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Parlamentswahlen in FrankreichIm Haus Macron riecht es angebrannt

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Kurz nach den Präsidentschaftswahlen bekommt Macron den ersten Denkzettel: Bei den Parlamentswahlen kommt das linke Wahlbündnis von Mélenchon nahe.

Mélenchons Reaktion auf das Wahlergebnis

F ür Präsident Emmanuel Macron wird das Regieren in Frankreich nach den Parlamentswahlen kompliziert. Aufgrund der Ergebnisse der ersten Runde könnte er seine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verlieren. Falls seine Koalition aber am kommenden Sonntag weniger als die Hälfte der 577 Abgeordnetensitze erringt, muss er für Kompromisse vermutlich den Konservativen politische Zugeständnisse machen, die bisher in der Opposition waren. Noch ist nichts verloren für Macron und seine Allianz „Ensemble!“, doch in Anbetracht der enttäuschenden Ergebnisse für mehrere kandidierende Mi­nis­te­r*in­nen und andere prominente „Macronisten“ riecht es ein wenig angebrannt. Die linke Wahlunion NUPES dagegen jubelt schon, und ihr linkspopulistischer Chef Jean-Luc Mélenchon will weiterhin glauben machen, dass er Frankreichs nächster Premierminister werde.

Die französische Republik hat ihre Besonderheiten, die – selbst mit freund- oder nachbarschaftlichem Wohlwollen betrachtet – manchmal etwas eigenartig anmuten. Nur gerade sieben Wochen ist es her, dass die Französinnen und Franzosen ihren Präsidenten mit mehr als 58 Prozent der Stimmen wiedergewählt haben. Und nun wollen die Bür­ge­r*in­nen den Präsidenten bereits wieder desavouieren oder in die Schranken weisen.

Der Urnengang am Sonntag war die beste Gelegenheit, ihn zu etwas weniger Arroganz zu mahnen. Denn bei den Präsidentschaftswahlen hatte Macron ja im ersten Wahlgang das Vertrauen von nur 28 Prozent der Stimmen erhalten. In der Stichwahl optierten dann aber viele lediglich für ihn, weil sie ihn als kleineres Übel im Vergleich mit der Rechtsextremen Le Pen vorzogen. Das relativiert die Mehrheit, mit der Macron – ähnlich wie schon seine Vorgänger – im Finale schließlich gewonnen hat.

In solchen Fällen aber bleibt immer ein ungutes Gefühl oder gar der Vorwurf, er sei ja gar nicht als Kandidat einer echten Mehrheit des Volks gewählt worden. Die Stimmberechtigten wollten ihm das nun auf ihre Art in Erinnerung rufen. Dass die Allianz der Regierungsparteien „Ensemble!“ nach den definitiven Ergebnissen nicht klar führt, sondern praktisch ex aequo mit der linken Union NUPES (Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale) gleich zieht, ist allein schon eine Schmach für die bisherige Mehrheit und ihren Staatschef.

Gerade weil zudem in Frankreich der Staatschef über fast beängstigend große Machtbefugnisse verfügt, haben die Bür­ge­r*in­nen ohnehin regelmäßig das Bedürfnis, ihrem gewählten „Monarchen“ einen Denkzettel zu erteilen. Die Regeln der Wahldemokratie geben ihnen die Mittel dazu. Und voraussichtlich kommt Präsident Macron eigentlich noch glimpflich davon, falls nicht völlig wider Erwarten die NUPES mit einem Erdrutschsieg eine Mehrheit erhält. Denn zwei seiner Vorgänger (François Mitterrand und Jacques Chirac) mussten nach verlorenen Parlamentswahlen in einer „Cohabitation“ mit einem politischen Gegner als Premierminister auskommen und ihre Macht teilen. Dass in der zukünftigen Nationalversammlung die Oppositionsparteien wesentlich stärker als bisher sind, kann die Demokratie in Frankreich nur beleben.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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4 Kommentare

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  • "Die linke Wahlunion NUPES dagegen jubelt schon, und ihr linkspopulistischer Chef Jean-Luc Mélenchon..."

