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„Die Woken“ als vermeintliche GruppeIch spiele dieses Spiel nicht mehr

Wenn abfällig über „die Postkolonialen“ oder „die Woken“ geredet wird, fühlt sich unsere Kolumnistin mitgemeint. Obwohl sie kein Gruppenmitglied ist.

Wesensvereinzelte oder doch Gemeinschaft? Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

E in Leben lang dachte ich, dass ich nirgends so richtig dazugehöre – das war manchmal ein gemeines Gefühl, aber nicht nur. Mittlerweile denke ich, vielleicht ist es auch einfach mein Wesen, vielleicht bin ich einfach eine Person, die niemals zu sehr Teil von etwas sein kann.

Ich wollte ein Instrument lernen, aber nicht ins Orchester. In der Kirche habe ich früher beim Vater Unser so getan, als würde ich still mitbeten, dabei fand ich das gemeinsame Gemurmel schon ab vom Inhalt gruselig. Auf jeder Demo, und mag ihr Anlass noch so wichtig sein, suche ich Plakate nach Sätzen ab, die ich so nicht unterschreiben würde und wenn die Sprechchöre anfangen, bleibe ich stumm. Bei der Vorstellung, in einem Hausprojekt wohnen zu müssen, womöglich noch mit Plenum, verzwirbeln sich meine Organe. Chatgruppen mit mehr als drei Personen schalte ich stumm. Und neulich habe ich behauptet, ich müsste darüber schlafen, als ich gefragt wurde, ob ich Mitglied in einem Verein werden will. Musste ich aber nicht.

Ich bin darauf nicht stolz, ich frage mich in letzter Zeit sogar häufiger, was ich als so eine Wesensvereinzelte zu irgendeinem Wandel beitragen will. Dann teile ich ein Video, das auf den Streik der Pflegekräfte in NRW aufmerksam macht. Na ja. Umso bemerkenswerter finde ich, dass ich anscheinend doch dazugehöre. An ziemlich vielen Stellen. Ich merke das, weil mich ein Verteidigungsreflex überkommt, wenn in Texten meist abfällig von „den Postkolonialen“ die Rede ist, oder von „der woken Bewegung“ und so weiter. Ich habe nirgends einen Mitgliedschaftsantrag eingereicht. Aber wenn – oft mit Absicht – polemisch verallgemeinert wird, wenn sie Bewegungen erfinden, die es so gar nicht gibt, wenn alles in einen Topf geworfen wird, dann fühle ich mich mitgeworfen, mitgemeint. Wirklich gehört allerdings nicht.

Zum Beispiel: Ich habe im Grundstudium gelernt, wie koloniale Herrschaft und Gewalt bis heute in globale (Macht-)Beziehungen reichen. Ich habe sehr oft „Intersektionalität“ gesagt, habe Texte von Said, Spivak und Bhaba gelesen und, ja, auch berechtigte Kritik an ihnen. Und wie jede vernünftige Studierende habe ich viel davon wieder vergessen. Aber es hat geprägt, wie ich auf die Welt schaue, so wie die soziale und kulturelle Herkunft meiner Eltern oder die Erfindung des Internets. Das ist vielleicht meine Art, eine Postkoloniale zu sein.

Und: Ich finde, dass man auf dem Weg zu einer gerechten Gesellschaft zuhören und dazulernen muss. Ganz besonders (von) denen, deren Menschenrechte und -würde immer wieder Angriffen ausgesetzt sind. Das heißt weder, dass ich alle um mich herum zurechtweise, wenn sie keine Gendergap sprechen, noch dass mir Klassenfragen egal sind (vgl. Intersektionalität). Es heißt aber, dass ich es unerträglich finde, wenn Leute publizistische Verantwortung für vermeintliche Edgyness, Selbstvermarktung oder „Humor“ in die Tonne treten, wenn sie Richtung, Framing und Timing durchaus nötiger Kritik unbedacht lassen oder strategisch ignorieren, und damit rechte Narrative stärken. Das ist vielleicht meine Art, eine Woke zu sein.

