Academy Awards ohne Selenski: Kein Platz für echte Politiker

Bei den Oscars gab es keinen Auftritt des ukrainischen Präsidenten. Über die Gründe wird wild spekuliert.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, per Video zugschaltet bei der Berlinale-Eröffnung

Bei der Berlinale durfte er sprechen: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski per Video Foto: Anegret Hilse/reuters

Vor sieben Jahren entstand der überfällige Hashtag #OscarsSoWhite. Den es auch in diesem Jahr gebraucht hätte, und zwar nicht wegen der neuen Farbe des roten Teppichs („pale“ oder „Champagner“ – der würde nicht mal Flecken machen): Allein Daniel Kwan, einer der beiden „Every­thing Everywhere All at Once“-Regisseure, hielt die nichtweiße Fahne in den „Königskategorien“ (Film, Regie, Drehbuch) hoch.

Im Nachklapp des größten US-Unterhaltungs-­Mulatschag führt aber so mancher den Diskurs weiter: Wieso denn nicht, wie ja sonst fast schon üblich bei ähnlichen Events, in der Show zu Wolodimir Selenski geschaltet worden sei, fragte das Branchenblatt Variety diese Woche. Und gab selbst die Antwort: Der ukrainische Präsident habe nach 2022 bereits zum zweiten Mal beim Oscar-Sender ABC angeklopft und sei, so wissen „Quellen“, wieder abgewiesen worden.

Jene nie versiegenden „Quellen“ machen den Oscar-Show-Produzenten Will Packer für die Absage an Selenski verantwortlich – als Schwarzer Mann hege Packer insgeheim Groll darüber, dass viel zu viel der Weltaufmerksamkeit auf den vom Krieg betroffenen weißen Ukrai­ne­r:in­nen lande, ­People of Color dagegen, die auf der ganzen Welt in schwerwiegende Konflikte und Kriege verwickelt sind, seien Hollywood piepe.

Da vonseiten der Oscar-Produktion und Packer kein Kommentar zu der Annahme kam, ein Schwarzer Mensch sei missgünstig gegenüber weißen Kriegsopfern, blieb sie so stehen. Und fügt sich in einen Kanon der Scheelsucht ein: Seit es Bürgerrechtsbewegungen, ach was, seit es Bür­ge­r:in­nen gibt, sicher auch schon vorher, wird das Leid verschiedener benachteiligter Gruppen zuweilen gegeneinander ausgespielt.

Missgunst zu unterstellen, ist Quatsch

Das scheint unabhängig davon zu passieren, ob man selbst in eine dieser Gruppen eingeordnet werden kann oder nicht. Was folgerichtig ist, denn tatsächlich werden Erfahrungen mit Rassismus, Sexismus oder Antisemitismus trotz Faktenlage – all diese strukturellen und akuten Diskriminierungen sind tief verwurzelt in sämtlichen Gesellschaften – unterschiedlich wahrgenommen.

Weißes Leid hat zwar auf der ganzen Welt einen anderen Stellenwert als schwarzes Leid. Intersektionelle Diskriminierung, also Mehrfachdiskriminierung gibt es aber ebenfalls. Man müsste alle strukturellen und akuten Ungerechtigkeiten gleichermaßen wahrnehmen und beklagen – doch das geschieht nicht.

Die Unterhaltungsbranche Hollywoods fühlt sich erst recht nicht verantwortlich: Einem Produzenten einer eh schon immer unpolitischen Award-Show vorzuwerfen, er sträube sich aus latenter Missgunst gegen die Möglichkeit einer politischen Aussage, ist darum Quatsch.

Bei den Oscars wurden auch früher keine fremden Prä­si­den­t:in­nen zugeschaltet; sämtliche politische Statements kamen von Preisträger:innen: Sacheen Littlefeathers Verweigerung für Marlon Brandos Oscar 1973, Bert Schneiders Anti-Vietnamkriegs-Äußerungen 1975; Vanessa Redgraves Kritik an der Jewish Defense League 1978, nachdem sie einen Dokumentarfilm namens „The Palestinian“ produziert hatte; Michael Moores Scham-Attacke auf George W. Bush 2003; John Legends Awareness-Aufruf für gleiches Wahlrecht 2015.

Oder es kamen politische Spitzen von sarkastischen, als klassische „Hofnarren“ mit relativer Redefreiheit ausgestatteten Mo­de­ra­to­r:in­nen.

Die Kunst der Satire schützte diese Hosts stets vor Konsequenzen. Denn Satire gehört zur Unterhaltung und darf damit in die Award-Show. Ein Präsident in Kriegszeiten, selbst wenn es ein ehemaliger Comedian ist, hatte in der Traumwelt jedoch noch nie einen Platz.

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