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Tötung von palästinensischer JournalistinDer Bilderkrieg auf Twitter

Kommentar von Léonardo Kahn

Eine Journalistin wird im Westjordanland erschossen, Israelis und Palästinenser weisen sich gegenseitig die Schuld zu – ein Zerrbild entsteht.

Rangeleien zwischen der israelischen Polizei und Palästinensern, die den Sarg der Getöteten tragen Foto: Maya Levin/ap

Wir sehen die Videos, wir sind nicht dumm.“ Tweets wie die des palästinensischen Dichters und Aktivisten Mohammed El-Kurd überwuchern seit der Ermordung der Journalistin Shireen Abu Aklehs das Internet. Immer wieder wird den etablierten Medien eine Komplizenschaft mit dem Staat Israel vorgeworfen.

Auf israelischer Seite zirkuliert ein Alternativ-Video: Junge Palästinenser hätten die Polizei während des Trauerzugs mit Steinen beworfen, wogegen sich die Be­am­t*in­nen mit Schlagstöcken gewehrt hätten. Medien würden diesen Bezug ausblenden, so die Kritik. Inwiefern das das Niederprügeln eines Sargs rechtfertigen soll, sei dahingestellt.

In einem Aspekt sind sich israelische und palästinensische Internet-Aktivist*innen eins: Jour­na­lis­t*in­nen würden unseriös arbeiten und verzerrten die Realität. Dabei tragen sie selbst dazu bei, dass der Konflikt zu einer Karikatur pervertiert wird, bei der man letzten Endes nur von der Brutalität des Gegenübers überzeugt werden kann.

Schon vor der Entstehung erster Internetforen war der israel-palästinensische Konflikt ein Bilder-Krieg. Das Foto eines palästinensischen Junges, der einen israelischen Panzer mit Steinen bewirft, wurde im Jahr 2000 zur Ikone der zweiten Intifada. Damals wurden Pressebilder jedoch selten ohne kontextualisierenden Beitrag veröffentlicht. Das kann über Twitter, Instagram, Facebook und co nicht behauptet werden. Hier werden hauptsächlich emotionalisierende Stellungnahmen mit Likes beschert.

Es fehlt an Mut: vielen Israelis, Ju­d*in­nen und ihren Verbündeten, wenn es darum geht, das Eingreifen der israelischen Polizei zu kritisieren; vielen Palästinenser*innen, Ara­be­r*in­nen und ihren Verbündeten, wenn es darum geht, die Terroranschläge der Hamas als solche zu verachten.

Stattdessen wird ein wichtiger Aspekt des israel-palästinensischen Konflikts unter einer Lawine von Hass-Tweets vergraben: Mehrheitlich sehnt sich die Bevölkerung ein Ende der ständigen Auseinandersetzungen herbei. Doch das kann mit Bildern schlecht vermittelt werden.

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16 Kommentare

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  • Paula , Moderatorin

    Wir haben die Kommentarfunktion zu diesem Artikel geschlossen. Eine sachliche Diskussion ist offenbar nicht mehr möglich.

  • "Immer wieder wird den etablierten Medien eine Komplizenschaft mit dem Staat Israel vorgeworfen."

    Nunja, die bestialischen Hinrichtungen der IDF auf der Mavi Marmara sind nicht das einzige Beispiel, in der in den etablierten Medien eine Täter Opfer Umkehr betrieben wurde. Diese Medien verzichten auch regelmäßig in ihren Artikeln die Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen zu benennen. Wer die Haaretz ein paar Wochen verfolgt, weiß auch, dass wir hier praktisch kaum was außer Pressemeldungen der IDF lesen.

    • @unwitzig:

      Genau. Und Jesus Christus haben sie auch ans Kreuz geschlagen, und aus dem Blut von unschuldigen Christenkindern backen sie Matzen.

  • Es wird oft so getan, als seien beide Seiten gleichermassen Schuld. Auch haben Palästinenser überhauüt nicht mit Holocaust zu tun. Nicht nur die gezielte Ermordung war ein weiterer Schritt in die Verachtung, auch die Szenen am Sarg haben Schande über die Verantwortlichen gebracht.



    www.aljazeera.com/...delay-deflect-deny

  • Sie haben es gut getroffen Herr Kahn! Machen wir uns dennoch klar: Der Konflikt dort ist ein regionaler Konflikt. Zu aller erst sind es die Europäer, die sich in Evian einerseits nicht gekümmert haben und in der heutigen Welt nichts unversucht lassen, den Konflikt mit ihren NGO's in die ganze Welt zu tragen. Der Bilderkrieg auf Twitter ist eine direkte Folge davon.



    Lesen Sie etwa hier, was sich deutsche NGO's nach dem Holocaust auf die Fahnen geschrieben haben:



    "einen Beitrag zur Stärkung der Demokratie und Zivilgesellschaft in Israel, zur Förderung der sozial-ökologischen Transformation und zur konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt zu leisten.“ hier: www.boell.de/de/buero-israel-tel-aviv



    Wenn Sie das gelesen haben Herr Kahn, kneifen Sie die Augen zu und bringen Sie es irgendwie in Ihre Vorstellung.....nach dem Holocaust...deutsche NGO's verfolgen die wenigen Überlebenden des Holocausts und deren Nachkommen über die halbe Welt und belehren diese über eine "konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt"...anstatt in Demut, den politischen Eliten der Palästinenser immer und immer wieder klar zu machen wozu Hass auf Juden führen kann.



    ..

    • @Günter:

      b'tselem, breaking the silence, Peace now usw sind keine deutschen NGO's. Hören Sie doch auf mit ihrer Propaganda. und diese Organisationen verfolgen auch keine Holocaustüberlebenden, das ist schlicht unwahr.

