Coldplay tappt in Greenwashing-Falle: Das klingt jetzt nur CO2-frei
Coldplay wirbt mit einer besonders klimafreundlichen Tour. Kritik üben Umweltschützer:innen trotzdem: an einer problematischen Partnerschaft.
In ähnlich widersprüchlicher Manier ist die Band auch für ihr Öko-Engagement bekannt, beliebt – und neuerdings umstritten. Es klingt auch absonderlich: Coldplay hat sich ausgerechnet mit einem Ölkonzern zusammengeschlossen, um die gerade laufende Welttournee dieses Jahr klimafreundlicher zu machen.
Für die Reise über die Kontinente liefert der finnische Ölkonzern Neste nun Agrokerosin – Flugbenzin also, das auf Basis landwirtschaftlicher Produkte erzeugt wird statt aus fossilem Erdöl. Vermarktet wird es oft als Biokerosin, wobei „bio“ nicht für Bio-Landwirtschaft steht, sondern vom altgriechischen Wort für „Leben“ kommt. Es wird als nachhaltig vermarktet. So ist das auch bei der Coldplay-Tour: Die Partnerschaft halbiere deren klimaschädliche Emissionen, werben Coldplay und Neste.
„Wir haben versucht, Nachhaltigkeit ins Zentrum dieser Tournee zu stellen, eine andere Option gibt es für uns nicht“, sagt Coldplay-Sänger Chris Martin dazu. Tatsächlich hatten die Musiker bei ihrem vorletzten Album im Jahr 2019 ganz auf eine Tour verzichtet – obwohl die Einnahmen der Branche vor allem aus dem Live-Geschäft kommen, nicht mehr so sehr aus dem Plattenverkauf. Nach Angaben der Band steckten ökologische Bedenken dahinter. Man wolle erst wieder touren, wenn man es geschafft habe, das Ganze klimafreundlich zu machen, hieß es damals.
Umweltszene ist nicht begeistert
Auch bei Neste ist man glücklich über die Kooperation. „Inspirierend“ findet Minna Aila, die bei Neste für Nachhaltigkeit verantwortlich ist, die ökologischen Ambitionen der Band.
Die Öko-Szene hingegen ist nicht so begeistert. „Neste benutzt Coldplay zynisch, um den eigenen Ruf grünzufärben“, ist sich Carlos Calvo Ambel von der Brüsseler Umweltorganisation Transport & Environment sicher. Die Ernsthaftigkeit der Musiker beim Klimaschutz stellt er nicht infrage. Er geht davon aus, dass sie hereingelegt wurden. Der Umweltschützer und seine Gruppe finden: Diese Partnerschaft sollte die Band lieber gleich wieder beenden.
„Das Problem mit Neste ist, dass das Ergebnis schlechter sein dürfte, als überhaupt nichts zu tun“, meint Ambel. „Neste ist ein Unternehmen, das bekannt für die Nutzung von Palmöl ist, was das Ergebnis schlechter macht als die fossilen Kraftstoffe, wenn man an die damit verbundene Abholzung denkt.“ Laut einer Studie von Friends of the Earth sollen Palmölzulieferer des Unternehmens zwischen 2019 und 2020 in Ländern wie Indonesien und Malaysia mindestens 10.000 Hektar gerodet haben. Das würde bedeuten, dass für das Agrokerosin ein wichtiger natürlicher CO2-Speicher sterben musste – ein positiver Klimaeffekt des Produkts wäre dahin.
Neste hingegen behauptet, dass für das Coldplay-Projekt nur Abfallprodukte genutzt werden. Das Problem: Das kann auch ranzig gewordene Abfälle aus der Palmöl-Produktion bedeuten. Dann geht es also plötzlich doch nicht um ein zweites Leben für abgestandenes Frittenöl, sondern um einen Stoff, den es ohne die Produktion von neuem Palmöl gar nicht gäbe. Noch ein Problem: Es ist praktisch unmöglich herauszufinden, was wirklich im Endprodukt steckt.
Fliegen ist bislang nicht öko
Die einzig „wirklich saubere Lösung“ fürs Fliegen ist Transport & Environment zufolge synthetisches Kerosin, das mithilfe von grünem Wasserstoff und aus der Luft gefiltertem CO2 hergestellt wird.
„Es gibt eine Vielzahl an Technologien und unterschiedliche strombasierten Kraftstoffe, die im Labor ihre Funktionalität bewiesen haben“, sagt Manfred Aigner vom Institut für Verbrennungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrtechnik (DLR) in Stuttgart dazu. Viele Komponenten seien „relativ weit“ entwickelt. „Der abschließende Schritt, daraus einen einsatzfähigen Kraftstoff herzustellen, ist allerdings noch nicht erfolgt“, sagt Aigner. Im großen Stil ist das also noch Zukunftsmusik.
Letztlich dürfte es für den CO2-Fußabdruck der Coldplay-Tour gar nicht so entscheidend sein, wie die Bandmitglieder sich nun fortbewegen, meint Dietrich Brockhagen. Er hat durch sein CO2-Kompensationsunternehmen Atmosfair mit den Klimabilanzen ganz verschiedener Branchen zu tun. Seine gemeinnützige Firma gleicht angefallene Emissionen gegen Bezahlung rechnerisch durch Klimaschutzprojekte aus. Damit das nicht zum Ablasshandel werde, gelte es aber zuerst immer, den CO2-Fußabdruck so weit wie möglich zu senken, sagt Brockhagen.
Gut gemeint
Wie also die Emissionen eines Konzerts drücken? „Das Wichtige sind die Fans“, so der Experte. Von denen reisten schließlich Millionen zu den Auftritten der Band. Die Veranstaltungsbranche brauche da klimafreundliche Standards, fordert Brockhagen. „Zum Beispiel sollte sie für Mitfahrbörsen sorgen oder für Kombi-Tickets für Konzert und öffentlichen Verkehr.“ Eine weitere Stellschraube sei der Ökostrom vor Ort. „Das ist für den einzelnen Künstler schwer einzurichten, denn nicht jede Konzerthalle hat einen Ökostrom-Vertrag.“
Zumindest in diesem Bereich war Coldplay kreativ. Durch eine kinetische Tanzfläche soll das Publikum selbst für Strom sorgen. Außerdem gibt es eine Kooperation mit einem Autokonzern, der mit Ökostrom befüllte Batterien zu den Spielorten bringt. Vielleicht ist die Klimaschutz-Strategie der Band noch nicht perfekt. Aber schließlich, daran wird Chris Martins Falsett in der Coldplay-Hitballade „The Scientist“ wohl regelmäßig erinnern, hat auch niemand gesagt, dass es einfach werden würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will