    Was sagt es eigentlich über unser Land, dass Linke ständig als radikal oder populistisch etikettiert werden?



    Macht man das, damit SPD oder gar Grüne noch ein wenig links erscheinen oder einfach nur um allem Linken einen schmuddeligen Touch zu verleihen?

    • @Nansen:

      "Was sagt es eigentlich über unser Land, dass Linke ständig als radikal oder populistisch etikettiert werden?"

      Wieso "etikettiert werden?"

      So sieht die Führung der Linkspartei die Partei schon selber. Kipping, ehemalige Linke-Chefi war „Großer Fan von Linkspopulismus“ www.welt.de/print/...nkspopulismus.html.

      Und der Gelbwesten-Wagenknecht-Flügel auf der anderen Seite der LP brachte vor kurzem dann das Konzept der "populären Linke" auf den Teppich. ... www.tagesspiegel.d...lich/24012626.html

      Den "schmuddeligen Touch" muss man also der Linkspartei nicht erst von extern zuschreiben. Das macht ihre Partei schon selber.

  • Historisch einmalige Blamage für einen Präsidenten

    Zitat: „Nur gerade sieben Wochen ist es her, dass die Französinnen und Franzosen ihren Präsidenten mit mehr als 58 Prozent der Stimmen wiedergewählt haben. Und nun wollen die Bür­ger den Präsidenten bereits wieder desavouieren oder in die Schranken weisen.“

    Nun, die 58% waren eine Nolens-volens-Ergebnis, ein Drittel der Wählerschaft wollte lediglich MLP verhindern und hätten dazu auch einen Besenstiel gewählt. Die Parlamentswahlen haben nun die realen Kräfteverhältnisse wieder abgebildet, und da ergibt sich eine historische Einmaligkeit in der V. Republik: Noch nie hat ein neu gewählter Präsident Frankreichs bei den anschließenden Parlamentswahlen derart wenig Wähler für sein Lager mobilisieren können, nämlich gerade mal jeden vierten. Ohne das absolute Mehrheitswahlrecht, das durch den gezielten und manipulativen Wahlkreisezuschnitt traditionell das bürgerliche Lager bevorteilt, stünde Macron jetzt ohne parlamentarische Mehrheit da, eine Blockade, die die politischen Kräfteverhältnisse in Lande sehr viel adäquater widerspiegelt und die classe politique zu einem substantiellen Richtungswechsel zwingen würde. So aber werden die Macronisten nach dem zweiten Wahlgang wohl knapp die Parlamentsmehrheit behaupten und danach so weiterwursteln können wie bisher.

    Schade nur, daß Rolf Balmer, der sich ansonsten durch seine eher chronistenhaft verfaßten Artikel ohne nervige volkspädagogische Nötigung zu Parteinahme von machen seiner Pariser Korrespondenten-Kollegen angenehm hervortut, diesmal dem rhetorischen Herdeninstinkt erlegen ist, Mélanchon das Etikett „Linkspopulist“ anzukleben (aber wenigsten nicht „Linksradikaler“ wie heute der „Spiegel“...)

  • In den westlichen 'Demokratien' werden fast nur noch kleinere Übel gerwählt, wenn die Menschen denn überhaupt noch wählen. Diese Ohnmacht der Völker gegenüber den Regierenden, die eigentlich ihre Interessen vertreten sollten, es aber nicht tun, kommt aus der Perspektivlosigkeit, das die alles beherrschenden Wirtschaftsgiganten, die den (übrig gebliebenen) 'Wohlstand' in den jeweiligen Ländern mehren oder einschränken können je nach Kassenlage, bei den Abgehängten hinterlassen. Überalterte Gesellschaften, deren Staaten sich inzwischen fast überall aus Schulden finanzieren ohne eine glaubwürdige Chance, dass die jungen Menschen sie jemals abtragen könnten, im Gegenteil die Einkünfte durch Inflation und Arbeitslosigkeit aufgrund schrumpfender Konjunkturerwartungen weiter abwerten lassen, haben keine Zukunft mehr und das in Zeiten, wo wir alle Mitstreiter*innen und Kräfte brauchen, um das Schlimmste in der Klimakatastrophe zu verhindern.