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Green Deal der EUKlima-Streber? Das war einmal

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Der zentrale Teil des EU-Klimapakets ist beschlossen. Der neue Kompromiss ist besser als der alte – aber der Treibhausausstoß sinkt so zu langsam.

Badegäste beim Kraftwerk Boxberg Foto: Stefanie Loos

K ein Krieg, kein Putin, keine Pandemie, keine Lieferkette kann je verhindern, dass Europa zur Öko-Supermacht wird. So dachten sich das wohl einst die Erfinder des EU-Klimaschutzpakets. Nun wurde im Europäischen Parlament das Herzstück des Green Deal beschlossen – aber auch wegen des Überfalls Russlands auf die Ukraine ist alles viel weniger klimagerecht geworden.

Die absurd boomenden Energiepreise führen sogar zunächst zum Ausbau der fossilen Infrastruktur. Wann sie auch zu deren Ende beitragen – derzeit nicht endgültig absehbar. Nicht umsonst warnt FDP-Finanzminister Christian Lindner vor drei, vier, fünf schwierigen Jahren mit Wirtschaftsflauten und Inflation, also mehr Arbeitslosigkeit und Armut.

Ein fieses Umfeld für „Fit for 55“. Schafft die EU es also, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mehr als die Hälfte zu senken? Antwort: leider jein. Es war richtig, dass Sozialdemokraten und Grüne vor zwei Wochen das EU-Paket mit der Reform der Emissionshandels, Klimasozialfonds und CO2-Zoll an den EU-Außengrenzen im Parlament mit einem Riesenknall haben durchfallen lassen. Denn der neue Kompromiss ist besser geworden.

Aber: Das Paket ist wieder Ergebnis dieses EU-Gewurschtels, das Europa häufig so nervtötend langsam macht. Mit dem Klimavotum haben die EU-Parlamentarier in diesem Fall aber nicht nur Halbgares, sondern auch den Klima-Offenbarungseid absegnet: Die Treibhausgasemissionen zwischen Lissabon und Tallinn sinken damit zwar – ohne neue Katastrophen – um über 3 Prozent im Jahr. Aber das ist schlicht zu wenig, um die Erderhitzung bei 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit abzubremsen. Zudem: Die noch bevorstehenden Verhandlungen mit den 27 EU-Staaten dürften das Ergebnis nicht verbessern. Klima-Streber Europa? Das war einmal.

Hü-und-Hott-Politik

Der globale Hitzesuizid ist immer noch beliebt für Sonntags-Blabla, aber bei Konflikt und Krise nur zweite Wahl. Wie fragil die EU-Klimapolitik derzeit ist, zeigt sich auch am Verbot von neuen Verbrennerautos auf Europas Straßen ab 2035.

Hier betreibt die FDP eine Hü-und-Hott-Politik: Noch im März hatte sie nichts mehr gegen ein Ende neuer Stinker in der EU, nun wollen die Liberalen mindestens eine Enthaltung Deutschlands in Brüssel erzwingen. Gefährlich fürs Klima und nah am Koalitionsbruch, weil sich gegen das Votum der PS-Nation Deutschland wohl in der Frage nichts bewegen wird.

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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10 Kommentare

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  • Mit jedem Tag wird die Katastrophe der von der Industrie geblendeten Politiker größer. Denken sie überhaupt an eine andere 'Zukunft' als ihre eigene ? Hauptsache die Bosse, die in ihrem Profitwahn die Erde unbewohnbar machen, haben noch einmal gut gelebt. Wo ist der Unterschied zu den russischen Oligarchen? Dass sie Habeck machen lassen und wir das kritisieren dürfen ?

  • Klima-Streber? Auch die EU hat inzwischen gemerkt dass sie allein nicht das Weltklima verändern kann. Das geht nut gemeinsam. Man muss also reden!

  • In den diversen Krisen zeigt sich, was die europäischen Politiken und Gesellschaften für wichtig halten: Wirtschaften wie bisher oder Kampf der Klimakatastrophe. Das Wirtschaften wie bisher gewinnt .... wie immer.



    Echte Alternativen, die die sozialen und gesellschaftlichen Folgen eines anderen Wirtschaftens bedenken und Lösungen vorschlagen, sind ja bisher ernsthaft noch nicht einmal andiskutiert.



    Wir scheitern ja bereits an der Frage, ob die in der Pandemie immer schneller wachsenden Vermögen der oberen 10% der Vermögenspyramide (dito bei den hohen Einkommen) nicht massiv besteuert werden müssen, um soziale Ausgleichsmaßnahmen zu finanzieren.



