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Medienkonsum in KriegszeitenSorglos in der Sonne

Nachrichtenportale haben im April massiv an Klickzahlen. verloren. Haben wir uns schon an den Krieg in der Ukraine gewöhnt?

Sie wissen nichts vom Krieg: Eine Ente sucht mit ihren Küken am Ufer des Ammersees nach Futter Foto: Peter Kneffel/dpa

Mehrere Opfer bei Angriffen auf Odessa +++ Immer noch Zivilisten im Asow-Stahlwerk +++ 3.000 Tote in der Ukrai­ne wegen fehlender medizinischer Behandlung: Das sind nur ein paar der Meldungen, die am Dienstag zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf deutschen Nachrichtenseiten liefen.

Haben Sie sie gelesen? Nein? Aber vielleicht kommt es Ihnen so vor, als hätten Sie das alles schon mal gehört. So oder so ähnlich klangen ja auch die Nachrichten aus der Vorwoche. Und die aus der davor. Der Krieg in der Ukraine ist Alltag geworden. Wir haben uns an die minütlichen Schreckensnachrichten gewöhnt.

Das legt auch eine Erhebung nahe, die die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) am Montag veröffentlicht hat. Der Verein gibt regelmäßig die Klickzahlen von Onlinemedien bekannt. Das aktuelle Ergebnis: Im April gingen die Aufrufe der Nachrichtenportale in Deutschland im Vergleich zum Vormonat stark zurück: Bild verlor 15,6 Prozent, der Spiegel 18,3, die Welt 23,5, die Website des Senders ntv 26,2, Zeit Online 19,2, die Frankfurter Allgemeine 20,3 und die Süddeutsche Zeitung 32,4 Prozent. Die ­Deutschen haben offenbar genug vom Krieg.

Stattdessen klicken sie andere ­Websites an: Wetterplattformen wie ­wetteronline.de, wetter.com, weather.com oder ­wetter.de. Dort gibt es Zuwächse zwischen 24,5 und 40,2 Prozent. Klar, wird ja endlich sommerlich in Deutschland. Da werden Nachrichten von neu entdeckten Massengräbern schnell mal überlagert von Fragen wie: Klappt das mit der Fahrradtour nächstes Wochenende?

Mit dem Syrienkrieg war es ja ähnlich (nur zur Erinnerung, der ist auch noch nicht vorbei). Auf anfängliches Entsetzen folgte bald Gleichgültigkeit. Mit der Ukraine, so hatten viele mit zwiespältigen Gefühlen geglaubt, würde es anders laufen. Weil das Land näher dran sei an uns, geografisch und kulturell. Womöglich hat man mit solchen Annahmen die allgemeine Kriegsgewöhnung unterschätzt, die trotz oder gerade wegen der immer neuen Meldungen über Grausamkeiten in der Ukraine um sich greift.

Was also tun? Sofern sie diesen Text nicht schon nach dem ersten Absatz abgebrochen haben: Nehmen Sie ihn doch zum Anlass, die Nachrichten über den Ukrainekrieg in nächster Zeit wieder aufmerksamer zu verfolgen. In der Zeitung oder auf dem Handy kann man schließlich auch in der Sonne ­lesen.

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5 Kommentare

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  • "Wir haben uns an die minütlichen Schreckensnachrichten gewöhnt."



    "Die ­Deutschen haben offenbar genug vom Krieg."



    "Auf anfängliches Entsetzen folgte bald Gleichgültigkeit."



    Liebe Autorin, ja, Leserverhalten kann man so natürlich psychologisieren ... und findet auch sicherlich eine Handvoll Experten, die uns erklären, dass das genau so ist und warum das so ist / sein muss.



    Ich mach mal ein alternatives Angebot und schreibe von mir: Die ständigen Nachrichten vom schweren Leid unzähliger Menschen, die ich nicht kenne, zu denen ich keinen Kontakt habe, für die ich nichts tun kann, während ihre Lage danach schreit, dass man für sie etwas tut, löst in mir ein Gefühl der Hilflosigkeit aus, welches dann irgendwann Mitleid, Sorge, Wut etc. überwiegt.



