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94. Oscar-Verleihung mit OhrfeigeDie Crux des Heimglotzens

Bei der 94. Oscar-Verleihung ging es handgreiflich auf der Bühne zu. Preise gingen vor allem an Filme von Streamingdiensten.

Oscar-Gewinner Will Smith ohrfeigt Moderator Chris Rock Foto: Brian Snyder/reuters

„The Power of the Dog“ ist ein Film über toxische Männlichkeit. Über Aggressivität, über klassische Verhaltensweisen, über einen versperrten Zugang zu den Gefühlen. Wie aktuell Jane Campions sensueller, subtiler Spätwestern ist, der bei den 94. Oscars mit zwölf Nominierungen, aber nur einem Preis (Beste Regie) geehrt wurde, konnte man auf der Verleihung erleben: Nachdem Laudator Chris Rock einen despektierlichen Witz über Jada Pinkett-Smith gemacht hatte und von „GI Jane 2“ frotzelte, platzte Will Smith der Kragen.

Er stapfte auf die Bühne, schlug Rock ins Gesicht, und stapfte zurück an seinen Platz, von wo aus er Rock weiter beschimpfte: „Keep my wife’s name out of you fucking mouth.“ So folgte ein Punch auf eine Punchline.

In Ridley Scotts reaktionärem Actiondrama „GI Jane“ spielte Demi Moore 1997 eine Leutnantin, die als erste Frau eine schwierige Zusatzausbildung abservieren will. Moore trug die Haare in ihrer Rolle raspelkurz. Kahl saß auch Jada Pinkett-Smith im Dolby Theatre – ihre Glatze ist allerdings ihrer Krankheit geschuldet: Sie hat Alopecia, kreisrunden Haarausfall.

Schutzpatron der Schwächeren

Es ist also schwer zu sagen, wer sich bei der Verleihung am Sonntag dämlicher benommen hat: Der Comedian, der sich vor der Welt über die Krankheit einer Frau lustig macht, die sie eines als klassisch weiblich geltenden Attributs beraubt. Oder der Schauspieler, der meint, im Namen seiner Ehefrau einen anderen Mann schlagen und sie damit „rächen“ zu müssen.

Dass Will Smith kurz darauf einen Preis für sein hingebungsvolles Spiel in „King Richard“ bekam, dem Biopic über Serenas und Venus’ Vater Richard Williams, machte die Sache kaum besser. Zwar versuchte Smith, sein Verhalten zu entschuldigen, und kreiste in seiner Dankesrede tränenerstickt um die Worte „protection“ und „family“ – wie Williams seine Töchter beschützt habe, würde er sich als Schutzpatron der Schwächeren fühlen.

Aber das konnte nicht verschleiern, dass toxische Männlichkeit noch immer verbreitet ist – auch bei als emotional geltenden Künstlern jeglicher Hautfarbe. Rocks zuweilen beleidigender Humor, der in der Comedy-Szene gefeiert wird, unterstreicht das.

Konventionell und schlicht

Auch andere Entscheidungen der rund 10.000 Academy-Mitglieder lassen sich diskutieren – „Coda“, der „Beste Film“, ist eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte, in der eine hörende Tochter gehörloser Eltern ihre Liebe zur Musik und zum Gesang entdeckt. Der Film ist ein nötiger und wichtiger Triumph für die Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit Handicap, konventionell und schlicht ist er dennoch.

Inwiefern die Wahl der Mitglieder mit der Sichtungssituation zusammenhing, wird man (mal wieder) nicht ausreichend analysieren können: Einen langsamen, bildlich opulenten und herausfordernden Film wie „The Power of the Dog“ im bequemen Zuhause via Netflix anzuschauen, macht etwas aus. Der als „Bester Hauptdarsteller“ nominierte Benedict Cumberbatch, der gegen Smith verlor, hatte vorher in der Vanity Fair deutlich die Praxis der Streamer kritisiert, Filmen nur eine kurze Kinoauswertung zu gönnen.

