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Sorge vor Engpässen im WinterMilliarden für volle Gasspeicher

Wirtschaftsminister Habeck will Unternehmen Geld geben, wenn sie ihren Gasverbrauch reduzieren. Auch das Füllen der Speicher soll gefördert werden.

Einer der größten Gasverbraucher der Republik: das Chemiewerk der BASF in Ludwigshafen Foto: Michael Probst/ap/picture alliance

Berlin taz | Die Zahlen lassen keinen Zweifel zu: Russland setzt Erdgaslieferungen jetzt als politische Waffe ein. In Greifswald an der vorpommerschen Ostseeküste, wo die Nord-Stream-1-Pipeline endet, ist die Gasmenge, die täglich aus Russland ankommt, in den letzten Tagen um 60 Prozent gesunken. Dass das kaum an einer defekten Verdichterstation liegen dürfte, wie der russische Staatskonzern Gazprom behauptet, zeigt ein Blick auf die zweite Pipeline mit russischem Gas, die im bayerischen Waidhaus ankommt: Dort sind die importierten Gasmengen in der letzten Woche sogar um 70 Prozent eingebrochen. Und durch die dritte Pipeline, die von Russland durch Weißrussland und Polen nach Deutschland führt, fließt schon seit Mitte März praktisch kein Gas mehr.

Der Bundesregierung bereitet diese Entwicklung große Sorge. „Die Situation ist ernst“, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Sonntag. Denn dass die Lieferungen jetzt schon im Sommer sinken, gefährdet die Strategie, mit der sich Deutschland auf den nächsten Winter vorbereitet: Damit ein russischer Lieferstopp dann nicht zu kalten Wohnungen und einem massiven Wirtschaftseinbruch führt, müssen die Gasspeicher in Deutschland über den Sommer möglichst komplett gefüllt werden.

Denn wenn die Speicher voll sind, lässt sich damit ein Viertel des Jahresverbrauchs Deutschlands decken; zusammen mit den Lieferungen, die Deutschland aus Norwegen und den Niederlanden sowie künftig auch über Flüssigerdgas-Importe aus anderen Ländern erhält, gäbe es damit auch im nächsten Winter genug Gas.

Die Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, dass sich die Speicher trotz der verminderten russischen Lieferungen derzeit weiter füllen. „Noch können die ausfallenden Mengen ersetzt werden“, berichtet Habeck. Aber das könnte sich in der nächsten Zeit ändern, denn auch in anderen europäischen Ländern kommt weniger russisches Gas an, sodass die Nachfrage nach den alternativen Quellen weiter steigen dürfte. Für Habeck ist darum klar: „Der Gasverbrauch muss weiter sinken.“

Kosten auf den Gaspreis aufgeschlagen

Um das zu erreichen, hat die Bundesregierung jetzt ein Auktionsmodell angekündigt. Dabei sollen Industriebetriebe eine Vergütung erhalten, wenn sie ihren Gasverbrauch reduzieren und damit auf Gasmengen verzichten, die sie sich vertraglich bereits gesichert haben. Ermittelt werden soll die Höhe der Vergütung in einem auktionsähnlichen Verfahren, teilte das Wirtschaftsministerium mit.

Die Kosten sollen von den Gasnetzbetreibern über eine Umlage auf den Gaspreis aufgeschlagen werden. Die Details des Verfahrens und die Kosten, die damit verbunden sind, stehen noch nicht fest, teilte das Ministerium mit. Auch die Bundesnetzagentur, die für die Umsetzung zuständig ist, äußerte sich am Sonntag dazu auf Anfrage nicht.

Anders als für die Industrie ist für private Ver­brau­che­r*in­nen bisher kein zusätzlicher finanzieller Anreiz vorgesehen, wenn sie ihren Verbrauch reduzieren. Hier belässt es die Regierung bei einer Info-Kampagne zum Energiesparen und vertraut darauf, dass der Verbrauch durch die gestiegenen Kosten sinkt.