    Warum berichten Sie nicht mal über ukrainische Familien, die in deutschen Gastfamilien aufgenommen wurden? Oder über Menschen, die ehrenamtlich und in eigener Regie Hilfstransporte organisieren ... oder Gruppen von 25 Frauen und Kindern Deutschunterricht geben? Das gibt es ja in vielen Städten und Gemeinden. Und es würde zeigen, wie man helfen kann, was man tun kann. Es könnte ein Weg aus der Lähmung sein.

  • Das ist wohl auch ein bisschen ein Beitrag in eigener Sache? Aus eigener Erfahrung glaube ich ja, dass grundsätzlich Journalisten mehr Freude am Journalismus haben als ihre Leser oder Hörer. Das nur für den Hinterkopf. Man sollte jedenfalls sinkenden Medienkonsum nicht einfach so mit Desinteresse verwechseln. Man darf sich selber schützen, auch vor der eigenen Betroffenheit. Man darf auch mal schwänzen, wenn man seine Hausaufgaben gemacht hat. Man sollte Medienkonsum auch nicht mit Haltung oder gar Tun verwechseln. Und Nachrichtenjunkies sind ebenso wenig hilfreich, wie Leute, die immer nur auf der Suche nach Bestätigung ihrer eigenen Meinung sind. Man sollte sich auch klarmachen, dass in den vergangenen Wochen der allergrößte Teil der Ukraine- Berichterstattung nicht wirklich viel mit der Ukraine zu tun hatte, sondern mit uns. An dieser "Front" dürfte mittlerweile auch eine gewisse Klarheit eingetreten sein, vielleicht sinkt auch deshalb das Interesse. Mit auf den Weg: Wissen schützt nicht! Wissen lässt im Gegenteil oft nur die eigene Macht- und Hilflosigkeit erkennen. Wissen kann aber verpflichten.

  • Da sind die Medien halt selber Schuld. Permanente Beschallung überall und zu jeder Zeit, alles eine Sensation oder ein Drama. Was erwartet man dann von den Menschen? Die meisten schalten einfach irgendwann ab, weil man dem ohnehin nicht folgen kann, oder wenn man es versuchen würde, zu nicht anderem mehr käme.

    Allein in DE gibt es mehrere Dutzend Tageszeitungen, die dieselben dpa/Reuters-Meldungen verwurschteln. Dazu Fernsehen, Radio, und zudem noch Blogs, die sozialen Medien, und hunderte Newsticker.

    Ehrlich gesagt, ich fand die Zeit wo es einige wenige TV Sender und Tageszeitungen + Radio gab deutlich angenehmer. Es wurde zumindest nicht jeden zweiten Tag ne neue Sau durchs Dorf gejagt.

    Aber das generiert in der heutigen Zeit ja keine Klicks oder Spender mehr, richtig?

  • ?? Was erlaube Strunz?

    " Auf anfängliches Entsetzen folgte bald Gleichgültigkeit. Mit der Ukraine, so hatten viele mit zwiespältigen Gefühlen geglaubt, würde es anders laufen. "

    Warum ist es gleich Gleichgültigkeit? Es ist übrigens nicht naional begrenzt. Das war sicher beim Hochwasser auch so, Irgendwann erreichen einen die Nachrichten aus der Schreckenszone nicht mehr. Man muss nicht die neueste Panzerstellung wissen - apopo Wissen. Da ist immer soviel Spekulation und mögliches Unwissen dabei, dass dauernder Nachrichtkonsum keinen Mehrwert mehr hat. Besonders nicht für die eigene Gefühlslage. Ukrainerinnen kehren auch nach Kiev zurück, obwohl nichts vorbei ist und versuchen wieder ein wenig Normalität.

    Und, nein, "Nehmen Sie ihn doch zum Anlass, die Nachrichten über den Ukrainekrieg in nächster Zeit wieder aufmerksamer zu verfolgen. "



    Zumal sich durch eine pseudoaufmerksame Verfolgung sich nichts ändert.



    Panik ist ein schlechter Ratgeber.

    • @fly:

      Tja, wenn man erst einmal merkt, dass Politik, Gerichtsbarkeit, Exekutive und Presse keine wirkliche Lösung verfolgen wird es halt nur noch langweilig ...