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Vorbereitungen auf GasknappheitEuropas Kippmoment ist da

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Nun ist klar: Das Gas reicht in Deutschland nicht mehr für alle Zwecke aus. Energie wird zwar nicht versiegen – aber deutlich teurer werden.

Erst wäre die pharmazeutische und chemische Industrie dran: Erdgas-Verdichterstation in Brandenburg Foto: Christian Mang

D as Weltfinanzsystem samt deutscher Banken stand kurz vor dem Kollaps, als Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück im Oktober 2008 „den Sparerinnen und Sparern“ in „Tagesschau“-gerechten Sätzen versicherten, „dass ihre Einlagen sicher sind“. Nun verspricht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dass im Winter niemand frieren muss. Doch genauso, wie die Aussage zu den Sparbüchern nur zeigte, wie dramatisch die Finanzkrise war, wird nun erst recht deutlich, wie kritisch es um die Energieversorgung steht.

Dass die Bundesregierung die erste Stufe des „Notfallplans Gas“ ausgerufen hat, ist die Vorbereitung dafür, dass das Gas nicht mehr für alle Zwecke langt. Noch sei nichts knapp, betont Minister Habeck. Und tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass Wohnungen im kommenden Winter hierzulande kalt bleiben. Laut dem Notfallplan würde Putins Lieferstopp VerbraucherInnen zuletzt treffen.

Zunächst wäre die pharmazeutische und chemische Industrie dran. Die Branche warnt bereits vor einem „industriellen Flächenbrand“; viele Lieferketten dürften zusammenbrechen. Eine schwere Rezession droht, ÖkonomInnen rechnen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von bis zu 6 Prozent. Zum Vergleich: Im Coronajahr 2020 sank diese um 4,6 Prozent, Millionen ArbeitnehmerInnen mussten kurzarbeiten und viele Betriebe dichtmachen; der Staat ging mit 270 Milliarden Euro in die Miesen.

Wenn jemand je am „Zeitenwende“-Ausspruch von Olaf Scholz nach dem Überfall auf die Ukraine gezweifelt haben sollte – Europas Kippmoment ist jetzt gekommen. Auch im Westen des Kontinents sind nun viele BürgerInnen Teil von Putins teuflischem Poker geworden. Am Mittwoch kündigte der Kreml an, nicht von heute auf morgen auf die Zahlung der Energierechnungen in Rubel bestehen zu wollen, die der Westen ablehnt, sondern erst nach und nach.

Auch andere Rohstoffe sind betroffen

Das heißt, das Zittern um ein mögliches Ende der Lieferungen des klimaschädlichen Erdgases kann sich noch lange hinziehen. Auch andere für den Westen wichtige Dinge will Russland nun in die Waagschalen des Konflikts werfen: So sollen für die hiesige Industrie relevante Rohstoffe wie Nickel, Titan oder Eisenerzeugnisse künftig in Rubel abgerechnet werden.

Sicher ist: Die Preise steigen weiter. Wenn Wladimir Putin den Finger am Gasknopf hält, wird Energie noch teurer als bislang. Höchst fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob Habecks durchaus tapfere, aber nationale Einkaufstour in Arabien die Sache vergünstigt haben mag – oder ob ein gemeinsamer europäischer Einkauf nicht billiger wäre.

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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6 Kommentare

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  • "Das Gas reicht in Deutschland nicht mehr für alle Zwecke aus"

    Das ist falsch. Schreibt der Autor ja dann weniger reisserisch später selbst auch, dass es um massive Preisanstiege und Spekulationen geht.

  • Vorbild für Deutschland ?



    Auf Sri Lanka gibt es zehn Stunden am Tag keinen Strom

    Wegen eines eklatanten Mangels an Öl und Kohle hat Sri Lankas Regierung angekündigt, die Unterbrechung der Stromversorgung auf zehn Stunden am Tag auszudehnen. Die Stromproduktion durch Wasserkraft, die normalerweise rund 40 Prozent der Stromversorgung ausmacht, droht durch langanhaltende Trockenheit auszufallen. Bereits seit dem Monatsbeginn sind in Sri Lanka siebenstündige Stromausfälle die Regel.

  • Nun ist klar: Das Gas reicht in Deutschland nicht mehr für alle Zwecke aus

    Sorry: Aber das ist überhaupt nicht klar, sondern Panikmache!



    Bisher reicht das Gas für alle Zwecke. Eine Regierung handelt aber dann gut, wenn es sie sich auf Eventualitäten einstellt. Das tut sie mit der Ausrufung des Notfallplans I



    Ob es am Ende reicht - auch das Gas, liegt an vielen Faktoren.

  • "oder ob ein gemeinsamer europäischer Einkauf nicht billiger wäre."



    Das hätte bekanntlich viel zu lange gedauert, bis sich da wieder alle einig gewesen wären. Allein das hätte den Preis vermutlich schon erhöht.



    Der schnelle Händler macht den Schnitt.



    Einen Preisrabatt könnte es auch noch im Nachgang geben, wenn sich die EU als gemeinsamer Einkäufer mit entsprechenden Konditionen in Verhandlungen begibt.

    Aber grundsätzlich wollen doch alle weg von den Fossilen, oder?

    Mittlerweile haben wir ja schon 15% beim Gas diversifiziert. Wenn wir nun endlich auch mal Einsparen würden, könnten wir damit nochmals mind. 10 % reduzieren. Dann wären es theoretisch nur noch 30% Abhängigkeit von Russland.

    Seltsam ist nur dass die Gasspeicher scheinbar nur mit Russischem Gas gefüllt werden dürfen. Ob es gelingt die Speicher bis zum Winter also voll zu bekommen ist noch eine offene Frage.

  • Vor genau fünfzig Jahren hat der "Club of Rome" seine Studie vorgelegt "Grenzen des Wachstums". Seitdem ist, relativ gesehen, nichts passiert. Gerade die deutsche Großindustrie hat die wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen dieser Studie offensiv ignoriert, entschieden und entscheidend bekämpft.

    Die aktuelle Situation ist letztlich mutwillig erwirtschaftet worden in Deutschland, von Politik und Wirtschaft gleichermaßen.

    • @Der Alleswisser:

      Also : Lassen wir die Globalisierer jetzt das teure Gas bezahlen und das Publikum bekommt günstige Energie. Oder gleich ganz viele Grossverbraucher einfach abstellen. Irgendwann müssen wir doch wieder zu einer bescheidenen Wirtschaftsform zurückkehren. Verhungern muss keiner und frieren in öffentlichen Wärmenstuben auch nicht, Hauptsache: Wir regeln alles solidarisch (unter uns und nicht von oben)