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Deutschlandreise von Annalena BaerbockAußenministerin im Inneren

Reisebus statt Regierungsjet: Annalena Barbock reist für die Arbeit an der Nationalen Sicherheitsstrategie durchs Land und gibt die Generalistin.

Präsent bleiben: Annalena Baerbock beim ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr Foto: Christoph Gateau/dpa

Hannover taz | „Das kontaminierte Fahrzeug kommt von links“, sagt der Hauptfeldwebel der Außenministerin an. Ein paar Sekunden später biegt der Bundeswehr-Lastwagen auch schon um die Kurve und stoppt dann vor dem Tross. Zwei Gestalten in dicken Schutzanzügen, bei 38 Grad bestimmt eine Freude, treten mit Schläuchen heran und richten den Wasserstrahl auf das Fahrzeug. Dann geht es weiter zu den nächsten Station: Dekontamination der Waffen, Dekontamination der Stiefel, Dekontamination der Atemschutzmasken.

Annalena Baerbock ist auf Tour. Nicht im Ausland, wie gewohnt, sondern auf einer Deutschlandreise mit sieben Etappen. Am Mittwochmittag steht sie auf dem Kasernengelände des ABC-Abwehrregiments in Strausberg bei Berlin und lässt sich vorführen, wie die Sol­da­t*in­nen im Ernstfall nach einem Angriff mit Atom-, Bio- oder Chemiewaffen ihre Arbeit machen würden. Wieder mal was Neues für die Grünen-Politikerin. Wie vieles auf diesem Trip.

Der offizielle Anlass für ihre Reise ins Innere: Die Ausarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie, an der die Bundesregierung unter Federführung des Außenministeriums strickt. Erstmals bekommt die Bundesrepublik ein solches übergreifendes Grundlagenpapier für die Sicherheitspolitik. Die Ampel hatte sich schon im Koalitionsvertrag darauf verständigt.

Konzepte gab es in diesem Bereich natürlich schon vorher, das Weißbuch der Bundeswehr zum Beispiel oder die Leitlinien zur Zivilen Krisenprävention. Sie erstrecken sich aber nur über eng abgesteckte Bereiche, involviert waren nur wenige Ministerien. An der neuen Strategie arbeiten alle Regierungsressorts mit.

Dschihad und Stromnetz

Erfahrungsgemäß kann das noch für Probleme sorgen: Wo verschiedene Häuser mit ihren eigenen Sichtweisen und Interessen beteiligt sind, hat es bei ähnlichen Prozessen schon früher gehakt. Aber der Sicherheitsbegriff in der neuen Strategie soll eben ein umfassender sein. Militär, Polizei, Infrastruktur, Rechtsstaat, Klimafolgen: Gehört alles dazu.

Das bildet sich auch in der Reiseroute der Ministerin ab. Am Mittwochmorgen startet sie in Berlin-Mitte zunächst im Büro eines Deradikalisierungsprojekts, das Dschi­ha­dis­t*in­nen beim Ausstieg aus der Szene hilft. Danach geht es im Reisebus zum Kontrollzentrum des Stromnetzbetreibers 50Herz, der immer wieder mit Cyberangriffen zu kämpfen hat. Am Mittag folgt dann der Besuch bei der Bundeswehr, wo der Praxisvorführung ein Vortrag des Kommandeurs über Aufgaben, Sorgen und Nöte in der ABC-Abwehr vorangeht.

Hilfreich sind die Eindrücke sicherlich für die Arbeit an der Sicherheitsstrategie, nebenbei ist die Tour aber auch nützlich fürs öffentliche Bild der Ministerin: Weiteren Karriereambitionen könnte es dienlich sein, wenn Baerbock nicht nur vier Jahre im Ausland unterwegs ist, sondern auch im Inneren präsent bleibt. Auf die Frage nach einer weiteren Kanzlerkandidatur wird sie am Abend natürlich trotzdem mit einem betont überraschten Gesichtsausdruck reagieren. Kanzlerin werden? „Ich möchte vor allem eine gute Außenministerin werden.“

Das sagt Baerbock in Niedersachsen, bei einer Diskussionsveranstaltung im Gebäude der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Auch Bürgerdialoge sind Teil der Deutschlandreise, das Auswärtige Amt spricht mit Blick auf die Sicherheitsstrategie von einem „gemeinsamen und inklusiven Prozess mit der Öffentlichkeit“. Auf anderen Etappen der Reise hat das Ministerium die Teil­neh­me­r*in­nen auf der Grundlage von Daten der Einwohnermeldeämtern ausgelost, Fragen und Anliegen der Bür­ge­r*in­nen standen im Mittelpunkt.

Tempolimit gegen Atomstrom tauschen?

In Hannover hat dagegen das Redaktionsnetzwerk Deutschland eingeladen, das landesweit Regionalzeitungen mit überregionalen Inhalt versorgt. Das Format ist frontal, im Publikum sitzen Abon­nen­t*in­nen und auf der Bühne stellen Journalistinnen den Großteil der Fragen zu aktuellen Großthemen. Ein Talkshow-Format: Die Antworten der Ministerin stehen im Mittelpunkt.

Ob die Grünen einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zustimmen, wenn sie dafür das Tempolimit bekommen? „Ich halte nichts von Kuhhandeln“, sagt Baerbock. Wie denkt sie über die Forderung des sächsischen Ministerpräsidenten, den Ukraine-Krieg einzufrieren? „Ich weiß nicht, was das bedeuten soll“, antwortet die Außenministerin.

