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Deniz Yücels Rücktritt als PEN-PräsidentBratwurstbude zum Fremdschämen

Unser Autor ist PEN-Mitglied und nahm peinlich berührt an der turbulenten Versammlung in Gotha teil, auf der Deniz Yücel zurücktrat.

Westdeutsche toxische Männlichkeit: Christoph Nix (r.) beschimpft Deniz Yücel in Gotha Foto: Martin Schutt/dpa

Schon die Eröffnung der Tagung, als Deniz Yücel ausgebuht wurde, ließ nichts Gutes ahnen. Es ging dann auch genauso weiter, man schrie sich zehn Stunden lang gegenseitig an. Es dominierte die „toxische Männlichkeit einer Riege alter westdeutscher Herren“, die persönliche Eitelkeiten vor die politische Wirksamkeit des Vereins stellte, wie eine Beobachterin konstatierte. Auch nachdem Yü­cel den Abwahlantrag gegen ihn knapp überstanden hatte, hörten die Beschimpfungen nicht auf. Die Sache kulminierte im Freudengeheul nach der Abwahl des Schatzmeisters Joachim Helfer.

„Wir mussten heute feststellen, dass unsere Versuche, den deutschen PEN zu einer modernen NGO zu machen und ihm in zeitgemäßer Form seine alte Relevanz als Intellektuellenvereinigung zurückzugeben, von einer Mehrheit nicht gewollt ist“, sagte Yücel und trat zurück.

Er wollte unter anderem das Programm „Writers in Exile“ für verfolgte Jour­na­listinnen und Journalisten ausweiten. Andere, wie der Generalsekretär Heinrich Peuckmann, fanden, dass die Literatur wegen des Programms zu kurz gekommen sei. „Das ist aber unser Markenzeichen“, sagte er. „Wir sind ein Schriftstellerverband.“ Dass Peuckmann in seinem Amt bestätigt wurde, war einer der Hauptgründe für den Eklat.

Prahlen und beleidigen

Peuckmann prahlte in seiner Rede damit, dass die Liste der Veröffentlichungen in seinem Wikipedia-Eintrag viel länger sei als in Yücels Eintrag. Es war zum Fremdschämen! Mit 72 Jahren sollte man teenagerhafte Schwanzvergleiche überwunden haben. Und es gab viel mehr Peinlichkeiten.

Am Samstag begründete Nikola Anne Mehlhorn ihren Rücktritt mit Homosexuellen- und Ausländerfeindlichkeit im Verband und zitierte ein nicht namentlich genanntes Mitglied, von dem Helfer schwulenfeindlich beleidigt worden sei. Ein anderes Mitglied hatte nach Yücels Wahl im Oktober vorigen Jahres geäußert: „Nun sind auch die Gastarbeiterkinder im PEN angekommen.“

Meine Geschichte mit dem PEN fing vor rund drei Jahrzehnten an. Damals fragte mich Fritz Beer, der Präsident des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, ob ich Mitglied werden möchte. Beer war mit seiner weißen Mähne und den buschigen Augenbrauen eine imposante Gestalt mit imposanter Biografie.

Turbulenzen der Vergangenheit

Er hatte in Prag für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung gearbeitet, im Zweiten Weltkrieg mit der tschechoslowakischen Exilarmee gegen die Nazis gekämpft und war später politischer Kommentator der BBC. Ich empfand es als große Ehre, von ihm in den Exil-PEN eingeladen zu werden.

Es waren turbulente Zeiten damals. Die beiden PEN-Filialen der BRD und der DDR wollten fusionieren, was zu zahlreichen Austritten aus dem bundesdeutschen PEN führte. So schlossen sich unter anderem Jürgen Fuchs und Ralph Giordano dem Auslands-PEN an. Im Jahr 2000 löste Beer das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland wegen „Lethargie“ der Mitglieder auf. Einige, die damit nicht einverstanden waren, führen den Verband bis heute weiter, aber er ist kaum noch in Erscheinung getreten.

Ich wechselte in den bundesdeutschen PEN, blieb aber passiv. Als im vorigen Oktober das neue Präsidium mit Deniz Yücel als Präsident gewählt wurde, war mein Interesse geweckt. Könnte aus dem betulichen Verein doch noch ein relevantes Organ werden?

