auf jeden Fall langfristig ein Haus haben, um Menschen unterzubringen“, sagt Jule.

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