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Auftakt des Linkenparteitags in ErfurtEine Rede, die retten soll

Zu Beginn des Linkenparteitags hält die angeschlagene Chefin Janine Wissler eine couragierte und konzentrierte Rede. Dabei bemüht sie auch Brecht.

Es gab tosenden Applaus für Janine Wissler beim Bundesparteitag der Linken Foto: Martin Schutt/dpa

Erfurt taz | Noch bevor Janine Wissler am Freitagmittag das erste Wort gesprochen hat, bricht tosender Applaus auf. „Wow, vielen Dank dafür“, sagt die Linken-Vorsitzende überrascht. Dass die Delegierten des Erfurter Parteitags der Linken ihrer Vorsitzenden so demonstrativ den Rücken stärken würden, damit hat nicht nur sie nicht gerechnet.

Rund vierzig Minuten spricht Wissler zur Eröffnung des dreitägigen Events in der Thüringer Landeshauptstadt. Es ist eine selbstkritische, aber auch kämpferische Rede. „Es kommt darauf an, sie zu verändern, ist das Motto dieses Parteitags“, ruft sie in den Saal. „Das gilt für die Welt und auch für uns als Linke.“

Wer kämpft, könne verlieren, bemüht Wissler Bertolt Brecht. „Aber zur Wahrheit gehört, dass wir in den letzten Jahren häufiger verloren haben als es zu verschmerzen gewesen wäre“, fügt sie hinzu. Die Linkspartei befinde sich in einer tiefen Krise und hinterlasse immer wieder den Eindruck, „als wären die Kämpfe untereinander wichtiger als die für unsere politischen Ziele“.

Die Linke müsse ihre Rolle „als einzige sozialistische Gerechtigkeitspartei“ finden. Zu oft sende die Partei widersprüchliche Botschaften aus, so dass vielen nicht mehr klar sei, für was sie stehe. Sie müsse wieder gemeinsam zu klaren Botschaften kommen. „Wir sollten nicht die eigene Wähler- und Mitgliedschaft polarisieren, sondern zwischen uns und dem politischen Gegner“, fordert Wissler. Linke Politik müsse „provozieren, polarisieren und zuspitzen, immer entlang von ‚oben‘ und ‚unten‘ und niemals von ‚unten‘ nach ‚noch weiter unten‘“. Die Ampel-Koalition lasse „viel Platz“ für eine linke Politik.

Wagenknecht dürfte es schwer haben

Auch auf den Umgang mit den MeToo-­Vor­würfen in der Linkspartei geht Wissler ein. „Sexismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, der Anspruch an uns, als feministische Partei, ist aber zurecht höher als an andere“, sagt sie. „Bei allen Frauen, denen wir bisher nichts oder wenig anbieten konnten, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist, möchte ich mich aufrichtig entschuldigen.“ Inzwischen habe der Parteivorstand eine unabhängige Expertinnenkommission eingesetzt. Auch sie selbst habe in den letzten Monaten nicht alles richtig gemacht, räumt Wissler ein. „Aber ich will euch versichern, dass das, was ich getan habe, in bester Absicht war.“

Das war der eine Teil ihrer Rede. Im anderen schaltete sie auf Attacke: Gegen Ungerechtigkeit in Deutschland, gegen die Politik der Ampelkoalition, gegen die Klimakrise und gegen den „verbrecherischen Angriffskrieg“ Russlands in der Ukraine, der durch nichts zu rechtfertigen sei: „Unsere Solidarität gilt Menschen in der Ukraine, die um ihr Leben fürchten, die fliehen mussten, die Angehörige zurücklassen mussten, die alles verloren haben.“

Wissler war in den vergangenen Woche scharfer innerparteilicher Kritik ausgesetzt. Die frühere Bundestagsfraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht hatte gleich in mehreren Interviews einen personellen „Neuanfang“ verlangt – ein unverhohlener Aufruf zur Wahl der Gegenkandidatin Heidi Reichinnek. Doch die dürfte es am Samstag, wenn die Neuwahl der Führungsspitze auf dem Programm steht, schwer haben.