    Und solange unser Wirtschaftsmodell immer nur im Wachstumsmodus funktioniert, werden die Ressourcen des Planeten weiterhin ausgeplündert und zerstörte und unbewohnbare Regionen zurückgelassen. Das ändert sich auch nicht dadurch dass das erhoffte Wachstum nun grün angemalt wird. Jedes Wirtschaftswachstum ist mir steigendem Ressourcenbedarf verknüpft. Auch das grüne Wachstum.

    • @Favier:

      Wachstum bedeutet nicht gleich mehr Ressourcenbedarf. Wenn ich mit den gleichen oder weniger Ressourcen jetzt das Doppelte produziere, habe ich genauso Wachstum. Die immer gleichen ideologischen Vorschläge der Linken aus der Mottenkiste des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wollen die Leute einfach nicht mehr hören. Es ist übrigens nicht nur unser Wirtschaftsmodell das ohne Wachstum nicht funktioniert sondern ganz besonders unser Sozialstaat. In einer Demokratie werden sich die Menschen niemals freiwillig für weniger Wohlstand entscheiden. Deshalb müssen ganz dringend Innovationen her und das von Ihnen geschmähte grüne Wachstum. Die von Ihnen gewünschten Stuhlkreise mit Diskussionsrunden über die nächste Weltrevolution sind reine Zeitverschwendung und damit Teil des Problems und nicht der Lösung.

      • @Šarru-kīnu:

        Bisher ist ein Wachstum ohne gleichzeitig steigenden Ressourcenverbrauch nicht mehr als eine Idee. Noch nie realisiert, Wunschtraum aller grünen Wachstumsfetischisten. Und der Verweis auf die dazu notwendigen Innovationen ist hanebüchen. Die Klimakatastrophe hat mehr Tempi als die Breitenwirksamkeit von Innovationen.



        Hierbei handelt es sich um einen "Glaubensartikel". Die einen glauben an Gott die andern an Innovationen. Beides wird die Menschheit nicht retten.



        Und das wir Menschen auf unseren Wohlstand nicht verzichten wollen, war Prämisse meines Ursprungsbeitrags

      • @Šarru-kīnu:

        Mit den gleichen oder weniger Ressourcen das Doppelte produzieren klingt aber noch viel mehr nach Ideologie. Und zwar nach Wirtschaftsliberaler. Wohlstand ist auch eine Frage der Verteilung und nicht nur des Wachstums. Immer mehr Kapital konzentriert sich auf einige wenige. Das ist auch keine Ideologie sondern die bittere Realität.

        • @Andreas J:

          Das ist doch keine Ideologie sondern einfach nur die Realität. Ich gebe Ihnen mal ein ganz einfaches Beispiel. Soviel Tonnen Kohle wurde benötigt um eine Tonne Rohstahl zu produzieren. 1830. 5,0 t. 1840. 2,5 t. 1900. 1,0 t. 2000. 0,5 t



          Effizienssteigerungen sind der normalste Vorgang auf der Welt und wir brauchen jetzt ganz schnell ganz viel davon.

          • @Šarru-kīnu:

            Und trotzdem steigt der globale Ressourcenverbrauch stetig weiter an. Die Effizienzgewinne im Kapitalismus führen ohne politischen Druck nicht zu Nachhaltigkeit.

          • @Šarru-kīnu:

            Und um wie viel wurde die Stahlproduktion ausgeweitet?



            Sie Effizienzsteigerungen haben sich ihn massiven Mehrverbrauch/Mehrbedarf übersetzt



            Auch Automotoren sind sehr viel effizienter geworden. Dafür wurden die Autos schwerer und enthalten viel mehr Elektronik. Der Spritverbrauch je km hat sich dadurch nicht verändert.



            Effizienzgewinne führen nicht automatisch zu einer nachhaltigere Produktion



            Und schnell schon gleich gar nicht. Das waren alles jahrzehntelange Prozesse.

            • @Favier:

              Vergleichen Sie doch einfach mal die durchschnittlichen Verbrauchswerte von Autos aus den 90ern mit heute und Sie werden feststellen wieviel weniger Sprit wir heute pro km bereits verbrauchen. Ich weiß es ist immer problematisch wenn die Realität nicht zur eigenen Ideologie passen will. Hauptproblem ist doch eher, dass wir noch vor 100 Jahren kaum ein Fünftel der aktuellen Bevölkerung auf dem Planeten versorgen mussten. Der durch den Kapitalismus entstandenen Wohlstand hat zu einer Bevölkerungsexplosion geführt um es mal zuzuspitzen. Mit der gleichen Populationsdichte wie vor 100 Jahren, wäre unser Verbrauch deutlich weniger problematisch.