Stichwahlen in Frankreich: Macrons taktisches Dilemma
Im entscheidenden Durchgang der Parlamentswahlen stehen sich oft zwei Kandidat*innen gegenüber. Das bringt das Macron-Lager in eine Zwickmühle.
PARIS taz | Nur fünf Kandidat*innen haben im ersten Durchgang der französischen Parlamentswahlen ihren Abgeordnetensitz auf Anhieb errungen. Vier davon gehören zur linken Volksunion Nupes, die immer noch hofft, den Staatspräsidenten Emmanuel Macron im zweiten Wahlgang um seine Mehrheit in der Nationalversammlung zu bringen. Im ersten Durchgang lag das Macron-Lager nur hauchdünn vor der linken Union. In fast allen Wahlkreisen kommt es am Sonntag zu Wahlduellen, nur in ganz wenigen Fällen konnten sich drei Kandidat*innen für das Finale qualifizieren.
Das ist die Konsequenz eines Wahlsystems, das die Sitze nicht nach den prozentualen Ergebnissen von Listen zuteilt. In wenigen Fällen haben sich Drittplatzierte von Nupes freiwillig zurückgezogen, damit nicht die extreme Rechte das Rennen macht.
Vor einem Dilemma steht nun Macrons politische Allianz Ensemble, wenn in den Wahlduellen Vertreter*innen der Nupes gegen die extreme Rechte von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) antreten. Wie soll da die Wahlempfehlung für die Finalrunden ohne eigene Bewerber*innen lauten?
Für die bürgerliche Rechte ist da die Sache klar: Sie empfiehlt ihren Anhänger*innen, gar nicht zwischen „Extremisten“ von links und rechts zu wählen. Doch für die Macronisten, die sich politisch in der Mitte und sowohl links wie rechts situieren, wird die Antwort auf die taktische Frage der Wahlparole schon komplizierter.
Sollen sie generell oder nur von Fall zu Fall die linke Nupes, eine Allianz von Sozialisten, Kommunisten und Grünen mit Jean-Luc- Mélenchons France insoumise (LFI), gegen das rechtsextreme RN unterstützen? Oder sich für neutral erklären und die Wahl den Bürger*innen überlassen oder empfehlen, einen leeren Wahlzettel in die Urne einzulegen?
Macrons Mehrheit wackelt
Da für den Staatspräsidenten bei diesen Wahlen die Linke eindeutig der Hauptgegner ist, fällt es seiner Allianz erst recht schwer, der an die Macht drängenden Nupes irgendeinen Vorzug zu geben – oder sie für weniger gefährlich zu erklären als Marine Le Pens Kandidat*innen.
Wie sehr der Präsident selbst beunruhigt ist, belegt sein Appell auf seiner Reise nach Rumänien und Moldawien in den vergangenen Tagen. Vor dem Abflug ersuchte er seine Landsleute, ihm „im höheren Interesse der Nation“ am Sonntag eine „klare und solide Mehrheit“ zu geben. Diese benötige er, um seine Reformen zu verwirklichen, seine Außenpolitik fortzusetzen und den Einfluss Frankreichs in der Welt geltend zu machen.
Bei einer Nupes-Wahlveranstaltung in Toulouse am Dienstagabend höhnte Jean-Luc Mélenchon, der selbst nicht für einen Abgeordnetensitz antritt: Ob Macron nun jedes Mal einen solchen „Sketch auf der Landepiste“ vorhabe? Doch seine eigene Linie ist kaum klarer. In den 108 Wahlkreisen, in denen die Nupes ausgeschieden ist, lautet die Devise der Wahlunion lediglich: „Keine Stimme für die extreme Rechte.“
Genau das hatte Mélenchon auch für die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen gesagt, an der er als Drittplatzierter nicht teilnehmen konnte. In sieben Fällen allerdings empfiehlt die Nupes explizit, Kandidat*innen der bisherigen Regierungsmehrheit zum Sieg über den RN zu verhelfen.
Ende der „republikanischen Front“?
Lange gab es in Frankreich die stillschweigende Regel der „republikanischen Front“, um eine Wahl von Leuten der Le-Pen-Partei zu verhindern. Damit sollte verhindert werden, dass die Politiker*innen einer rassistischen Rechten die Legitimität einer parlamentarischen Vertretung erhalten. Die linken Parteien haben diese Regel konsequent respektiert.
Nach einigem Hin und Her will sich nun Macrons Allianz Ensemble grundsätzlich an diese Tradition halten, und ihre Wähler*innen auffordern, keine RN-Leute zu wählen. Ebenso wenig aber komme es in Frage, Nupes-Kandidat*innen den Vorzug zu geben, wenn diese „die Werte der Republik nicht respektieren, die Polizisten beschimpfen, die Ukraine nicht unterstützen oder aus Europa austreten wollen“. So wenigstens versuchte Premierministerin Elisabeth Borne eine Trennlinie zu definieren. Wer damit nicht zufrieden ist, muss selbst entscheiden.
Leser*innenkommentare
Dietmar Rauter
Populisten scheuen die Realität. Allerdings kann bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 % jedes falsche Bündnis mit rechts der Zündfunken sein, gegen den die Feuerlöscher im Elysee-Palast nicht mehr ankommen. Es lebe die deutsch-französische Freundschaft (bitte ohne den Einfluß der Konzerne) !
655170 (Profil gelöscht)
Gast
Ich hoffe sehr, dass Macron für all seine Scheinversprechen richtig abgestraft wird.
Macron ist sowas wie Schröder in D war: Den einfachen euten das Blaue versprechen - und dann den Reichen und Gutsituierten zulasten eben dieser einfachen Leute die Taschen vollstopfen.
Und gibt's Proteste, dann wird der Macron-Polizeiknüppel in Marsch gesetzt.
In D wurde Schröder zugunsten einer rechten Regierung aus dem Amt gekegelt, die allerdings eine deutlich sozialere (Achtung: Komparativ, kein Positiv!) Politik machte, als der Schein-Sozialdemokrat Schröder.
Macron werden die Franzosen so schnell nicht los. Aber der erste Schritt kann morgen gemacht werden.
Rudolf Fissner
@655170 (Profil gelöscht) Frankreich hat die höchste Sozialquote weltweit. Ich halte ihr "den Reichen und Gutsituierten zulasten eben dieser einfachen Leute die Taschen vollstopfen" für populistischen Unsinn.
Nansen
Ich verstehe das Dilemma jetzt so:
Bei der Präsiwahl war jede/r Linke verachtungswürdig, wenn er nur daran dachte NICHT zu wählen. Nein nein, Linke hatten Macron zu wählen um Le Pen zu verhindern!
Nun im möglichen umgekehrten Fall ist es i.O. wenn die Macronen NICHT wählen, weil man ihnen nicht zumuten kann Nupes zu wählen um RN zu verhindern.
...
Hmmm. Warum dachte ich mir nur, dass das so kommt?
Rudolf Fissner
@Nansen NUPES ist eine Partei.
Bei den Präsidenten-Wahlen wurde ein Mensch gewählt, keine Partei.
Nansen
@Rudolf Fissner Ihre Argumentation ist wie immer phantastisch.
Rudolf Fissner
@Nansen Na ja, sie ist ja auch nicht mal eine Partei und als Bündnis aktuell auch schon am zerbröseln. Das währe keine nachhaltige gute Wahl gewesen.