Zugehörigkeiten sind selten ganz fertig. Ich bin mir sicher, dann doch nicht. Ich kenne migrantisch/postmigrantisch, aber keine Community. Manchmal klebe ich die Wörter trotzdem aneinander. Ich melde mich im Fitnessstudio an, gehe zu wenig hin, melde mich wieder ab und irgendwann wieder von vorn. Und eigentlich habe ich bei all dem gar keine Lust mehr aufzuschreiben, wer ich bin, oder wegzuschreiben, wer nicht. Mein Entwürfeordner ist leer. Ich habe Sätze verfasst und alle wieder gelöscht, ich will nicht mitmachen, Begriffe ihrer Bedeutung zu berauben, ich will nicht ständig widersprechen müssen und dabei vergessen, was ich eigentlich sagen will. Ich spiele dieses Spiel nicht mehr. Die Kosten sind zu hoch.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
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19 Kommentare

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  • Wie gesagt, der Begriff woke ist elitär und konterkariert die ihm angedichtete Bedeutung.



    Sich zu rechtfertigen und zu positionieren füttert den Spaltpilz.



    Wer über jedes Stöckchen springt, macht sich zum Hund, ungeachtet welche akademischen Titel erworben wurden oder was für tolle Autoren man so kennt.



    Nicht jede neue Vokabel ist sinnvoll.

  • Das Thema Woke ist doch bereits an anderer Stelle, vielleicht unbeabsichtigt aber sehr überzeugend, demaskiert worden.



    taz.de/Woke-Bewegung/!5862205/

  • Na ja, Frau Hierse, die Wokies haben Probleme - wer hat’s verbockt?

    Im Grunde ist der Wokismus ja eine wirklich gute Sache, die letztlich zu mehr Respekt gegenüber Menschen anderer Hautfarbe und Kulturen führen sollte. War ja auch unbedingt notwendig um es mal sehr milde auszudrücken.

    Warum besteht die Gefahr des Scheiterns?

    Hier fällt mir ein taz-Artikel zu dem Thema ein, daraus ein Zitat aus einer Buchbesprechung:

    "Ihr Buch, das den Untertitel „Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist“ trägt, ist eine wütende und polemische Abrechnung mit den sogenannten Woken, den „Aufgewachten“, mit jenen Menschen also, die sich antirassistisch und queerfeministisch engagieren und vorgeben, was gerecht und ungerecht sei. Oder um es mal in dem Tenor des Buches zu formulieren: die es damit übertreiben."

    Die es damit übertreiben und Beispiel Political Correctness, nach und nach totalitär werden.

    Oder einfach nur grotesk.

    Was meint die Super-Ikone der Linksidentitären, Judith Butler, zu Afghanistan, Frauenrechten und Burka?:

    „Die Burka symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist.“

    taz.de/Abrechnung-...spolitik/!5769316/

    Wenn auch bei Linken Widerstand gegen den Wokismus wächst, hat das seine Ursachen.

    Wenn jemand mit so einem Unsinn daherkommt oder anderen das Denken und die freie Meinung verbieten will, wächst der Widerstand.

  • Ich kenne "woke" nur als Bezeichnung für besonders skurrile Aktivisten, die ein ursprünglich harmloses Anliegen einer Minderheit mit unnötig provokanten Forderungen maßlos übertreiben und einen identitätspolitischen Kampf gegen die Mehrheitsgesellschaft fördern, so dass das ganze Thema ins Lächerliche und einen unnötig aggressiven Kulturkampf abgleitet. Das schadet der betroffenen Minderheit mehr als es nützt, wofür die wiederum nicht besonders dankbar sind.

    Für den "woken" Aktivisten ist die Minderheit austauschbares Mittel zum Zweck; er gefällt sich in seiner Rolle als Avantgarde, genießt die Provokation und den Streit.

  • Tja, das ist das Problem beim Thema Woke.

    Dieses undifferenzierte Einteilen der Menschen in Gruppen, ob das die Menschen wollen oder nicht.

    Und dann noch das bestimmen was die Gruppen dürfen oder nicht.

    Aus meiner Sicht sind erstmal alle gleich, egal ob schwarz oder weiß, arm oder reich, priviligiert oder nicht.



    Kein Mensch kann dafür verurteilt werden in welche Familie er geboren wurde.

    Wichtig ist WAS man tut und sagt und aus sein Leben macht.

  • Der Text hat 585 Wörter, 45 davon lauten "ich"...

    Mit so viel Nabelschau könnte Frau Hierse bei "den Woken" durchaus eintreten.

    • @Totti:

      Sie beschreibt ihr persönliches Unwohlsein in den Diskursen und im linken Identitätstornado - was soll also der Kommentar? Nur gut, dass Sie Zeit haben Wörter zu zählen!

