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Nach Landtagswahl in Schleswig-HolsteinGrüne haben erfolgreich gepokert

Schleswig-Holstein bekommt höchstwahrscheinlich eine schwarz-grüne Koalition. Die Spitzen von CDU und Grünen haben ein Sondierungspapier beschlossen.

Schreiten zuversichtlich in Richtung Schwarz-Grün: die Grünen Monika Heinold (l.) und Aminata Touré Foto: dpaChristian Charisius/dpa

Kiel taz | „Weiter für Dynamik im Land sorgen“ will die CDU in Schleswig-Holstein – passend zum sportiven Motto trafen sich Delegationen von Christ­de­mo­kra­t*in­nen und Grünen am Dienstag in einem Restaurant am Kieler Holstein-Stadion. Am Montag hatte CDU-Landesparteichef Daniel Günther nach einem Treffen des Landesvorstandes verkündet, dass er mit den Grünen über eine gemeinsame Regierung verhandeln will. Nach den Wahlen am 8. Mai konnte er als Sieger – rund 43 Prozent bescherten der CDU beinahe eine absolute Mehrheit – entscheiden, mit wem er weiterregieren möchte.

Das Votum gegen die FDP „haben wir uns nicht leicht gemacht“, sagte Günther. Tatsächlich wählt die CDU mit den Grünen die schwierigeren Partner*innen. Und sie gesteht ihnen vorab einen Teilsieg zu: Die Grünen ließen in der vergangenen Woche die Verhandlungen für ein zweites Jamaika-Bündnis platzen, das Daniel Günther gerne gehabt hätte, und zwangen die CDU damit, sich zwischen ihnen und der FDP zu entscheiden.

„Es wird sich jetzt wohl auch niemand mehr darüber wundern, dass die Grünen beim Sondierungsgespräch so schnell ‚All in‘ gegangen sind und Jamaika beendet haben“, sagte Christoph Vogt, Fraktionschef der FPD im Landtag und stellvertretender Landesvorsitzender. Er sprach von einer „herben Enttäuschung“, aber seine Überraschung halte sich in Grenzen: Die Grünen könnten „derzeit ja vor Kraft kaum laufen“.

Allerdings profitiert auch Günther mehr von Schwarz-Grün als von einer Koalition mit der FDP. Der 48-Jährige hat seit seinem ersten Wahlsieg 2017 in der öffentlichen Wahrnehmung den Sprung von „kennt keiner“ bis „könnte auch Kanzler“ geschafft. Für ihn als Vertreter des eher liberalen Flügels der CDU wäre die klassische schwarz-gelbe Koalition ein gefühlter Rückschritt.

Ehrgeizige Klimaschutzziele

Schwarz-Grün ist für Schleswig-Holstein eine neue Farbkombination. Die Spitzen beider Parteien kennen sich allerdings gut, schließlich haben sie die vergangenen fünf Jahre miteinander regiert. Dennoch bleiben große inhaltliche Unterschiede zwischen den Programmen. Daniel Günther sieht das positiv: Sein Ziel sei es, ehrgeizige Klimaschutzziele zu erreichen und dies mit mehr Arbeitsplätzen zu verbinden. Ein Bündnis aus CDU und Grünen hätte die Breite, um in den kommenden fünf Jahren diese Transformation umzusetzen, so der amtierende Ministerpräsident.

Am Dienstag gab es nur ein Vorgespräch, weil am Abend noch ein Grüner Parteitag dem Beginn der Verhandlungen zustimmen musste. Aber die beiden Spitzenkandidatinnen, die amtierende Finanzministerin Monika Heinold und Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré, äußerten sich hoffnungsvoll: Beide Parteien würden sich „hervorragend ergänzen“, so Touré.

Die SPD bezweifelt das. „Die CDU wollte im Wahlkampf Kurs halten. Die Grünen versprachen in vielen Fragen einen Kurswechsel“, sagte die SPD-Landesparteichefin Serpil Midyatli. Gelinge es nicht, diese unterschiedlichen Richtungen zusammenzubringen, „wird sich die Regierung auf der Stelle drehen und unser Land nicht voranbringen“. Immerhin ist die Gefahr einer „XXL-Regierung“, die den Landtag mit 53 Abgeordneten gegen eine Schrumpf-Opposition von 16 Personen dominiert hätte, wohl vom Tisch.