Und ob Hans Zimmer, der Preisträger des Musik-Oscars, die vielen Ideen des „Dune-Scores wirklich selbst kreiert hat, lässt sich kaum nachprüfen – die Praxis US-amerikanischer Filmmusiker:innen, für kleines Salär und ohne Namensnennung sogenannte „Ghostwriter“ zu beschäftigen, ärgert die Branche schon lange. Dass die Streamer zudem kaum Lizenzgelder an Kom­po­nis­t:in­nen zahlen, verschlimmert deren Situation.

Das Thema Ukrainekrieg wurde am Sonntag weitgehend ausgespart – über Politik, so schien es, traute man sich bei der vorsichtigen Präsenzshow nicht zu sprechen. Immerhin kann sich der Musiker Questlove über den Oscar für „Summer of Soul“ freuen. Und natürlich ist sein Film über das Harlem-Musikfestival 1969 politisch – Rassismus, Diskriminierung und Nationalstolz spielten dort ebenso eine Rolle wie bei sämtlichen aktuellen politischen Brandherden.

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20 Kommentare

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  • Wer kennt eigentlich das Verhältnis der beiden Herren zueinander? Wer kennt Will Smith als Person, wer ist mit dem Humor von Chris Rock wirklich vertraut? Wer hat den hier als reaktionär betitelten Film „GI Jane“ gesehen und noch in Erinnerung? Wer weiß gut Bescheid über den Umgang von Jada Pinkett-Smith mit ihrer Krankheit? Wer weiß, ob Smith Attacke wirklich etwas mit dem Haarausfall seiner Frau zu tun hatte? - Jeder hat bestenfalls ein zwei-, vielleicht dreiminütiges Video gesehen, hat wenig konkrete Informationen, jedoch viel Raum für Spekulationen. Wild recherchiert wird aber nicht sondern direkt (und subkutan aufseufzend: „wie immer“) von „toxischer Männlichkeit“ gefabelt. Wie überaus friedlich. - Ohne Smith Reaktion hätte Rocks Gag wohl keine Empörung ausgelöst, hätte sich innerhalb von zwei Tagen versendet. Komik ist ein Genre. Und Hamlet nicht dänenverachtend.

  • Früher galt die Narrenfreiheit. Wenn sich nun öffentliche Schellen für schlechte Witze einbürgern, brauchen alle Comedians Personenschutz. Wollen wir das?

  • … und:

    was steckt hinter dieser Art von "Scherz" der auf Kosten von Einschränkungen anderer gemacht wird:

    Gewalt, p u r e G e w a l t die jedoch nicht thematisiert wird ...

  • Ich empfand den Witz nicht als besonders despektierlich sondern eher harmlos-karikierend. Ohne die Schelle wäre m.E. darüber nicht weiter diskutiert worden. Smith verpasst Rock aber auf offener Bühne eine Ohrfeige. Das ist eine ganz andere Liga. Den Befund (alltäglicher) toxischer Männlichkeit wie selbstverständlich daraus abzuleiten empfinde ich als aggressiv. Nennen wir es spaßeshalber toxische Weiblichkeit.

  • Man kann doch nicht beide Dinge, also den Witz und die Schelle, auf eine Stufe stellen und dann mit der toxischen Männlichkeits-Argumentation über alles hinwegzuwalzen. Ich frage mich, wie eine seriöse Zeitung wie die TAZ eine solche Grenze einreißen lassen kann. Will Smith gehört zu mindestens zu Sozialstunden mit Menschen verdonnert, die nicht das Privileg haben jemandem eine aufs Maul zu hauen und dafür standing Ovations zu bekommen.

  • Ich höre schon wieder das Sterbeglöcklein für das Kino läuten. Denn wer wird sich noch aus dem eigenen Sessel erheben um ins Kino zu gehen? Wenn mit Streaming viel mehr und nach Wahl zu sehen ist?



    Aber eine ähnliche Situationen gab es schon vor Jahrzenten, als Filme erstmals per Fernsehen ins Wohnzimmer kamen. Auch später, als die freie Auswahl mit Video-Kassette und DVD hinzu kam. Das Kino hat überlebt.



    Aber es braucht eben Phantasie, um die Zuschauer vom Bildschirm wegzulocken!

  • Sehr gut Will Smith. Ich habe das gesehen.