Denn zeitgleich zum Rückgang der Gas­importe aus Russland ist der Preis für Erdgas wieder deutlich gestiegen: Der Börsenpreis für eine Megawattstunde vereineinhalbfachte sich innerhalb weniger Tage von 80 auf 120 Euro. Das ist zwar noch deutlich weniger als kurz nach Kriegsbeginn, als der Preis kurzzeitig auf über 200 Euro gestiegen war – aber ein Vielfaches des Werts vom vergangenen Frühjahr, der bei unter 25 Euro lag.

Durch die aktuell hohen Preise ist es für die deutschen Gasfirmen riskant, Gas einzuspeichern, weil unklar ist, zu welchem Preis sie es im Winter wieder verkaufen können. Falls sie die vom Staat vorgegebenen Speicherfüllstände von 80 Prozent bis zum 1. Oktober und 90 Prozent bis zum 1. November nicht erfüllen, kann die Trading Hub Europe, eine gemeinsame Tochtergesellschaft von elf deutschen Ferngasnetzbetreibern, einspringen und die Speicher füllen. Dafür wird die Bundesregierung dem Unternehmen durch die staatliche KfW-Bank in Kürze zusätzliche Kredite zur Verfügung stellen, teilte das Ministerium mit; nach Angaben aus Regierungskreisen geht es dabei um eine Summe von 15 Milliarden Euro.

Als weitere Maßnahme zum Gas­sparen verweist Habeck auf Pläne, die Stromproduktion in Gaskraftwerken zu verringern. Ein entsprechendes Gesetz wurde im Mai in den Bundestag eingebracht. Wenn es im Juli in Kraft tritt, soll es unverzüglich angewandt werden. „Das bedeutet, so ehrlich muss man sein, dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke“, erklärte Habeck. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken.“

Dass diese Maßnahme viel bringt, wird von Experten aber bezweifelt. Denn auf Kraftwerke entfielen im letzten Jahr nur 12 Prozent des deutschen Gasverbrauchs, und dieser Wert dürfte allein durch die gestiegenen Preise weiter sinken. „Bei den aktuellen Erdgaspreisen macht die Verstromung ökonomisch keinen Spaß“, erklärte Felix Mathes vom Öko-Institut. Eingesetzt würden Gaskraftwerke derzeit vor allem dort, wo auch Wärme gebraucht werde oder kurzfristige Flexibilität gefragt sei. Kohlekraftwerke können beides kaum bieten. Sehr viel entscheidender für den Rückgang des Gasverbrauchs sind darum die Industrie, auf die 2021 rund 37 Prozent des Erdgasverbrauchs entfiel, und die Privathaushalte, die 31 Prozent des Gases verbrauchen.

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29 Kommentare

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  • Die IG Metall fordert:

    "▸ Krisengewinne abschöpfen - Preistreiber zur Kasse bitten



    ▸ Gaspreis deckeln und Strompreis senken



    ▸ Haushalte auch 2023 sozial gerecht entlasten - Rentner und Studierende einbeziehen"



    www.netigate.se/ra/

    und sammelt dafür Unterschriften.

    www.igmetall.de/po...lastungen-kaempfen

    • 9G
      93851 (Profil gelöscht)
      @Brot&Rosen:

      youtu.be/nocS-cD4whE

      ...so einfach ist das!

  • Da, die Sanktionen gegen Russland scheinbar



    nicht viel bewirken, könnte Nord Stream 2 in Betrieb genommen werden, um weitere soziale Ungerechtigkeiten zu verhindern und Deutschland würde kein Umwelt zerstörendes Fracking-Gas mehr benötigen, was dem Umweltschutz zu Gute käme.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Der eine regt sich hüben auf, der andre regt sich drüben auf.



    Wer hat denn wirklich noch an unendliches Wachstum geglaubt. p.a.3%.