      • @jens richter:

        Wörterzählen geht ganz schnell, es gibt da technische Tricks...

        Zu Ihrer Frage: der Kommentar soll der Autorin helfen, aus dem "linken Identitätstornado" herauszukommen. Die Kolumnistin darf sich völlig zu Recht mitgemeint fühlen, wenn von "den Woken" die Rede ist.

        Vielleicht wären persönliche Blogs oder Facebook die geeigneteren Medien, um ihr doch sehr persönliches Unwohlsein auszudrücken.

  • Ein ehrlicher Einblick in das Seelenleben einer jungen, engagierten Frau, den uns die Autorin hier erlaubt.

    Dazuzugehören ist ein menschliches Urverlangen, das in unserer zerklüfteten Patchworkgesellschaft nur sehr partiell gelingen kann, wenn überhaupt. Vielleicht bewertet die Autorin das anders, doch bin ich sicher, dass ihr Gefühl der Fremdheit in der Masse eher die Regel als die Ausnahme ist, vom Fußball einmal abgesehen.

    Auch wenn die Redenschwingenden der jeweiligen Subkulturen ihren Anhängenden Unerschütterlichkeit vorspielen und sich gerieren, als durchdrängen sie die angesagten (Streit-)Themen voll und ganz. Weshalb sie zurecht Wortführende seien, die Normen setzen, Gefolge um sich scharen und entscheiden dürfen, wer dazu gehört und wer nicht.

    "Lies den, den, den, dann reden wir noch mal drüber“, lautete in meinen Alt-78er-Kampftagen eine Dominanzfloskel der Durchblicker und Denker aller vom Lichte des Marxismus/Leninismus/Maoismus und Timothy Leary Erleuchteten. Die heutigen Woken in ihren vielfältigen Varitäten scheinen genau so zu ticken, was mich nicht wirklich wundert. Höher, schneller, weiter, lauter eben. Wer da nicht mithalten kann oder will, fühlt sich schnell fremd und nicht zugehörig.

    Ich wünsche Frau Hierse und allen Suchenden nach dem richtigen Platz im Leben viel Glück. Verlaufen ist dabei leider eine Option.

    Aber: Wenn die Nacht am Tiefsten ist, ist der Tag am Nächsten.



    Danke Rio, alter Schluckspecht, hast mich oft gerettet.

  • Ich bin ein Wookie.



    Schön unrasiert...

    Die anderen sind mir zu spießig.

  • "Ich bin ja gar nicht woke,aber...",wäre eine (fiese) Möglichkeit diesen Kommentar zu kommentieren.;-)

    Der Satz: "...wenn Leute publizistische Verantwortung für vermeintliche Edgyness, Selbstvermarktung oder „Humor“ in die Tonne treten, wenn sie Richtung, Framing und Timing durchaus nötiger Kritik unbedacht lassen oder strategisch ignorieren, und damit rechte Narrative stärken.", enthält doch jede Menge Annahme,Vorurteil und stärkt letztlich "woke Narrative". An Ende macht Frau Hierse das wogegen Sie sich selber wehrt: Menschen bestimmten Gruppen zu zu ordnen!



    Und ist das nicht auch "typisch woke"? ;-)



    Achtung: Satire /Ironie im letzten Satz!

  • Herzlichen Glückwunsch! Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es leichter scheint, in einer Schaf-/Hammelherde gleich welcher Farbe, geschlechtsunabhängig, binär oder sonstwie, gemischtfarben oder uni mitzulaufen und jeden Schwachsinn, der dort skandiert wird, mitzusingen. Deswegen wird er ja auch skandiert, da fällt der Schwachsinn weniger auf.



    Mit der Zeit, und spätestens, wenn die Herde die Richtung wechselt (COVID, Ukrainekrieg, usw., beispielhaft, nicht erschöpfend) ist man jedoch froh, nicht mitgelaufen zu sein. Man hat dann zwar vielleicht weniger Mitläufer in den asozialen Medien, aber wer braucht die schon? Außer der Herde. Wenn mir ein Mensch gegenübertritt, dann gefällt er mir nicht wegen der übereinstimmenden Kategorie/Gruppe (s.o.), sondern weil es etwas zu geben scheint, was anziehend wirkt. Und wie man sagt, können auch Gegensätze anziehen.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Könnte hier(in der Taz) einmal jemand der/die ein wirklich engagiertes Mitglied der woke-Bewegung ist erzählen was vertreten wird , etwa so wie FfF? Da lohnt es sich vielleicht die Ziele zu kennen und anzuerkennen, oder auch nicht.