    Genau richtig gehandelt. War einfach nur unterste Gürtellinie, seine Witzereihe gegen die kranke Frau Smith. Einfach mal zeigen das so ein Verhalten gar nicht geht. Toxisch ist wenn man dies immer stehen lässt und höchstens noch mit einem Shitstorm darauf antwortet. So was ebbt gleich wieder ab sobald der Hype herum.

    • @Pittmitd:

      Nein. Niemand hier streitet ab dass der 'Witz' völlig daneben war. Aber Gewalt ist Gewalt.



      Das hatte auch nichts damit zu tun sich aus einer ''Ohnmachtsposition heraus zu wehren'' o.Ä., Will Smith hat da halt mackerhaft die 'Ehre' seiner Frau mit der Faust verteidigt. Toxisch männlich wie aus dem Bilderbuch.



      Es hätte dutzende gewaltfreie Alternativen gegeben das 'nicht stehen zu lassen'....

      • @Eydeet14:

        Mein Englisch ist nicht zugegbenermaßen nicht besonders gut. Ich habe den Witz so verstanden, dass Rock sich auf den zweiten Teil von G.I Jane freue. Wenn das alles war, dann war es aus meiner Sicht ein mehr als harmloser Witz, der auch nicht übertrieben niveaulos war. Alles schön harmlos. Wie es sich für eine Oscar-Verleihung eigentlich gehört.

        • @Michael Chlodwig:

          Es gibt keinen 2. Teil von G.I. Jane, das war eine Anspielung auf die Kurzhaarfrisur der Protagonistin Jane im 1. Teil - Will Smith Frau heißt Jana und verliert unfreiwillig ihre Haare.



          Quintessenz: Haha, du hast bald Glatze.



          Harmlos war da überhaupt nix.

          • @Eydeet14:

            Klar gibt es keinen zweiten Teil. Sonst könnte er sich ja nicht darauf freuen. Und klar war es eine Anspielung auf die Kurzhaarfrisur. Da enden aber m.E. die Parallelen. „Haha, Du hast bald Glatze“ – ist als „Quintessenz“ eine reine Unterstellung. Der Gag war die Ähnlichkeit durch die Frisur, nicht mehr.

            • @Michael Chlodwig:

              Du liebe Güte.

              Jada Pinkett-Smith hat diese 'ähnliche' Frisur UNFREIWILLIG AUFGRUND EINER ERKRANKUNG.



              Natürlich ist ein Witz darüber abwertend.



              Wenn Sie nicht sehen können oder wollen wo da das Problem liegt kann ich Ihnen nur dringends ans Herz legen etwas Perspektive für verletzende Verbale Gewalt zu gewinnen.

              • @Eydeet14:

                Die Kette der Witzzerwürfnisse ist doch recht lang geworden in den letzten Jahren. Egal ob Böhmermanns Schmähgedicht, Frau Weidels Betitelung als Nachttischlampe oder die Titanic-Plakate („Für Feminismus Ihr Fitzen!“). In allen drei Fällen gab es Leute, die mit derselben Selbstverständlichkeit wie Sie den Witzen eine grob abwertende Tendenz unterschieben wollten. In allen Fällen haben das die Witzmacher das die Witzmacher erfolgreich korrigiert, wenn auch nur strafrechtlich. Der Witz ist natürlich nicht abwertend.



                Sollten Sie das anders sehen, schulen Sie bitte ihre Spaßsensibilität und ihr Gefühl für Witztendenzen. (beiseit) Das sollten wohl reichen, um die Diskussion zu beenden

                • @Michael Chlodwig:

                  Wenn Sie allen Ernstes auch noch anfangen, die vorliegende Situation mit politischer Satire in einen Topf zu schmeißen erübrigt sich eine weitere 'Diskussion' tatsächlich....

                  • @Eydeet14:

                    Wenn ich nun auch noch schriebe, dass Rocks Witz professionell und harmlos war, gemessen an der heutigen Witzkultur, dann würden sie vermutlich auch noch herauslesen, ich würde nun alles mit Goethe vermenge, weil ich ja das Wort Kultur gebraucht habe. Argumente bleiben übrigens Argumente, selbst wenn man sie durch Anführungszeichen versucht zu entwerten. Vielleicht machen wir hier also wirklich einen Punkt.

