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Streit um WahlrechtsreformAbstriche an falscher Stelle

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die Ampel will den Bundestag abspecken und Gewählte draußen lassen. Besser wären weniger Wahlkreise. Oder gleich alles beim Alten zu lassen.

Der Plenarsaal im Bundestag: Die Ampel will nicht mehr alle Gewählten reinlassen Foto: Michael Kappeler/dpa

B undestagsabgeordnete sind ja für vieles zu gebrauchen. Zeitenwenden mit 100 Millarden abfedern. Alle Welt mit 9-Euro-Tickets in Busse und Bahnen quetschen. AfD-Abgeordnete nicht wählen. Nur wenn es um Reformen geht, die sie selbst betreffen, stehen sie sich im Weg. Das zeigt die Debatte um eine Wahlrechtsreform, mit der das Parlament verkleinert werden soll. Was da aktuell auf dem Tisch liegt, ist – man kann es gar nicht anders nennen – nur noch irre.

Die Ampelkoalition will allen Ernstes nicht mehr alle Gewählten in den Bundestag lassen. Wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr laut Zweitstimmen zustehen – wie das regelmäßig bei der CSU in Bayern der Fall ist – sollen die Gewinner mit den schlechtesten Wahlkreisergebnissen keinen Sitz mehr bekommen. Wer einen starken Gegner hatte und daher nur einen knappen Vorsprung, flöge raus. Das ist undemokratisches Lotto.

Kein Wunder, dass die Union bereits lauthals tönt, vors Verfassungsgericht zu ziehen. Zu Recht. Allerdings ist der Gegenvorschlag, den die Union präferiert, noch irrer. Er verzerrt das Wahlrecht extrem zugunsten der Großen. Hätte es bei der letzten Wahl gegolten, hätten Grüne, FDP und Linke nur jeweils rund die Hälfte ihrer Sitze bekommen. Die CSU hingegen hätte in einem kleineren Bundestag noch 17 Abgeordnete mehr als jetzt. Klar, dass das der Union gefällt.

Kurz gesagt: Beide Modelle gehören in den Schredder, weil sie das Grundproblem nicht angehen. Wenn es zu viele Wahl­kreis­ge­win­ne­r:in­nen gibt, dann muss man die Zahl der Wahlkreise reduzieren. Und wenn auch das zu kompliziert ist, dann sollte man die Reform besser abblasen. Auch weil schon jetzt vermehrt Abgeordnete über die Arbeitsbelastung stöhnen. Würde das Parlament verkleinert, kann man Parlamentarier gleich reihenweise in die Burn-out-­Rehazentren schicken.

Klar, ein großer Bundestag kostet. Aber ein Parlament, das wenigstens in Ansätzen Bürgernähe zulässt, weil Abgeordneten noch Zeit bleibt, das sollte einer Demokratie lieb und teuer sein.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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6 Kommentare

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  • Ich verstehe die Aufregung nicht, warum es undemokratisch sein sollte, wenn jemand mit z.B. 25% relativer Mehrheit den Sitz nicht erhält. Immerhin haben dann dreimal so viele Wähler ihn/sie NICHT gewählt. Die Idee der Ampel ist sehr zu begrüßen und würde endlich die Größe des Bundestages auf die 598 Mandate festzurren.

    Schon heute kann es passieren, das Wahlkreise überhaupt nicht vertreten sind. Scheidet ein direkt Gewählter Kandidat in der Legislaturperiode aus (durch Rücktritt/Tod), dann wird der freie Platz durch den nächsten Landeslistenplatz vergeben, und dieser ist in der Regel keiner aus dem Wahlkreis (ist zumindest sehr unwahrscheinlich). Darüber hat sich bisher niemand beschwert. Die Argumentation der Union ist scheinheilig, vor allem da sie selbst eine vernünftige Änderung bis zuletzt blockiert hat.

    Und auch sonst gibt es Ungleichgewichte: Manche Wahlkreise haben nur ihren Direktkandidaten, andere vielleicht 3-5 Vertreter durch Listenkandidaten anderer Parteien. Und keiner findet das undemokratisch, warum auch?

    Beim aktuellen System haben wir demnächst sonst über 800 Abgeordnete, daraus folgernd aufgeblähte Ausschüsse, was deren Arbeitsfähigkeit einschränkt.

  • Die CDU hatte jahrelang Zeit die Reform zu realisieren und meckert jetzt. Egal wie man es sieht, den Bundestag deutlich zu verkleinern ist ein Erfolg. Ich befürchte nur, dass jetzt unzählige neue Berater/Beauftragte Pöstchen geschaffen werden, um das Klientel zu versorgen und die können dann noch nicht einmal abgewählt werden.

  • undemokratisch ist es genauso, wenn Leute in ihrem Wahlkreis nicht gewonnen haben, aber dann durch die Liste in den Bundestag einziehen.

  • Habe ich die Satire nicht verstanden? Wenn es nicht mehr klappt die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren alles beim Alten lassen? Die Bundestagsgröße ist so absurd monströs, das sie dringendst der Verkleinerung bedarf.

    Wenn sich da nichts tut, gründe ich vor der nächsten Bundestagswahl eine Partei, deren einziges politisches Ziel die Verkleinerung des Bundestages auf 500 Sitze ist. Ich erwarte einen Stimmenanteil über 25% - wir werden sehen.

  • Das deutsche Wahlrecht

    Szenario 1



    Fünf Parteien, alle sind gleich, die CDU ist gleicher und hat in allen Wahlkreisen eine Erststimme mehr.



    Die CDU erhält 300 Direktmandate davon 180 Überhangmandate und alle anderen Parteien bekommen, da sie (fast) gleich viel Zweitstimmen haben, ebenfalls 300 Mandate davon 180 Ausgleichsmandate, macht in Summe 1500 Abgeordnete.

    Szenario 2



    Die FDP Zweitstimmen Kampagne ist erfolgreich.



    Die CDU bekommt alle Erststimmen und damit 300 Direktmandate. Die FDP alle 40 Millionen Zweitstimmen, außer die von Wolfgang Schäuble. Sie hat damit Anspruch auf 40 Millionen mal mehr Sitze als die CDU, das sind 300 x 40 Millionen insgesamt 18 Milliarden Sitze.

    Szenario 3



    Wie Szenario 1 aber zwanzig Parteien, alle sind gleich, die CDU ist gleicher und hat in allen Wahlkreisen eine Erststimme mehr.



    Die CDU erhält 300 Direktmandate, alle anderen Parteien scheitern ganz ganz knapp an der 5% Hürde. Es bleibt bei 600 Mandaten die alle an die CDU gehen.

  • Nur noch irre, Politikern die nicht mal 25% erreicht haben, einen Anspruch zuzugestehen. Direktmandat ging als wir drei Parteien hatten, aber seit sich die SPD aufgesplittert hat, selber schuld.