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Nachfolge von Boris JohnsonRishi gegen die Frauen

Großbritanniens Konservative suchen einen neuen Chef. Favorit der Abgeordneten ist Ex-Minister Rishi Sunak. Aber er kriegt starke weibliche Konkurrenz.

Erhielt am Mittwoch 88 Stimmen und am Donnerstag 102: Rishi Sunak Foto: reuters

London taz | Beim Kampf um die Nachfolge Boris Johnsons als Chef der regierenden britischen Konservativen sind bei der zweiten Abstimmung in der Fraktion am Donnerstag von elf KandidatInnen noch fünf übrig geblieben, nach sechs am Mittwoch.

Am besten schnitt Rishi Sunak ab, Finanzminister unter Boris Johnson bis zu seinem Rücktritt vor einer Woche, der den Sturz Johnsons einleitete. Er erhielt am Mittwoch 88 Stimmen und am Donnerstag 102. Mitfavoritin ist aber Penny Mordaunt, einst Verteidigungsministerin unter Theresa May. Sie kam mit 67 Stimmen am Mittwoch und 82 am Donnerstag auf Platz zwei.

Den Kürzeren zog bereits am Mittwoch Nadhim Zahawi, der während der Corona-Pandemie für das Impfprogramm verantwortlich war, später Bildungsminister wurde und vor einer Woche Sunaks Nachfolger als Finanzminister wurde. Jetzt plagten ihn aber an die Öffentlichkeit geratene Fragen zur steuerlichen Ordnung seines Vermögens. Er kam mit 25 Stimmen nicht über die 30-Stimmen-Hürde, die am Mittwoch den Einzug in den zweiten Wahlgang am Donnerstag sicherte.

Noch schlechter mit 18 Stimmen schnitt der Zentrist Jeremy Hunt ab. Er hatte 2019 beim Kampf um Mays Nachfolge gegen Boris Johnson verloren und jetzt auf eine zweite Chance gehofft.

Steuern senken oder nicht?

Der Favorit der Abgeordneten, der indischstämmige Rishi Sunak, mit einer indischen Milliardärin verheiratet, ist der einzige Kandidat, der die Steuerlast in Großbritannien auf ihrem derzeitigen 50-Jahre-Rekordniveau belassen möchte. Er hat auch gesagt, er werde als Premierminister die Wirtschaft führen „so wie Margaret Thatcher“.

Penny Mordaunt ist aber die bisher größte Überraschung dieses Rennens. Am Mittwoch beeindruckte sie durch einen souveränen Start ihrer Kampagne. Die Tochter eines Fallschirmjägers diente selber neun Jahre in der Royal Navy, gibt sich patriotisch und sprach von britischen Werten, Pflichten und Aufgaben. „Ich stehe für die alten konservativen Werte“, sagte sie und nannte niedrige Steuern, einen reduzierten Staat und Eigenverantwortung. Den durch die Corona-Pandemie verursachten Schuldenberg will Mordaunt langsamer als Sunak abbauen.

Zugleich gilt Mordaunt als sozial offener als andere KandidatInnen. Sie versprach jenen, die unter den gestiegenen Lebenshaltungskosten litten, zu helfen. Kontroverser sind ihre Äußerungen zum Thema Gender: einstige Transrechte unterstützende Aussagen, als sie Gleichberechtigungsministerin war, und seitherige Versuche, zwischen dem Geschlecht nach britischem Recht und der Biologie zu differenzieren. Sie hat einen schwulen Zwillingsbruder.

Außenministerin Liz Truss, Drittplazierte mit 50 Stimmen am Mittwoch und 64 am Donnerstag, ist die Lieblingskandidatin vieler Johnson-treuer Tories und der rechten Zeitung Daily Mail. Die Tochter linker Friedensaktivisten gibt sich als Thatcher-ähnliche Figur, die Steuersenkungen verspricht, und brüstet sich ihrer Post-Brexit-Handelsverträge. Agrarvertreter, die bei den Tories eine wichtige Rolle spielen, werfen ihr jedoch vor, damit Importe aus Australien und Neuseeland zu begünstigen.

Außenministerin Liz Truss, Drittplazierte mit 50 Stimmen am Mittwoch und 64 am Donnerstag Foto: Toby Melville/reuters

Politische Überzeugung hat wenig Chancen

Den anderen drei Kandidaten werden geringe Chancen eingeräumt. Ob Kemi Badenoch, die Tochter nigerianischer Eltern aus der gebildeten Oberschicht, mit ihrer „Politik der Wahrheit“ für Meinungsfreiheit überleben kann, ist fraglich. Als Newcomerin gegen die aus ihrer Sicht spalterische Politik von „Woke“ und Verfechterin eines zurückgeschraubten Staates bekam sie am Mittwoch dennoch beachtliche 40 Stimmen und legte am Donnerstag auf 49 zu. Sie genießt die Unterstützung wichtiger Politiker wie Michael Gove.

Kam mit 67 Stimmen am Mittwoch und 82 am Donnerstag auf Platz zwei: Penny Mordaunt Foto: Stefan Rousseau/ap

Die ehemalige Staatsanwältin Suella Braverman, die es am Mittwoch mit 32 Stimmen gerade noch in die zweite Runde geschafft hatte, fiel am Donnerstag auf 27 zurück und schied aus dem Rennen aus. Sie plädiert für den britischen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention; man warf ihr vor, das Feld der Brexit-Konservativen zu spalten.

Tom Tugendhat, der derzeitige Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im Parlament, steht wohl ebenfalls vor dem Aus. Er kam am Mittwoch auf 37 Unterstützer:innen, am Donnerstag nur noch auf 32. Er gilt als rational und solide, profilierte sich vergangenes Jahr mit seiner Kritik am chaotischen britischen Rückzug aus Afghanistan und will vor allem die Militärausgaben steigern. Er hielt bisher jedoch noch nicht mal einen Ministerposten. Auch seine Un­ter­stüt­ze­r:in­nen dürften sich hinter Penny Mordaunt stellen.

Interessant wird es, wenn die übriggebliebenen Kan­di­da­t:in­nen am Wochenende gegeneinander vor TV-Kameras auftreten. Die letzten beiden, die das überleben, müssen sich dann der Basis der Partei zur Wahl stellen. Während unter Abgeordneten Rishi Sunak derzeit Favorit zu sein scheint, ergaben Umfragen, dass die Parteimitglieder der Basis klar Penny Mordaunt bevorzugen.

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