    Mit diesem Mantra orchestriert der Abschaum der Wirtschaftselite unsere



    tagtäglichen Verbrechen gegen die Natur, gegen unsere Lieferanten und letztendlich gegen uns selbst

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Das Reduzieren finanzieren ohne sich zu blamieren… Tempolimit für Fahrzeuge mit Gas-Antrieb wäre sinnvoll. Oder die sollten stillgelegt - oder auf Benzin umgerüstet werden.



    Das Heizen macht uns arm,



    doch Annalenas Charme hält uns alle warm.



    Oder Mensch nimmt sich in den Arm.



    Nimmt uns Habeck auf den Arm?

  • Alles eine Folge des Komplettversagens der Regierung Merkel und der Medien, die Merkel kaum konstruktiv kritisiert haben. Auch von der taz ist mir nichts diesbezügliches bekannt.

  • RS
    Ria Sauter

    Es wird noch schlimmer kommen.



    Nach dieser Chaosregierung wird Merz der nächste Kanzler.

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Ria Sauter:

      Liebe Frau Flieder. Ich habe Sie schonn mal missverstanden. But, wie haben Sie das jetzt gemeint?

    • @Ria Sauter:

      Typisch kurzsichtig: Merkel ist die Ursache der Maßnahmen und die Ideologie der CDU und von Teilen der SPD. Merkel wurde viermal von zu vielen Blindgängern gewählt. Merkels Maxime Machterhalt bis ins Rentenalter müssen die Mittellosen jetzt bezahlen. Dergleichen gabs in der Geschichte schon häufiger. In der Ukraine sterben Zigtausende Unschuldiger und leiden Millionen Unschuldige. Auch wegen der Naivität von Frau Merkel

    • @Ria Sauter:

      Um dann genau was zu tun?

  • Die Umwelt und die armen Leute zahlen dafür, dass die Industrie fürs Gas sparen belohnt wird. Den Politikern ist offensichtlich egal, dass es für die Ärmsten ums Überleben geht. Sollten die Politiker nicht "Schaden vom deutschen Volke abwenden" statt Leute erfrieren zu lassen und dem Hungertod preiszugeben? Lebensmittel mögen verfügbar sein, aber immer mehr von uns können sie nicht bezahlen.

  • Oh... Bewährtes mittel im raubtierkapitalismus. Wir zahlen also den firmen geld. Damit sie uns danach abzocken könen wöfür wir dann bestraft werden wegen co2... Macht nur weiter So

  • Hallo



    schön wäre eine Recherche, welche Teile oder Einzelfirmen "der Industrie" im Gasverbrauch oben stehen.



    So mancher Großverbraucher dürfte mehr verbrauchen wie zigtausende Privathaushalte, warum sollen die dann im kalten sitzen ?

  • 6G
    656279 (Profil gelöscht)

    „Das bedeutet, so ehrlich muss man sein, dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke“, erklärte Habeck. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken.“

    Bitter! Vielleicht etwas weniger bitter, gar kostengünstiger bitter wäre es, für "eine Übergangszeit" NS2 zuzulassen. Natürlich, der Gesichtsverlust dabei ist ebenso bitter.

  • Warum kein Einsparwettbewerb zwischen Industrie und Privatverbrauchern, unter Berücksichtigung von Zahlungen durch das Wirtschaftsministerium? Ist die Industrie vielleicht nicht in der Lage wesentlich Gas einzusparen. Sollen die Privatverbraucher wirklich nur durch ehrenamtliches Sparen Ihren Beitrag leisten und die Gas-Industrie wie die Ölindustrie von Steuergeschenken überschüttet werden?



    Warum werden nicht hohe Einsparungen in Relation des bisherigen niedrigen Verbrauchs honoriert. Damit kämmen selbst gezwungen sparsame Arme noch zu einem Euro, wenn Sie kalte Suppe essen.