Die Wahl des neuen Präsidiums entpuppte sich jedoch als Missverständnis. Die alten Herrschaften glaubten, dass sie mit Yücel, der wegen angeblicher Terrorpropaganda ein Jahr in türkischer Untersuchungshaft saß, größere Aufmerksamkeit erreichen würden. So kam es auch, aber anders, als sie gehofft hatten. Das Präsidium scheuchte den verschnarchten Haufen mehr auf, als ihm lieb war.

Skepsis gegenüber einem Neuanfang

Wie geht es nun weiter? PEN-Mitglied Herbert Wiesner sagte: „Wir brauchen einen Neuanfang mit jüngeren Leuten nach diesem Desaster, wir steuern ins Nirwana.“ Am Samstag wurde ein „außerordentlicher Notstandsvorstand“ mit Josef Haslinger als Interimspräsident gewählt.

Ein Neuanfang ist das freilich nicht. Haslinger war früher schon mal Präsident, und im März hatte er mit vier anderen Ex-Präsidenten Yücels Rücktritt gefordert, weil der auf dem Literaturfestival Lit.Cologne laut über eine Flugverbotszone in der Ukraine nachgedacht hatte.

Der Neustart müsse so gelingen, sagte Haslinger am Samstag, dass es auch zu einer Versöhnung zwischen den beiden Gruppen komme, deren Konflikt am Freitag so schmerzhaft aufgebrochen sei. Viele jüngere Mitglieder haben indes angekündigt, dass sie aus dem Verein austreten werden. Es wird womöglich Jahre dauern, bis sich bei der „Bratwurstbude“, wie Yücel es nannte, wieder etwas bewegen wird.

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21 Kommentare

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  • Ja richtig, PEN ist eine Intellektuellenvereinigung, und keine Schachfigur auf dem politischen Spielfeld.

  • Die Welt ist permanent im Wandel, einige Menschen begreifen diesen Wandel nicht, aus Gründen der Bequemlichkeit oder was auch immer. Deniz hat vollkommen Recht, der aktuelle PEN ist die schlechteste deutsche Bratwurstbude Deutschlands.

  • Ich bin reichlich konsterniert, dass sich viele Mitglieder des PEN , der für Freiheit und Kreativität stehen soll, bei dieser Tagung so maßlos in die Wolle kriegen und vor lauter Empörungsorgasmen die elementare demokratische Diskussionsgelassenheit über Bord schmeißen: Sollte man sich echauffieren, darf man nicht außer Betracht lassen, dass man auch wieder auf Normaltemperatur herunterkühlen muss, um mit klarem Kopf zu funktionieren.

  • "..Den deutschen PEN zu einer modernen NGO zu machen"



    "Modern" hört sich hier irgendwie devot an.



    Fünfte Kolonne ???- (DIE WELT?)



    Jedenfalls hat der bislang seriös strukturierte PEN, sich diese innere Zerfallsbedrohung selbst ins Haus geholt. Sollen die doch sehen, wie sie nun nachträglich und zukünftig mit solcherart Fehlaufstellung umgehen wollen. Mir kann der ganze PEN nun gestohlen bleiben.- Deniz Yücel - Ich fass es nicht.

  • hätte günter grass dies mitbekommen ...

    er wäre gemeinsam mit yücel aus dem saal gegangen.

    wetten, dass ... ?

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @adagiobarber:

      Ziemlich absurd, ihre "Wette". Hat aber einen Vorteil:



      Wer hypothetisch wettet, hat sein Geld gerettet.

  • Wie die FIFA, nur in klein...

  • RS
    Ria Sauter

    Im Grunde sind alle Menschen gleich in ihrem Handeln, ob Kaninchenzüchterverein,NGO oder eben PEN.



    Hauen, stechen, beleidigen.



    War schon immer so, wird sich nicht ändern, da bis heute nicht geschehen.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Ria Sauter:

      Ja. "Vor einem ist mir bang.



      Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang."

  • „Nun sind auch die Gastarbeiterkinder im PEN angekommen.“



    Mal abgesehen davon, dass „Gastarbeiter“ ein fragwürdiger Euphemismus ist, was ist an der Aussage so problematisch?

  • Danke. Frittenbude - Verein - Röps mal rein!

    “ Das Mitglied

    In mein' Verein bin ich hineingetreten,



    weil mich ein alter Freund darum gebeten,



    ich war allein.



    Jetzt bin ich Mitglied, Kamerad, Kollege –



    das kleine Band, das ich ins Knopfloch lege,



    ist der Verein.