Und ob sie sich darum sorgt, dass in der Bevölkerung die Solidarität mit der Ukraine schwindet? In einer Umfrage stimmten erst vor ein paar Tagen 47 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Sanktionspolitik Deutschland mehr schade als Russland. Vor dem Verlagsgebäude hatte sogar ein Häufchen De­mons­tran­t*in­nen auf Baerbock gewartet, auf ihren Schildern war von der „Lügenpresse“ und der „Kokaine“ die Rede.

„Die Bevölkerung ist manchmal anders gepolt als Meinungsinstitute“, sagt Baerbock. „Ich nehme was Anderes wahr.“ Es komme schließlich immer darauf an, wie man eine Frage stellt. In einer anderen Umfrage sprachen sich am Wochenende 70 Prozent dafür aus, die Ukraine trotz steigender Energiepreise weiter zu unterstützen.

Wichtig sei aber, sagt Baerbock dann noch, dass die Bundesregierung die Spaltung der Gesellschaft verhindere: In diejenigen, die ihre Gasrechnung noch bezahlen können und diejenigen, denen es zu teuer wird. Es klingt nach einer Botschaft an die FDP: „Es ist der Auftrag der Bundesregierung, die sozialen Konsequenzen abzufedern.“ Dann werde auch die Solidarität mit der Ukraine nicht schwinden.

Soziale Sicherheit: Vielleicht schafft sie es am Ende ja auch in die Nationale Strategie. Vom Publikum gibt es zumindest erst mal Applaus. Den lautesten des Abends.

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7 Kommentare

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  • Von genau welcher inneren Sicherheit ist hier die Rede?

  • "Kuhhandel" - wenn ich das schon höre.



    AKW-Verlängerungen und Tempolimit - beides wäre gut. Wie bei fast allem geht es so hochbezahlten Berufs-Sozialschmarotzern nur darum ihr Profil zu bewahren und den Anschein von "Prinzipientreue" irgendwo groß sichtbar raushängen zu lassen, wo es für sie selbst am einfachsten ist. Was pragmatisch und vernünftig oder ethisch-moralisch richtig ist, ist dabei nie Thema. Beispiel: Thema Assange war zu schwierig, um "Rückgrat zu zeigen", wurde schnell unter den Teppich gekehrt. Aber das hier scheint irgendwie einfacher in der öffentlichen Wahrnehmung, wie man sich da dumm und ohne nachzudenken auf "einen Standpunkt" stellt und dafür glaubt, Zuspruch zu bekommen.



    Dass diese Schauspieler im Polit-Theater auch noch alle so hoch bezahlt werden, ist absurd.

    • @David Hasselhoff:

      Ist bestimmt leicht über die, die es machen müssen, aus der Ferne herzuziehen. BRAVO!

    • G
      Gast
      @David Hasselhoff:

      Die Forderung nach längeren Laufzeiten ist zum jetzigen Zeitpunkt Quatsch, auch wenn sie nun immer wieder zu hören ist. Die verbleibenden Meiler sind marode, da aufgrund des beschlossenen Atomausstiegs nicht mehr saniert wurde. Zudem taugen die Meiler nicht für den Klimawandel, sie müssen bei Hitze abgeschaltet werden - das Problem baut sich gerade in Frankreich auf. Neue Meiler zu bauen würde viel zu lange dauern, bis dahin haben wir womöglich schon Fusionsstrom. Abgesehen davon, dass Atomstrom die teuerste Energieform überhaupt ist - wenn man denn auch mal den Kraftwerksbau mit einbezieht, dessen Kosten früher immer still verschwiegen wurde. Und selbst wenn man ihn herausrechnet, sind die Erneuerbaren um Längen billiger. Unsere Preise wären noch höher, hätten wir mittlerweile nicht schon 40 Prozent Regenerative Energien im Mix. Mittlerweile sind auch die Speichertechnologien gut erforscht und drängen an den Markt: PtX, Wasserstoff, diverse mechanische Speicher, alles ist da und vielfältig anwend- und nutzbar. Endlich volle Kraft voraus mit der Energiewende, wir hätten schon viel weiter sein können. Dann bräuchten wir diese dummen Debatten nicht ständig zu führen.

  • Ah! Verstehe! Beim "Nationalen Sicherheitkonzept" geht es um "Bundeswehr in Binneneinsatz".

    Naja, kein Wunder.

    Brodelt es doch in unserer Gesellschaft an Ecken und Enden ...

    Und zur Armenbekämpfung kann die Bundeswehr sicher ihr Scherflein beitragen.

    Jawoll !

  • Auch wenn es im Koalitionsvertrag steht, die einzelnen Stationen des Nationalen Sicherheitkonzeptes lesen sich eher wie einem Innenministerium zugehörig. Also geht es nur um Karriere? Und die Aussenpolitik "ich möchte [mal] eine gute Aussenministerin werden", macht derweil Greenpeace? Wieso in der Sommerpause nichtmal Aussenministern anderer Länder zuhören, zur Not ein Praktikum machen?

  • „Ich möchte vor allem eine gute Außenministerin werden.“



    Dem stimme ich zu. Es sollte nicht so enden wie ihr Buch.



    Viel geliehene Sprüche.



    Wie man Fragen stellt, mag wichtig sein. Wichtiger ist, wem man sie stellt.



    Der eigenen Klientel braucht man nichts versprechen, die haben schon alles.