„Lasst uns mehr Sozialismus wagen“, beendet Wissler ihre Rede. Jubel brandet auf. Sie hat offenkundig den richtigen Ton getroffen. Mit Standing Ovations bedenken die rund 570 Delegierten die 41-jährige Hessin, die sich sichtlich gerührt zeigt. Die Partei hat derzeit rund 58.000 Mitglieder. Neben der Vorstandswahl wird am Samstag die Diskussion über die intern sehr umstrittene Haltung zu Russland und dem Ukraine-Krieg im Mittelpunkt stehen.

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19 Kommentare

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  • Janine Wissler und der Neue Martin Schirdewan haben die Wahldesaster der vergangenen Jahre mitzuverantworten. Statt Konsequenzen daraus zu ziehen, bleiben die Parteifunktionäre auf ihren Posten kleben. Es bleibt ein Rätsel, wie bei einem solchen personellem WEITERSo die Kehrwende vom Absturz in die Bedeutungslosigkeit erreicht werden soll.

    Die selbstgerechten Lifestyle-Linken um Klaus Lederer & Co schreiten in ihrem Weg: Macht kaputt was euch kaputt macht - Die Linke, voran.



    Diese selbstgerechten Lifestyle-Linken werden beim Wähler niemals an Boden gewinnen. Auch dann nicht, wenn die Politik von Olaf Scholz und den Grünen zu apokalyptischen Zuständen führt. Z.B. durch die unglaubliche Erhöhung der Energiekosten für die Branchen Chemie, Stahl und Papier und der dadurch verursachten Massenarbeitslosigkeit von 10 Mio. Bürgern. Oder die Reduzierung um 50% der realen Renten und Pensionen durch die Inflation. All das wird dieser Lifestyle-Linken keine Mehrstimmen beim Wähler bringen.

  • Es braucht keine zweite SPD.

  • Die letzten Hilferufe aus einer ertrinkenden Partei. Wer braucht schon die 5. Kolonne Moskaus außer Moskau?

  • Wenn "Die Linke" Pellmann zu ihrem Vorsitzenden wählt, hat sich alles weitere Diskutieren über und mit ihr erübrigt:

    "Bonn/Erfurt, 24. Juni 2022. Dem Leipziger Linken-Bundestagsabgeordneten und Kandidaten für den Parteivorsitz Sören Pellmann zufolge, werden Waffenlieferungen aus Deutschland den Ukraine-Krieg nicht beenden. Im phoenix-Interview sagte Pellmann am Rande des Bundesparteitags, es sei nun vor allem wichtig, "den Aggressor, also Wladimir Putin, an den Verhandlungstisch zurück zu zwingen." Um das zu schaffen, sei es wichtig die Oligarchen in den Fokus zu nehmen. "Ich bin fest davon überzeugt, wenn die Oligarchen in der Welt nicht mehr so walten können, wie sie es derzeit noch tun können, dann werden die vielleicht Putin noch mal anders unter Druck setzen", so Pellmann in Erfurt. Sanktionen, die die Bevölkerung treffen, halte er hingegen "für ein völlig ungeeignetes Mittel." Auch spricht er sich grundsätzlich gegen weitere Aufrüstung aus. Gegenüber phoenix erklärte er, er lehne "Waffenlieferungen jedweder Art in die Ukraine und auch an andere Stellen ab." Mit seiner Position, die zu großen Teilen mit der Auffassung von Sahra Wagenknecht übereinstimmt und die seine Kandidatur für den Parteivorsitz unterstütze, vertrete er die Wahl- als auch Parteiprogrammatik der Linken."



    www.presseportal.de/pm/6511/5257296

  • Der Aufruf zu mehr Geschlossenheit richtet sich mE auch an Medien, die sich als „links“ verstehen.

    D.h. nicht jede Gelegenheit zum Linke-Bashing für ein paar mehr Klicks und Views ausnutzen.

    Die allgemeine Flucht in die kuschelige Mitte bringt uns (Linke) global nicht weiter.

  • Die LINKE muss sich bis hinunter zum kleinsten Kreisverband selbst reinigen und direkt ans bedürftige Volk. Bla bla bla und Seifenblasen haben den letzten Wähler vergrault! Die ärmsten der Armen, alte Leute, Alleinerziehende, Grundsicherungsempfänger sind enttäuscht worden. Wenn ich mir (bin 69) die LINKE Politik in Pirmasens ansehe muss ich leider feststellen, dass das hauseigene Pöstchen sichern oberste Priorität hat, Willig lässt man einen rassistisch geprägten deutschnational gesteuerten CDU-Oberbürgermeister hier in Pirmasens gewähren, es könnte ja in irgendeinem Ausschuss ein Pöstchen für die links eigene Vetternwirtschaft abfallen.....