    Wir haben einen Vorstandspräsidenten



    und einen Kassenwart und Referenten



    und obendrein



    den mächtigen Krach der oppositionellen



    Minorität, doch die wird glatt zerschellen



    in mein' Verein.







    Ich bin Verwaltungsbeirat seit drei Wochen.



    Ich will ja nicht auf meine Würde pochen –



    ich bild mir gar nichts ein ...



    Und doch ist das Gefühl so schön, zu wissen:



    sie können mich ja gar nicht missen



    in mein' Verein.







    Da draußen bin ich nur ein armes Luder.



    Hier bin ich ich – und Mann und Bundesbruder



    in vollen Reihn.



    Hoch über uns, da schweben die Statuten.



    Die Abendstunden schwinden wie Minuten



    in mein' Verein.







    In mein' Verein werd ich erst richtig munter.



    Auf die, wo nicht drin sind, seh ich hinunter –



    was kann mit denen sein?



    Stolz weht die Fahne, die wir mutig tragen.



    Auf mich könn' Sie ja ruhig »Ochse« sagen,



    da werd ich mich bestimmt nicht erst verteidigen.



    Doch wenn Sie mich als Mitglied so beleidigen ... !



    Dann steigt mein deutscher Gruppenstolz!



    Hoch Stolze-Schrey! Freiheit! Gut Holz!



    Hier lebe ich.



    Und will auch einst begraben sein



    in mein' Verein.







    Theobald Tiger



    Die Weltbühne, 01.06.1926, Nr. 22, S. 865,



    wieder in: Mit 5 PS.

    unterm——-



    www.textlog.de/tuc...-das-mitglied.html



    & einer geht noch



    “ Viele seiner Texte haben noch heute eine verblüffende Aktualität.

    Der Verein ist die Traumwelt des Erwachsenen, Märchenland ist er, Wunscherfüllung und Paradies. Im Verein, ja, da ist der Mann noch etwas wert… Da erschließt sich eine ganz neue Welt.

    Peter Panter (Kurt Tucholsky), Zwei Welten, Vossische Zeitung 05.09.1926, Nr. 213, S. 2

    kurz - Die Versuchung - statt Zeuge zu sein - “leckt‘s mi - 🚬 & 🥃 “ - dürfte groß gewesen sein - wa!



    & sodele =>



    Nochmals - Danke.

    • @Lowandorder:

      toll ausgegraben.

      es ist doch mit vielem was kurt tucholsky geschrieben hat.

      als nehme er bezug auf gestern und heute und morgen vorweg,

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Wer ist denn nochmal im Vorstand von Friedensbewegung e.V.? Ich komm grad nicht drauf.

    • @164 (Profil gelöscht):

      Den Verein gibts nicht - laut Google



      Was habe ich da nicht verstanden?

      • 1G
        164 (Profil gelöscht)
        @Sonntagssegler:

        ich wollte auf Jim Hawkins antworten. Das hat nicht geklappt ^^

        • @164 (Profil gelöscht):

          Liggers & das mit der Ironie erkennbar auch nicht. Gelle - 🙀🥳 -

          • 1G
            164 (Profil gelöscht)
            @Lowandorder:

            Bin halt nicht so ein Super-Großmeister der kryptischen Ironie wie Du. Nich so schlimm.

    • @164 (Profil gelöscht):

      Nach aktuell gültiger ‚Neudef‘ könnte das Herr Eberhard Zorn sein.

  • Vielen Dank für diese kundigen und gruseligen Einblicke.

    Dieser Verein scheint in Gießharz erstarrt zu sein, wie die Friedensbewegung und Teile der Partei Die Linke.

    Vielleicht sollten die gedanklich beweglicheren Mitglieder ihren eigenen Laden aufmachen.

    • @Jim Hawkins:

      Der deutsche PEN hat Deniz Yücel gewollt und bekommen.



      Als Selbstdenker hat er nicht so ganz gepasst.



      Satz mit X, war nix...



      Perlen vor die Säue,



      schade eigentlich, hätte ja auch was geben können.

  • Ein Beispiel dafür, was geschieht wenn "westdeutsche toxische Männlichkeit" auf "unreflektierte Lust an der Provokation " trifft. Ich dachte, das gäbe es nur in der deutschen Alltagskultur. Doch dann habe ich im Leserbrief eines Foristen einen Artikel von Erich Kästner gefunden, der dieses traurige Phänomen vor Jahrzehnten beschrieben hat.