Schwarz-grüne Knackpunkte gibt es etwa bei Energie- und Verkehrswende oder Finanzen. Günther betonte, dass angesichts der Zahlenverhältnisse die „Handschrift der CDU“ in einem Vertrag deutlich erkennbar sein müsse. Als eine Bedingung nannte er, dass große Infrastrukturprojekte rasch umgesetzt werden müssten – das meint Autobahnen ebenso wie den Bau eines Flüssiggasterminals in Brunsbüttel. Dagegen hatte sich die Grünen-Basis bei einem Parteitag ausgesprochen. Gleichzeitig sagte Günther aber, dass der „Geist von Jamaika“ mit dem Leitmotiv, der anderen Seite Erfolge zu gönnen, fortbestehen solle.

Koalitionsvertrag innerhalb von drei Wochen

Um Personen und Ministerien ging es offiziell bisher nicht. Sinnvoll erscheint, dass die Grünen erneut das Finanzministerium fordern, das Monika Heinold bereits unter der SPD-geführten Vorgängerregierung leitete. Auch das Umwelt- und Energiewende-Ministerium wäre aus Grünen-Sicht zentral. Möglich, dass Aminata Touré dort einsteigt – zutrauen würde sie sich ein Ministerinnenamt, hatte sie beim taz-Salon gesagt.

Neu verhandelt werden könnte über das Sozial- sowie das Verkehrs- und Wirtschaftsministerium, die bislang die FDP führte. Beide Häuser könnte die CDU für sich fordern. Innen- und Bildungsministerium dürften bei den heutigen CDU-Ministerinnen bleiben. Möglicherweise könnten die Grünen darauf hoffen, das Ministerium für Justiz, Europa und Verbraucherschutz zu besetzen. Einzelne Häuser könnten leicht neu zugeschnitten werden – ein Streitpunkt ist etwa, ob der Bereich Berufsbildung in das Bildungs- statt in das Wirtschaftsressort gehört.

Nach dem Treffen im Holstein-Stadion zeigte sich Heinold am Dienstagmittag zufrieden: „Es war ein sehr konstruktives Gespräch in vertrauter Runde.“ Herausgekommen ist dabei auch schon ein Sondierungspapier, auf dessen Grundlage „wir uns gemeinsam zutrauen, Koalitionsverhandlungen durchzuführen“, wie Günther es formulierte.

Diese sollen bereits am Mittwochnachmittag beginnen. Seitens der Grünen soll eine zwölfköpfige Verhandlungsgruppe den Vertrag mit der CDU aushandeln. Die geschäftsführende CDU-Spitze will dazu am Mittwochvormittag zusammenkommen. Möglichst innerhalb der kommenden drei Wochen solle der Koalitionsvertrag stehen, lautet der gemeinsame Wunsch von CDU und Grünen.

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8 Kommentare

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  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Die "Grünen" regieren mit den unterschiedlichsten Politiker.



    Mit Günther kann man schon regieren.



    Mit Wüst nicht.



    Mit Bouffier nicht.



    Mit Giffey nicht.



    Mit Tschentscher (eher) nicht.



    Mit Lindner überhaupt nicht.



    Mit Kretschmann nicht (auch wenn der "Grüner" ist - btw. ein Komparativ ist das in Beziehung auf Kretschmann ganz bestimmt nicht).

    • @655170 (Profil gelöscht):

      Das Problem: Mit Heinold geht das auch überhaupt nicht, eine Berufspolitikerin, die nicht loslassen kann, im Geiste uralt, noch weniger kreativ als schon Kretschmann, der sich ja noch auf die attische Demokratie beruft und damit etwas gebildet ist. Ohne Rotation gehts mit 'Grünen' in die Grütze....

  • Auch diese Grünen wurden nur als das kleinere Übel gegenüber allen anderen gewählt, was für das Ansehen dieses Parlamentarismus eine Niederlage ist insbesondere angesichts der ständig kleiner werdenden Wahlbeteiligung der unterpriviligierten Schichten. Nur 'Alte' wählen noch und dann mit dem Ziel 'weiter so, uns gehts doch noch gut', ein Desaster mit Blick auf die Zukunft !