  • Eine sehr beeindruckende Rede hat Janine Wissler da auf Parkett gezaubert. Alle Achtung.

  • Dabei bräuchten wir dringend eine wirklich Linke Partei, die dem Gewäsch aus CDU/FDP und Grünen etwas dagegensetzten könnte und nicht zu allem JA sagt. Stattdessen ist diese Partei ein Haufen von Selbstdarstellern, die sich um alles kümmern außer um die Menschen, die linke Politik wirklich bräuchten.

  • Was die Rede von Janine Wissler anbelangt kann ich dem Beitrag zu stimmen.



    Ich habe mir auch noch die Rede von Bodo Ramelow angehört, wo ich bis zum Ende zu hören konnte.



    Dann kam ein Said Basel Ghafarie mit so einem Schwachsinn, eigentlich ist meine Cancelgruppe älter, Dagdelen, Wagenknecht, Hunko....das bleibt auch so aber dieser junge Mann und der Nächste, gleich mit-ein Traum!



    Nein!!



    Hat nicht jemand eine Idee wegen der drei, direkt Mandate!

    • @Ringelnatz1:

      zustimmen, zuhören

    • @Ringelnatz1:

      Gib die Hoffnung nicht auf...

      Okay war Sarkasmus, die Linke war für mich schon immer unwählbar, aber das hatte andere persönliche Gründe.

      Bekannte haben mir folgendes Video vom Parteitag zugeschickt.

      www.reddit.com/r/d...um=web2x&context=3

      Es gibt da durchaus sehr vernünftige Leute, bei denen auch ich jedem Wort zustimmen würde, wie Sie schon sagten, es waren andere Beiträge, die mich sprachlos zurück ließen.

      • @Sven Günther:

        "die Linke war für mich schon immer unwählbar"

        Also was bleibt? Nichts.



        Oder etwa FDP, SPD oder gar CDU oder AfD? Grün bei der Berliner Verkehrspolitik?

        Konsequenterweise müsste man also der Wahl fernbleiben.



        Das Blöde ist, wenn einer der etablierten Parteien mehr als 10% bekommen, sprechen die von Wählerauftrag und Verantwortung und den ganzen Quatsch.

      • @Sven Günther:

        Punktlandung!



        Danke.



        Ich hatte im Spiegel den Beitrag von Sofia Fellinger »Sollen die Ukrainer die russischen Panzer umarmen?« gelesen und als- älterer- Mensch in der Tube versucht den zu finden. O.E.!

        • @Ringelnatz1:

          Ich schließe mich an.

          Von solchen Stimmen sollte Die Linke ein paar hundert, ach was tausend mehr haben.

          Die könnten den Beton-Antiimperialisten Paroli bieten.

          Off-topic: Schlaft ihr eigentlich nie?

          • @Jim Hawkins:

            OFF-TOPIC1:



            Gelegendlich schon!;-)



            Hier is so scheiß, schwül inne Penthouseplatte!



            Dann lüfte, lüfte ich im Sauseschritt und bring och noch'en bischen Liebe mit...!



            Denn die Liebe, Liebe....( nun jetzt nicht altersmäßig übertreiben) macht viel Spaß, viel mehr Spaß als irgendwas....



            Na ja, zwischendurch schreibt man halt....

            • @Ringelnatz1:

              Was soll ich sagen?

              Bei mir läuft die ganze Nacht der Ventilator.

              Summer in the City.

              Und das kriege ich auch nicht mehr auf die Reihe:

              "But at night, it's a different world



              Go out and find a girl"

              • @Jim Hawkins:

                Ick muß so lachen!



                Gilt für uns beide!



                @GREGOR VON NIEBELSCHÜTZ

  • Es ist und bleibt ein Trauerspiel…

  • Keine Waffen an die Ukarine --- alles klar - lieber warten auf den globalen 'Arbeiteraufstand' der Pazifisten , die sich weigern Rüstungsgüter in Italien (für die Ukraine) oder woanders , für Russland zu transportieren, wie es heute ein Delegierter aus NRW sagte -

    Good By - Lenin ??? Ihr vermasselt den Neu- Start ........ mit solch Wegbücken aus der Verantwortung - wer war noch der Aggressor ?