    Damit man/frau weiß worum es geht und nicht nur hört was Leute sagen, die sich über Abtrünnige beklagen oder sich von dieser Bewegung irgendwie angesprochen fühlen.

  • Die Autorin hat im Studium gelernt, wie man die Welt kolonial interpretiert und welche Menschen Menschenrechtsangriffen ausgesetzt sind und welche eher nicht, oder gar Angreifer sind - und was Menschenrechte überhaupt für eine Rolle spielen und wie sie in das Gefüge mit anderen Leitgedanken passen.

    In diesem ganzen Gefüge gibt es natürlich Leute, die ähnlicher zueinander Denken, vielleicht weil sie aus einer selben Zeit von denselben Unis kommen, vielleicht aus anderen Gründen. Und dann gibt es natürlich, je nach Thema, viele andere "Gruppen", die Dinge anders sehen.

    Da gibt es natürlich Verständnisgruppen, Solidarisierungen etc., auch ohne offizielle Mitgliedschaften - und es gibt auch viele Strukturen, Institutionen, Gelder, die das jeweils zusammenhalten.

    Ich glaube daher schon, dass es Sinn ergibt, gesellschaftliche Diskussionen nicht nur an Individuen aufzuhängen - sonst könnte man auch nie über soetwas wie Postkolonialismus reden.

    Ich glaube am Ende geht es einfach um die Diskussion von Werten und Weltsichten. Ein Grundkonflikt dabei ist, dass Werte mit Gerechtigkeit zu tun haben - und wer die einfordert, muss andere Menschen als ungerecht erklären und angreifen. Das ist immer ein Drahtseilakt, den wird man nicht vermeiden können.

    Für eine gerechte Welt zu sein und von allen Seiten Zustimmung zu erwarten, ist glaube ich zuviel erwartet. Immerhin heißt der Kampf für eine gerechte Welt der Kampf gegen andere Menschen, deren Weltsicht, deren Platz im Leben etc. - das werden nie alle freiwillig einsehen und auch für die Gerechten ist es nicht immer leicht genau die richtigen Angriffe zu fahren.

  • Mir ist solcher Seelenstriptease eher unbehaglich. Natürlich ist es schöner, wenn man irgendwohin, irgendwo zu gehört. Idealerweise zunächst zur Familie, später zu Freunden, Kollegen und Nachbarn. Mancher liebt es einsamer, auch wegen unschöner Erfahrungen in und mit Gemeinschaften.

  • Klingt doch gut und reflektiert, damit gehört sie tatsächlich nicht zu den „Woken“

  • Ja und Jaein,



    ein Verteidigungsreflex kann ja durchaus auch ausgelöst werden wenn ich gar nicht selber getroffen bin (oder mich nicht persönlich getroffen fühle).



    So kann ich selber durchaus kein "Woke?" (sagt man das so?) sein, dieser Bewegung in vielen Punkten kritisch gegenüberstehen und dennoch, bei Angriffen unter der Gürtellinie auf eben diese, zum Verteidiger werden.

    Es wird von beiden Seiten (nicht nur zu diesem Thema) oft nur in Freund/Feind gedacht aber ich finde es ist auch möglich, trotz unterschiedlicher Meinung, fair zu bleiben und unschöne Diskussionsbeiträge (auch wenn sie von der eigenen "Partei" kommen) als solche zu benennen.

    • @Teleshopper:

      Ja. Geht mir z. B. mit deutsch sein, Deutschland etc. so. Ich identifiziere mich nicht damit, verspüre keine Zugehörigkeit, Stolz, sonstige Emotion. Aber wenn jemand aus meiner Sicht völlig unzutreffendes daran rummeckert, anpöbelt, nervts mich doch.

  • >Ich kenne migrantisch/postmigrantisch, aber keine Community.

    Und ich bin schwul und kenne auch keine, vor allem keine Community, die wirklich alle Homos umfassen würde und nicht im Wirklichkeit nur "die Szene". Aber viele Leute, die gönnerhaft meinen, ich würde zu einer LGTBIQ-Community gehören - oder gar zu einer LGTBIQ-Bewegung