  • Ich glaube, ich bin eine vernünftige Erklärung für die Wahlentscheidungen in Schleswig-Holstein schuldig: Wir erleben angesichts der mangelnden Generationengerechtigkeit einen zu großen Anteil an älteren Wählerschichten, denen es noch zu gut geht (auch weil Geld gedruckt wird als Ausgleich für den ausbleibenden Anteil der weniger werdenden jungen Leute, die ja eigentlich für die eigene Altersversorgung ansparen sollten) und die Daniel Günther wählen, damit sich nichts ändert. Eine sehr große Gruppe erwartet gar nichts mehr von der Politik, davon auch viele ehemalige, verarmte SPD-Wähler (wir haben Städte wie Kiel, Rendsburg, Neumünster, wo mehr als 30% der Bevölkerung angewiesen ist auf Sozialleistungen) und nicht mehr zur Wahl gehen (die AfD kann sie auch nicht einsammeln). Es gibt Querdenker, die einen eigenen Weg suchen u.a. Teile der Waldorf-Bewegung, von denen einige noch grün oder die Linke wählen, aber auf keinen Fall CDU oder FDP , die aber an der öffentlichen Debatte nicht mehr teilnehmen, genauso wie ein in die grüne Blase abgewanderter Teil, der sich berufen fühlt mitzumischen, aber gar nicht wahrnimmt, dass für eine zunehmende Anzahl der Mitmenschen der Parlamentarismus keine Rolle mehr spielt. Diese Spaltung vertieft sich, wenn grüne Politiker sich einbilden, auch ohne diejenigen, die sie einmal gewaählt haben, Politik zum Beispiel mit der CDU machen zu können. Denn auch ihre Wähler, sei es aus dem Gutmenschen-Spektrum oder den ehrlich Klimabewegten, werden sich von dieser gut gepamperten grünen Funktionärstruppe abwenden, Beispiel: Bei den letzten Landtagswahlenahlen bekamen die Grünen in S.H. 260122 Stimmen, bei den Europawahlen drei Jahre zuvor waren es noch 391868 !



    Wenn man bedenkt, dass es auch Wählerwanderungen weg von der SPD und einer asozialen FDP gegeben hat, ist das grüne Wahlergebnis in meinen Augen ein Desaster nach 5 Jahren Jamaica, das eigentlich einmal aufgearbeitet werden sollte.

    • @Dietmar Rauter:

      Ah, das schönste Bundesland der Welt ist also dem Untergang geweiht. Als Angehöriger der älteren Wählerschaft – aka Boomer – habe ich gelernt, dass Politik in Demokratien grundsätzlich das Eingehen von Kompromissen erfordert. Das unterscheidet sie nun mal von Diktaturen Putin‘scher Prägung.

      Ich bin gespannt, zu welcher Erkenntnis Sie Ihr persönliches Engagement noch führen wird.

  • naj a ich wähle schon lange kein Grün mehr.



    Sollten mehr, wenn die linke sich endlich sortiert hat.



    Vielleicht kicken die grünen die Cdu. Kein Qualitäts- aber ein Farbenwechsel. In Krisenzeiten sind Symbole Gold.



    Vielleicth wäre eine grüne Minderheitsregierung die bessere Wahl gewesen. Nicht weil die gut ist. Sondern vERTRAUEN FÜR DIE ZUKUNFT SCHAFFT: Aber die Grünen haben diese Qualität schon aufggegeben . zu kompliziert

  • Ein großartiger Erfolg, wenn Monika Heinold weiter das umweltfreundlichste Auto, ein Mercedes Diesel Hybrid (VK-Preis um die 100000 €) fahren darf, das halb soviel Schadstoffe ausstösst wie das von Daniel Günther. Ansonsten warten wir mal ab, was der Sandkasten so hergibt, Friede Freude Eierkuchen und viele neue Jobs und das nach schon fünf erfolgreich verlorenen Jahren.

  • Söhne und Töchter des Bürgertums finden endlich wieder zurück in die Familie - Arbeitnehmer ohne Erbanspruch gar aus prekären Verhältnissen bekommen ein Energiegeld , von dem sie sich eine französische Gelbweste im herbst kaufen kann , wenn es kalt wird. Aber da die LINKE klinisch tot ist und bei der SPD ja laut BILD/FAZ etc alle Wege nach Moskau führen ist das Auskommen da unten in der Pyramide unwichtig , da es gilt, ökologisch die nächste Bürgergeneration zu retten, für die Zeit nach der Klimakrise...versteht sich