      • @Eydeet14:

        Danke für die Antworten, diese Diskussionen führe ich tatsächlich am liebsten auf taz.de und nicht Welt.de mit ihrem regressive Publikum.



        Es ist richtig, beides ist Gewalt und Gewalt ist scheiße. Ich lade jeden dazu ein, den Ausschnitt von der Oscar Verleihung anzusehen.



        Es war eben nicht nur ein "Witzelchen" auf Kosten seiner Frau. Es war eine Reihe von verletztenden Verbalatracken gegen sie und Ihre Krankheit (Alopecia). Man sieht es ihr förmlich an. Übrigens auch nicht das erste Mal, das er das gemacht hat. Psychische Gewalt kann unglaublich verletzend sein und ist manchmal sogar verletztender als körperliche wenn sie tiefer geht. Der Fokus darauf, fehlt mir schon häufig.



        Wenn jemand schlägt ist es halt aufmerksamkeitswirksam, egal ob in der Schule am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Wir sind evolutionär darauf gepolt den körperlichen Agressors wegen unmittelbarer Gefaht sofort Aufmerksamkeit zu schenken. Was in einem Stamm mit zwanzig Mitgliedern auch Sinn macht. Das stille Mobbing findet hingegen häufiger unbemerkt statt und wird in Nuancen von einer Vielzahl von uns viel stärker akzeptiert. Denn wo wird da die Linie gezogen?



        Diese Abstufung möchte ich nicht unbedingt machen.



        Interessant das die Tat von Will Smith viel stärker thematisiert wird als derjenige, der angefangen hatte, also der eigentliche Agressors ist und seine Nummer vorher zu Hause geplant hatte.



        Generell stimme ich meinen Mitforisten zu: Zurückhauen ist ein Relikt aus alten Zeiten.



        Ich will mich nur nicht von dem Gedanken verabschieden, dass es manchmal schlicht und ergreifend gerechtfertigt ist, dem hinterhältigen Agressors (egal ob verbal oder körperlich), schlicht und ergreifend eins auf die Nase zu geben. Ich denke da sind wir unseren Genen näher als wir denken.



        Und auch ein Putin, verdient eins auf die Nase. Mindestens.



        Danke für die Diskussion und das Lesen meines langen Beitrages ;-).



        Over and Out.



        Mike drop.

        • @Pittmitd:

          Von stillem Mobbing und Planung hinterrücks kann aber bei dem Witz eines Komikers auf der Oscar-Verleihung keine Rede sein. Und auch Will Smith hat als Koiker begonnen. Ihm kann also eigentlich Witzkompetenz unterstellt werden. Die Unterstellung, Rock würde sich über die Krankheit von Pinkett-Smith hämisch lustig machen, ist aber grotesk. Wer das behauptet, sollte es begründen müssen. Scließlich redet Rock mit keiner Silbe von einer Krankheit.

    • @Pittmitd:

      Will Smith ist ein reicher, in der Öffentichkeit präsenter Mensch mit enormer Reichweite und Boxerfähigkeiten. Der hat sehr viele nicht-gewaltanwendende Möglichkeiten zur Reaktion auf einen Witz über seine Frau. Deshalb sollte man bei Ihm besonders harte Kriterien zur Bewertung seiner Aktion anwenden.

    • @Pittmitd:

      Ich fand die Reaktion auf den wirklich abartig schlechten Witz ziemlich unzivilisiert. Dass einem so talentierten Schauspieler, wie Will Smith es sein soll, nichts Raffinierteres einfällt, ist ernüchternd. Aber wahrscheinlich spiegelt er mit seinem Verhalten einfach nur den Zeitgeist wider: mehr Gewaltbereitschaft, rauher Umgang, wenig pfiffige Intelligenz.

    • @Pittmitd:

      Ich denke auch, Gewalt ist die richtige Antwort auf geschmacklose Witze. Wartet mal ab bis Erdogan den Böhmermann zu fassen bekommt...