    Schon der Hinwies auf die Gaslieferanten und deren "Risiko" zum Wiederverkauf von jetzt zu hohen Preisen eingespeichertem Gas macht deutlich, dass die Gaslieferanten sich lieber eine Milliardenzahlung der kfW zuschieben lassen, als nach Gesetz unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Und das Wirtschaftsministerium macht diesen faulen Deal mit?!

    Wenn Habeck die 15 Mrd. € den Privatverbrauchern (Mietern) auszahlt bekämmen diese endlich einmal die Chance aktiv Einsparungen zu ermöglichen, wovon Ihre Vermieter sie seit Jahrzehnten abhalten.

    • @Sonnenhaus:

      Eure ideen machen mir angst und im beispiel würden alle die bereits sparen leer ausgehen unddie umweltschweine mehr belohnt

      • @Cem:

        Ja, das ist ziemlich zynisch. Das ist genauso wie mit dem Tankrabatt: Große Verbraucher:innen erhalten mehr als andere, oder solche ohne Motorvehikel gehen ganz leer aus.

  • "Die Zahlen lassen keinen Zweifel zu: Russland setzt Erdgaslieferungen jetzt als politische Waffe ein."



    Um die nicht vorhandenen Zweifel auszuräumen, einfach mal NS 2 aktivieren ;-)



    Und : als was setzen "wir" Öl und Gas ein?

  • Da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Selbstverständlich wird Russland zukünftig gerade nur soviel Gas liefern, dass es eben nicht möglich ist, Reserven für den Winter zu speichern. Wer die Ukraine mit Waffen unterstützt wird frieren müssen. Mir persönlich ist es das allerdings Wert. Nachdem wir uns im Winter dann alle den Popo etwas angefroren haben, werden wir recht schnell sehr spannende Diskussion haben. Importkohle vs CO2 vs Fracking in Deutschland z.B. Könnte ungemütlich werden.

    • @Nachtsonne:

      -?-"etwas den Popo anfrieren"



      ist eine erschreckend zynische Gleichgültigkeit gegenüber Menschen, die aus vielerlei gesundheitlichen Gründen jetzt irgendwo in Deutschland noch kränker werden oder versterben.



      Das dürften vor allem jede Menge unauffällige bzw lobbylose arme Rentner u Harz4_ Empfänger sein.



      Aber die dann darüber akut werdenden Informationen wird man in der politischen Öffentlichkeitsarbeit schon klein zu halten wissen. Kennt man ja. Habeck wird bei Tee u Kuchen in irgendeinem wohl temperierten Scheich-Anwesen wieder Fotos von seinem ernst-besorgten Minenspiel machen lassen.



      Es gibt ja von unseren Politikern, für die oben genannten hilflos Ausgelieferten ,sowieso schon mehr Fotos mit zweifelhaft angerührtem Minenspiel, als ernsthaft aufs Tapet gebrachte Hilfe für die neu entstehende Klasse der dann noch mehr wärmebedürftigen Armutsschicht.



      Aber wie gesagt: Wo kein Kläger da kein Richter. Diese Leute können sich schonmal sowieso nie wehren. Also spricht man selber, in selbstgefälliger wohltemperierter Lässigkeit, von



      "nur der Popo wird etwas kalt sein"

    • @Nachtsonne:

      Ich werde nicht frieren und deshalb heizen. Mit Öl und nun auch Holz. gibt keinen Grund sich den Popo anzufrieren und Schimmel im Haus zu züchten.

      • 8G
        82286 (Profil gelöscht)
        @maestroblanco:

        Kleine Nachhilfe: Um im Sinne Ihrer Aussage zu argumentieren hätte es heißen müssen * ... ich werde heizen und deshalb nicht frieren ..".

      • 8G
        82286 (Profil gelöscht)
        @maestroblanco:

        Stimmt. Warum sollen wir frieren, während den Hominiden im Nürnberger "Zoo - Tiergarten" keine Einschränkungen abverlangt werden,

      • 8G
        82286 (Profil gelöscht)
        @maestroblanco:

        Wie sagen die Middlfranggen; " Gib dem a'mol ä Watschn.",