piwik no script img

Ukrainisches Getreide für den LibanonAlles für das Huhn

Julia Neumann
Kommentar von Julia Neumann

Das ukrainische Schiff vor der Küste Libanons hat Mais geladen. Als Nahrungsmittel für Menschen eignet es sich nur bedingt.

An Bord der Razoni: 26.527 Tonnen Mais. Das Getreide ist als Hühnerfutter bestimmt Foto: Turkish defense ministry/reuters

P opcorn, gegrillte Kolben, Maismehlpfannkuchen – Gerichte, die beim Anblick von einem Maiskolben einfallen. Kann sich damit eine Lebensmittelkrise lösen? Kaum. Zwar kann auch Mais zu Mehl verarbeitet werden. Doch Maismehl oder -stärke eignen sich nicht zur Ernährung breiter Massen. Auch nicht im Libanon. Dorthin geht seit dem Angriff Russlands das erste Schiff mit Getreide aus der Ukraine.

Getreide, heißt es, käme in den Libanon, der doch so dringend auf Lebensmittel angewiesen sei. Das Schiff hat 26.527 Tonnen Mais geladen, und wie nun herauskam: Es ist bestimmt als Hühnerfutter. Eier bieten kreative Möglichkeiten: Omelette oder Teig. Doch für das traditionelle libanesische Flachbrot oder die Frühstückspizza Manoushe werden nur Hefe und Mehl gebraucht. Natürlich könnten auch die Hühner selbst zur Nahrung für Menschen werden, nur ist Fleisch aktuell für die meisten Menschen unerschwinglich.

Seit drei Jahren leben die Leute im Libanon mit starker Inflation. Tankfüllungen sind teurer als der Monatslohn, der Staat liefert keinen Strom, Kühlketten für Lebensmittel sind unterbrochen. Weil Benzin und Strom teuer sind, steigen auch die Lebensmittelpreise. Die Bäckereien rationieren das vom Staat subventionierte Brot, angeblich aufgrund von Lieferengpässen beim Getreide. Das Wirtschaftsministerium beschuldigt die Bäckereien, sie würden hamstern.

Das subventionierte Brot wird auf dem Parallelmarkt weiterverkauft, was einen zusätzlichen Engpass generiert. Der dringend nötige Weizen war auf einem anderen Frachter, der im libanesischen Tripoli geankert hatte: Die „Laodicea“ hatte Weizenmehl und Gerste an Bord – bestimmt für Syrien. Dessen Machthaber Baschar al-Assad ist ein enger Verbündeter von Wladimir Putin.

Obwohl die Ukraine sagt, Russland habe das Getreide geklaut, ließen die libanesischen Behörden das Schiff durch – mit offizieller Genehmigung von Richter und Generalstaatsanwaltschaft, für die vermutlich etwas abfiel vom begehrten Weizenmehl. Korruption gehört zum Alltag im Libanon.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Julia Neumann
Korrespondentin Libanon
Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.

6 Kommentare

 / 
  • "Das Schiff hat 26.527 Tonnen Mais geladen, und wie nun herauskam: Es ist bestimmt als Hühnerfutter."

    Tierfuttermais (Silomais) ist eine andere Pflanze als Mais für Menschen (Zuckermais).

    Zuckermais ist sehr frostempfindlich (bis -3 Grad frosthart) und die Bilder von dem Überfall Russlands im Februar sollten noch präsent sein, dass die Ukraine (Kontinentalklima) stark von Schnee bedeckt war.

    In Deutschland wird der Zuckermais in Süd/West Deutschland, in der Nähe von Frankfurt, Mannheim und Karlsruhe und Freiburg angebaut. (Frostarm und Sonnenreich, dazu tiefgründige, nährstoffreiche Böden.)

    Andere Gebiete in Deutschland eignen sich weniger für "Menschenmais", weshalb dort deutlich widerstandsfähigerer und anspruchsloserer Tierfuttermais oder Energiemais angebaut wird,

  • 》Doch Maismehl oder -stärke eignen sich nicht zur Ernährung breiter Massen《 stimmt nicht wirklich, im Grunde lebt in dieser Behauptung die Arroganz der Conquistadores weiter, die zwar den Mais, nicht aber das Wissen um seine Zubereitung nach Europa gebracht haben.

    Das Geheimnis heißt Nixtamalisation: 》Bevor die Spanier nach Amerika kamen und Schweine, Rinder, Schafe und Pferde mitbrachten, war die Ernährung der mesoamerikanischen Völker weitgehend pflanzenbasiert.

    Mais ist ein vollwertiges Nahrungsmittel. Er enthält Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett, Mineralien (Calcium, Kalium, Phosphor, Eisen und Natrium) sowie die Vitamine B1, B2, B3, B6 und C und das Provitamin A. Allerdings hängt es von der Zubereitung ab, ob diese Inhaltsstoffe für den Menschen überhaupt alle verwertbar sind.

    Nixtamalisation

    Wer sich hauptsächlich von Maisprodukten ernährt und die Zusammenhänge nicht kennt, riskiert es, ausgelöst durch einen Mangel an Nicotinsäure (Vitamin B3), an Pellagra (Symptome sind Durchfall, Hauterkrankungen, Demenz) zu erkranken. In Mexiko, einem der Ursprungsländer des Maises, wurde und wird das im Mais enthaltene Niacytin (durch Phytinsäure gebundenes und dadurch vom menschlichen Körper nicht verwertbares Niacin) vor dem Verzehr durch Nixtamalisation in Nicotinsäure umgewandelt.

    Für die Nixtamalisation,die als eine der wichtigsten Erfindungen der mesoamerikanischen Zivilisation gilt, werden trockene, ungemahlene Maiskörner in Wasser, dem gelöschter Kalk oder Holzasche zugesetzt wird, gekocht und über Nacht eingeweicht, damit er aufquellen kann《 www.vegan-mexikani...-nixatamalisation/

    Vgl. a.: 》Afrikas vergessener Reichtum《



    hier: www.freitag.de/aut...-ressourcen-nutzen

    Und wenn wir schon bei Mais und pflanzenbasierter Ernährung, über Grillfun mit Kolben hinaus, sind: angeblich enthält das Mehl des Blue Hopi ca. 30 % mehr Proteine als andere Maissorten.

    • @ke1ner:

      Hier daspaulimagazin.ch...t-vorbereitet-wird (Zeitschrift für Gastronomie und Kulinarik) gibt es eine detaillierte Anleitung zur Nixtamalisation (die Autor*innen prophezeien, über kurz oder lang werde es einen Hype geben, Mais zu "Superfood")

      • @ke1ner:

        Korrektur, bzw. Zusatz: die Mengenangaben dort kommen mir zweifelhaft vor, diese Anleitung hier scheint mir realistischer breadtopia.com/how...s-posole-and-more/ (1% Calciumhydroxid bezogen auf das Gewicht des Trockenmais, eine Angabe, die sich wiederholt auch sonst auf amerikanischen Seiten findet)

  • Das ist für mich guter Journalismus.



    Interessante oder brisante Meldungen recherchieren, analysieren und einordnen.



    Davon hätte ich gerne mehr.

  • Irre Geschichte. Das man als Testballon nicht das wertvollste losschickt ist normal.



    Das mit Mais keine Ernährung der Massen möglich ist, ist der mäßigen Bildung der Autorin geschuldet.