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Krieg in der UkraineKaum Erfolge für Russland

Die russischen Angriffe auf die Ostukraine gehen unvermindert weiter. Doch Experten sehen Anzeichen dafür, dass sich die Offensive abschwächt.

Brandschwaden in Sloviansk am 5. Juli Foto: Marko Djurica/reuters

Berlin taz | Nachrichten über Russlands brutalen Feldzug gegen die Ukraine haben seit dem Ausbruch des Krieges am 24. Februar am Donnerstag seit Langem erstmals ernsthafte Konkurrenz bekommen: Die Ankündigung des britischen Regierungschefs Boris Johnson, zurücktreten zu wollen, feierten viele ukrainische Medien ausführlich ab.

Die Nachrichtenseite focus.ua fragte sich, wer Boris Johnson gewesen sei und was den Ukrai­ne­r*in­nen von ihm in Erinnerung bleiben werde. „Im Kreml will man eine Spaltung sehen“, schrieb das Nachrichtenportal Novoje Vremja und ließ den Politologen Wladimir Fesenko darüber sinnieren, was die Ukraine mit dem Rücktritt Johnsons verliere.

„Sein Vorteil für Kiew bestand darin, dass er eine starke Figur und sehr emotional engagiert darin war, die Ukraine zu unterstützen.“ Das Wichtigste sei, dass jetzt in der Tory-Partei keine internen Diskussionen über eine Unterstützung für die Ukraine stattfänden, schrieb Fesenko.

Unterdessen gingen die russischen Angriffe auf Gebiete in der Ostukraine weiter. Dabei seien innerhalb von 24 Stunden mindestens neun Zi­vi­lis­t*in­nen, darunter mehrere Kinder, getötet und sechs weitere verletzt worden, teilte das ukrainische Präsidialamt am Donnerstag mit.

Einheiten verlegt

Offenbar kämpfen russische Truppen immer noch um eine vollständige Kontrolle des bereits weitgehend eroberten Gebiets Luhansk. Dazu hätten die Russen einige ihrer Einheiten verlegt, teilte der ukrainische Generalstab mit. Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Gaidai, sprach von Kämpfen in den Außenbezirken von Lyssytschansk. Die strategisch wichtige Stadt hatten russischen Truppen am vergangenen Wochenende eingenommen.

Zudem berichtete Gaidai von veritablem Terror gegenüber Zivilisten in der Stadt Kremennaja. So würden Menschen mit einer pro­ukrai­nischen Haltung oder solche, die sich weigerten, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, verfolgt. „In Kremennaja hat der Terror ein solches Ausmaß erreicht, dass Menschen direkt auf der Straße erschossen werden. Dabei helfen lokale Kollaborateure, die die Bevölkerung ausliefern, indem sie die genauen Adressen bestimmter Personen weitergeben“, berichtete Gaidai auf Telegram.

Laut Angaben des ukrainischen Generalstabs sei auch das Donezker Gebiet von russischen Truppen erneut beschossen worden. Der Bürgermeister von Kramatorsk berichtete von Luftangriffen auf das Zentrum der Stadt, es gebe Opfer, Rettungskräfte seien im Einsatz. Die Bevölkerung forderte er auf, in Notunterkünften zu bleiben, da die Gefahr noch nicht gebannt sei.

Seit vergangener Woche ist dies bereits der zweite Angriff auf Kramatorsk. Bei einem Raketenangriff auf das örtliche Bahnhofsgebäude Anfang April waren über 50 Menschen getötet worden. Neben Slowansk ist Kramatorsk die zweite größere Stadt in der Region, die noch unter ukrainischer Kontrolle steht. Beide Städte gelten als nächste strategische Ziele Russlands, um den gesamten Donbass unter Kontrolle zu bekommen.

Keine Gebietsgewinne

Wie lange das dauern könnte, ist unklar. Denn Russland könnte nach Einschätzung von Beobachtern seine Offensive in der Ukrai­ne vorläufig abschwächen. Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War teilte am Donnerstag mit, das russische Militär habe am Vortag keine Gebietsgewinne in der Ukraine gemeldet – zum ersten Mal seit 133 Tagen. Dies könne ein Hinweis auf eine operative Pause sein, die aber keine vollständige Einstellung der Angriffe bedeute.

„Die russischen Streitkräfte werden sich wahrscheinlich auf relativ kleine Offensivaktionen beschränken“, erklärte das Institut. Gleichzeitig versuchten sie, ihre Kräfte für größere Angriffe neu zu sammeln.