      • @ingrid werner:

        Ist Ihnen entgangen, dass ich von europäischen und deutschen NGO's sprach.....?

        • @Günter:

          Kleiner Tipp am Rande, lassen Sie sich den Sonntag nicht verderben.

          Bei diesen Diskussionen kommt nie etwas Gutes heraus.

          Das sind Gläubige, die können nicht anders.

          • @Jim Hawkins:

            "Das sind Gläubige, die können nicht anders." Tja, die einen glauben dies, die anderen das, so ist das mit dem Confirmation bias, nobody's perfect. Entbindet einen freilich nicht davon substantielle Argumente beizubringen.

            • @ingrid werner:

              Nur sind Sie Teil der Party, die diesen regionalen Konflikt zur weltweit größten Menschenrechtsfrage hochjazzt.

              Und genau das beschreibt den Charakter dieses Konflikts. Israel ist für Sie "der Jude unter den Staaten" (Poliakov). Ist mir klar, dass Sie das nicht verstehen.

          • @Jim Hawkins:

            Da haben Sie Recht lieber Jim, Ihnen auch einen schönen Sonntag!

        • @Günter:

          welche meinen sie da konkret? Amnesty oder HRW? die unterstützen nur die Arbeit der israelischen Organisationen und sind bei denen sehr willkommen, natürlich nicht bei Siedlern und Likudniks, die schon vor Jahren versucht haben mit Gesetzen im Stile Putins und Orbans denen die Arbeit zu erschweren. Ihr ewiges Mantra, Günter, das hier Holocaustopfer verfolgt werden würde zahlt nur auf die menschen(rechts)verachtende und demokratiefeindliche Propaganda der Netanjahu-Freunde ein. Das Andenken der Holocaustopfer für die Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser in Anspruch zu nehmen ist skandalöser Missbrauch.

          • @ingrid werner:

            Verzeihen Sie bitte, dass ich nicht ganz folgen kann. Ian Kershaw hatte es einmal sinngemäß so formuliert. In Nazideutschland war es so selbstverständlich Antisemit zu sein, dass im Grunde niemand davon Notiz genommen hat. Der eliminatorische Antisemitismus in Deutschland war ein kulturell-kognitives Modell, das bei Machtantritt der Nazis längst vorhanden war. Erschütternd ist, dass selbst der Holocaust in nahezu sämtlichen gesellschaftlichen Kreisen des heutigen Deutschlands dieses Modell kaum in Frage stellen konnte. Rätselhaft bleibt vielmehr, dass die Juden einen so zentralen Platz im Fühlen und Denken der Deutschen haben, dass, nach dem das europäische Judentum aufhörte zu existieren, die Deutschen mit ihren NGO's keine Mühen scheuen, den wenigen Überlebenden bis nach Middle East zu folgen. Hinzu kommt, dass die menschliche Natur so vielschichtig ist, dass es auch israelische NGO's gibt, die in ihrer eigenen Community die Hauptverantwortung für den heutigen Konflikt in Middle East suchen. Völlig unabhängig davon, ob das richtig oder falsch ist, mit dem kognitive Modell der Deutschen über die Juden, das sich, wie wir sehen, kaum geändert hat, können deutschen NGO's in Middle East nicht anders, als eifrig, nichts unversucht zu lassen, diese Israelischen Organisationen zu suchen um unter den Überlebenden und deren Nachkommen Kronzeugen für die quälende Unruhe des eigenen Ressentiments zu finden. Das schafft Entlastung für die empfundene Last, des Erbes der eigenen community.



            Abschließend ein Zitat von Ludwig Börne: "Tausendmal habe ich es erfahren, und doch bleibt es mir ewig neu. Die einen werfen mir vor, daß ich Jude sey, die Anderen verzeihen mir es; der Dritte lobt mich gar dafür; aber alle denken daran. Sie sind wie gebannt in diesem magischen Judenkreis, es kann keiner hinaus". Zitat Ende



            Ich werde es niemals verstehen, was Deutsche antreibt, sich mit Middle East so verbissen zu beschäftigen, als vielmehr mit der eigenen Geschichte.

            • @Günter:

              Günter scheint mir ein ziemlich deutscher Name, was also lässt dich so verbissen mit dem Nahen Osten beschäftigen?

              • @Bouncereset:

                Aber ich sag doch blos die Wahrheit.....

            • @Günter:

              Ich denke Sie verstehen sehr gut. "kognitives Modell der Deutschen" was soll das sein, gehören Sie auch dazu? Sind sie auch ewiger Antisemit und merken es nur nicht, da es ja nach dem Krieg nicht aufgehört hat in beinahe unverminderten Maß so weiterzugehen, wie Kershaw sagt (oder sagt er das doch nicht, sondern Sie?)

              "Völlig unabhängig davon, ob das richtig oder falsch ist". Völlig unabhängig davon wie sie sich die Dinge drehen um immer bei der selben These zu landen – ist es denn tatsächlich so egal was wahr ist und was nicht? (oder sind alle Juden, die Israels Politik kritisieren, einfach Judenhasser oder Verwirrte? wie sie ganz auf Linie mit der Netanjahuschen Hetzpropaganda insinuieren wollen, wollen Sie?) glaub ich nicht. Im übrigen sollte man als demokratisch gesinnter Mensch nicht auf Seite derer stehen, die im allg. die Wahrheit für beliebig erklären.

              Und was treibt Sie an, sich so häufig, ausschweifend um nicht zu sagen verbissen mit dem Konflikt zu beschäftigen? Wo ordnen Sie sich in dem Börnezitat ein, kommen sie auch nicht raus?