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Spannungen auf dem Tempelberg

Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen provozieren sich gegenseitig, dennoch bleibt es verhältnismäßig ruhig

Aus Tel Aviv Judith Poppe

Jerusalem, das sowohl Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen als auch Israelis als Hauptstadt für sich beanspruchen, steht wieder im Spannungsfeld der beiden Gesellschaften: Am Sonntagmorgen ist die israelische Polizei erneut auf den Tempelberg angerückt. Mehrere Hundert Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen hatten laut Polizeiangaben zuvor versucht, Jü­d:in­nen daran zu hindern, den Vorplatz des Tempelberges zu betreten. Laut derzeitigem Status quo dürfen sie den Tempelberg nur zu festgelegten Zeiten aufsuchen und nicht dort beten. Jordaniens König Abdullah II. verurteilte die Besuche als „Provokation“. Das jordanische Außenministerium betonte, die israelische Polizei habe nicht das Recht, Besuche nichtmuslimischer Gläubiger auf dem Tempelberg zu organisieren.

Zwei Tage zuvor war die israelische Polizei in die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg eingedrungen, mehr als 150 Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen wurden verletzt, nach Angaben der israelischen Polizei mindestens 300 Menschen festgenommen. Am Montag und kommenden Mittwoch könnte sich die Situation noch einmal verschärfen, wenn Zehntausende jüdische Gläubige zu Gebetszeremonien an die Klagemauer kommen, die nur wenige Meter von der Al-Aksa-Moschee entfernt steht.

Angefeuert wird die Situation auch vom Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Westjor­dan­land. Dort unternahm das israelische Militär am Wochenende weitere Razzien, unter anderem in der Stadt Jamun, nahe Dschenin – zwei Palästinenser wurden getötet. Dschenin ist derzeit das Zentrum der Militäroperationen im Westjordanland. Die Täter der jüngsten Anschläge von Tel Aviv und Bnei Brak in Israel kamen aus der Umgebung der Stadt.

Am Sonntag protestierten Pa läs­ti­nen­se­r:in­nen außerdem im Rahmen des „Palestinian Prisoners Day“ unter anderem in den im Westjordanland gelegenen Städten Ramallah, Nablus und Hebron gegen die Inhaftierung und Haftbedingungen von palästinensischen Gefangenen. Nach Angaben von AlJazeera sitzen derzeit mehr als 4.400 Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen in israelischen Gefängnissen, davon 530 ohne Verurteilung.

Gleichzeitig hat Israel im Vergleich zu früheren Jahren die palästinensischen Gebiete nicht für die gesamte Pessach-Woche abgeriegelt, die noch bis zum 23. April anhält. Zwischen Freitagnachmittag und Samstagnacht galt die Ausgangssperre dennoch – Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen durften Israel nicht betreten. Wer zum Freitagsgebet in die Al-Aksa-Moschee wollte, musste vor Beginn der Sperre zurück in den palästinensischen Gebieten sein. Verteidigungsminister Benny Gantzs Entscheidung beruht auf Empfehlungen von Sicherheitskreisen und wurde mit der Rückendeckung von Ministerpräsident Naftali Bennett getroffen. Dahinter dürfte der Versuch stehen, die Frustration auf palästinensischer Seite nicht zusätzlich anzuheizen.

Der Druck auf Mansour Abbas, palästinensischer Israeli und Regierungsmitglied, und seine islamische Partei Ra’am, die an der extrem breiten Rechts-links-Regierungskoalition beteiligt ist, wächst dennoch. Aus den eigenen Reihen kommen Rufe, aus der Regierungskoalition auszusteigen. Abbas verurteilte zwar die Gewalt der israelischen Sicherheitskräfte auf dem Tempelberg, versucht aber gleichzeitig die Regierung aufrecht zu erhalten. Angesichts der Spannungen hat Ra’am die Mitgliedschaft in der Koalition für vorerst zwei Wochen eingefroren, in der Hoffnung, so den Druck auf die Partei zu verringern und einen dauerhaften Bruch mit der Regierung zu verhindern. Derzeit befindet sich das israelische Parlament in der Frühlingspause. Der mit Bennett abgesprochene Schritt hat also zunächst kaum Auswirkungen. Vor zwei Wochen hatte die Regierungskoalition wegen des Austritts eines rechtsgerichteten Mitglieds ihre ohnehin dünne Mehrheit verloren und steht seitdem auf der Kippe.

Bisher verhält sich die den Gazastreifen regierende Hamas recht ruhig. Zwar hatte sie Jerusalem vergangene Woche als „rote Linie“ bezeichnet, bislang aber daraus keine Konsequenzen gezogen. Grund dafür dürfte unter anderem die Furcht davor sein, weiter an Popularität bei der Bevölkerung Gazas zu verlieren. Doch je länger die Zusammenstöße andauern, desto größer wird der Druck auf die militante Gruppe, zu reagieren.

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