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15 Kommentare

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  • Kremennaja? da musste ich doch an dsiese Meldung denken:

    www.dailymail.co.u...idnapped-home.html

  • Furchtbar.



    "Dabei helfen lokale Kollaborateure, die die Bevölkerung ausliefern, indem sie die genauen Adressen bestimmter Personen weitergeben."

    Da friert einem wieder mal das Blut in den Adern.

    Leider sind diese blutigen Abrechnungen in solchen ideologisch durchtränkten Hass- und Nationalitätenkriegen üblich, vom überaus brutalen Ersten Karlistenkrieg bis Jugoslawien. Aber "Bürgerkrieg" darf man ja nicht sagen, das ist in der Ukraine strafbar. Heute ist "Kollaborateur" und "Verräter" auf beiden Seiten die "politisch korrekte" Ausdrucksweise. Wie gesagt, das Blut friert einem.

    • @Günter Picart:

      "Bürgerkrieg" ist ja auch die falsche Bezeichnung für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.

  • Experte ist keine geschützte Berufsbezeichnung.



    Aber es wimmelt in den Medien von Experten.



    Die Berichterstattung zum Ukraine Krieg ist nur zum Teil seriös.



    Ab und an höre ich "Die Angaben zum Geschehen können nicht verifiziert werden".



    Aus den "Bergen von Leichen" die der der ukrainische Präsident verkündet, wird unversehens eine verlorene Stadt, die man sich aber wieder zurück holt. Anfang der Woche sollten zu gründende Partisanen Regimenter das Kriegsglück bringen.



    Was ja wohl eher auf die Schwäche der eigenen regulären Truppen hinweist.



    Aus Moskau kommt die Kunde"Wir haben noch gar nicht richtig angefangen". Mit was?



    Fest steht eins. Je länger dieser Krieg dauert, desto mehr Menschen werden sterben, ihre Heimat verlieren, oder im Rollstuhl sitzen. Kinder ihre Väter verlieren, Frauen ihren Mann.



    Und Rüstungskonzerne neuen Champagner kaufen müssen.



    Dieser Krieg wird garantiert nicht auf dem Schlachtfeld enden, sondern am Verhandlungstisch.



    Das wird beschleunigt, wenn im Rest Europas gefroren wird für den Sieg.



    Vielleicht ist ja im nächsten Frühjahr auch Frau Baerbock zu Gesprächen bereit.



    Man sollte die Beteiligten auf jeden Fall an ihre Wahlversprechen erinnern.

    • @Hans Jürgen Langmann:

      Ist Putin denn zu Gesprächen bereit?

  • Der Klügere gibt nach. Friedensverhandlungen mit Russland! Jetzt!

    • @alchemist77:

      Russland verweigert sich Friedensverhandlungen, die den Namen verdienen. Und jetzt?

    • @alchemist77:

      Wer Aggression nachgibt lädt zu mehr Aggression ein. Nicht einen Zentimeter sollte man Russland geben. Mehr Waffen bis Russlands Armee ausgeblutet ist.

      • @Machiavelli:

        Ekelhafte Formulierung. Nicht die Armee blutet aus, sondern Menschen.

        • @Andreas J:

          Dann sollen diese Menschen überlaufen oder den Dienst quittieren. Russland is offiziell nicht im Krieg jeder russische Soldat kann jederzeit kündigen.

          • @Machiavelli:

            Sie machen es sich auch einfach um ihre Kaltschnäuzigkeit zu rechtfertigen.

    • @alchemist77:

      Wie stellen Sie sich dieses "Nachgeben" vor? Ein Im-Stich-Lassen der ukrainischen Bevölkerung, die eben fortan unter einem Terrorregime russischer Marionetten leben soll?

    • @alchemist77:

      Russland will nicht verhandeln, sondern weiter morden.

    • @alchemist77:

      Was soll jetzt bei Friedensverhandlungen herauskommen ? Die Wüste Donbass Putin überlassen und gut ? . Noch einmal so ein brüchiges Minsk-Abkommen und Putin schlkägt nach kurzer Erholung wieder zu, seine Waffenschmiede bleibt heiss.

  • Ein ernüchternder Bericht. Ohne Hoffnung, dass der Krieg bals aufhört.



    Mal ließt man die Offensive schwächt sich ab, dann hört man das Gegenteil. Krieg ist Chaos.



    Hören wir auch hier, die Einschätzung von Ralph D. Thiele:



    www.n-tv.de/politi...ticle23449782.html