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Die Klimabewegung im PortraitMensch, diese Familie!

Die Klimabewegung besteht mittlerweile aus vielen Gruppen. Für alle, die da schon mal den Überblick verlieren: das Klima-Familien-Porträt.

Unterschiedliche Ansichten im Detail, aber gemeinsame Ziele im Blick – Kli­ma­schutz­ak­ti­vis­t*in­nen Illustration: Kittyhawk

Die gütigen Großeltern

Damals war natürlich alles viel aufregender! Von der Klimakrise redete in den Jugendjahren der heutigen Ökogroßeltern noch niemand. Den Umweltverbänden wie Greenpeace, Nabu, BUND oder WWF ging es aber auch um den Erhalt der Erde – und um „Gegen die da oben“!

Die ersten Umweltinitiativen in Deutschland wollten Anfang der 70er Jahre die Expansion einer Erdölraffinerie, ein Bleichemiewerk und das AKW Wyhl verhindern. In der Folge schockten die verschiedenen Bewegungen mit Bildern von abgeschlachteten Robben, Waldsterben und Atomwahnsinn. Die Ökos der 80er und 90er Jahre muckten auf gegen Startbahn West, Atommüll, Chemiefabriken, Tropenwaldvernichtung, das Ozonloch oder die Quälerei in der Tiermast, die Deutsche Umwelthilfe engagierte sich letztens maßgeblich beim VW-Abgasskandal.

Die Szene institutionalisierte sich immer mehr, bekam 1986 von Helmut Kohl im Westen sogar ein eigenes Umweltministerium spendiert, 14 Jahre später als im Osten. Heute haben viele der Ökos von damals zumindest graue Schläfen, aber jede Menge Einfluss – auch in Regierungsverantwortung. Es ist gar nicht so leicht für die aktuellen Klimaaktivisten, den Grünen Dampf zu machen, denn immerhin sagen die ja auch, sie wollten die Ziele des Pariser Abkommens erreichen. Es ist wie immer in einer großen Familie: Die Jungen krakeelen lautstark für ihre Ziele. Vielen Alten ist die Randale zwar zu stressig, aber sie denken: Lass die mal machen, vielleicht erreichen sie ja, was wir nie geschafft haben.

Der Deutsche Naturschutzring wurde 1950 gegründet und vertritt als Dachverband 97 deutsche Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen mit insgesamt 11 Millionen Mitgliedern.

Der überkorrekte Onkel

Endlich Regeln! Na klar, die Klimakrise erfordert radikales Handeln – aber deshalb in die üblichen Blockadegruppen, wo die einen gerade vom Marx-Lesezirkel kommen, die anderen vom Genderdekonstruieren?

Gibt es bei Extinction Rebellion zwar definitiv auch – aber vor allem übersichtlich durchnummeriert, genau drei Forderungen und zehn Aktionsprinzipien. Damit trat die Gruppe an, um dem Rest der Familie mal zu zeigen, wie das mit dem Klimaprotest eigentlich geht, denn Mitgründer ­Roger Hallam hat das Ganze aus seiner Forschung abgeleitet. Der wollte zwar auch mit antisemitischen Äußerungen Aufmerksamkeit für die Bewegung erregen, die deutsche Sparte hat sich aber ausgiebig von ihm distanziert.

Die Rebellierenden sind freundlich zu Au­to­fah­re­r:in­nen und zur Polizei (Prinzip 8) – aber blockieren gewaltfrei Straßen gegen das Massenaussterben (Prinzip 9), manchmal als „der Tod“ verkleidet und mit Kunstblut. Das Bewegungsmarketing soll auch die Zahnärztin, den Grundschullehrer, die Anwaltsgehilfin ansprechen. Von politisch links bis konservativ sind alle willkommen (Prinzip 6). Die Idee: Wenn alle auf dem Weg zur Arbeit immer im Stau stehen, steigt der Druck auf die Politik. Bis es so weit ist, müssen aber vielleicht doch noch ein paar mehr Re­bel­l:in­nen rekrutiert werden. Und wann war überhaupt die letzte große XR-Aktion? Das Wichtige (neben dem Verhindern des menschlichen und sonstigen Aussterbens, Prinzip 1): Hier hat alles seine Ordnung.

Extinction Rebellion wurde 2018 in Großbritannien gegründet. Dort hat die Bewegung auch schon Tausende auf die Straße gebracht, in Deutschland sind die Proteste bisher eher kleiner.

Die aufsässige Tante

Wo geht’s hier eigentlich zur Revolution? Ach so, gibt’s noch nicht, na dann packen wir mal an – und rein in die Maler:innenanzüge. Auch wenn man bei Ende Gelände natürlich denjenigen skeptisch gegenübersteht, die damit wirklich schicke Klamotten schützen wollen. Solche Spießer:innen! Auch die ausgrenzungslose Gesellschaft hat ihre Grenzen.

Aber zurück zu den Anzügen: Es gibt einfach ein großartiges Bild ab, wenn Tausende in einheitlicher Kleidung in den Kohletagebau strömen, durch die Polizeiketten fließen und einen Ort der Zerstörung besetzen. Endlich nicht mehr nur demonstrieren und hoffen, dass irgendwer, der an irgendeinem Hebel sitzt, die Schilder liest. Nein, den eigenen Körper zwischen Gesellschaft und Fossilwahnsinn zu stellen, das fühlt sich groß an und mächtig, das hat zumindest kurzzeitig praktische Folgen. Mit etwas Glück raucht das nahe Kohlekraftwerk ein paar Stunden lang nicht, und ein, zwei Tage mediale Aufmerksamkeit sind auch gewiss.

Anders als bei der Straßenblockade stört man nicht die Pendlerin auf dem Weg zur Arbeit, sondern den Kohlekonzern bei seiner Profitmaximierung. Auf die Polizei sind viele bei Ende Gelände nicht gut zu sprechen. Man lässt sich eben nur eine gewisse Anzahl Schlagstockschläge gefallen, bevor man die Sache persönlich nimmt. Aber es geht auch ums Grundsätzliche, und zwar immer. CO2-Emissionen reduzieren ist kein Selbstzweck. Das gute Leben für alle kann es nur ohne Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus, Kolonialismus und die anderen Unterdrückungsmechanismen geben. Früher schloss die Bewegung jegliche Gewalt aus, jetzt – wie zuvor etwa schon die Splittergruppe Sand im Getriebe – nur noch gegenüber Menschen. Der eine oder andere Kohlebagger könnte also als Ersatzteillager herhalten. Für eine wirklich revolutionäre Schraubensammlung.

Ende Gelände startete 2015 die erste große Aktion und besetzte Teile des Kohletagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen. In den Folgejahren gab es immer wieder Aktionen mit bis zu 5.000 Teilnehmer:innen.

Die starke Schwester

Mitlaufen okay – aber bitte in die richtige Richtung: Fridays for Future ist groß und will alle mitnehmen. Hopphopp, wer nicht hüpft, der ist für Kohle. Die Streikenden wurden zwar von Corona ausgebremst, bleiben aber die bekannteste Klimagruppe.

Seitdem Greta Thunberg an einem Freitag im August 2018 vor dem schwedischen Parlament ihr berühmtes „Skolstrejk för klimatet“-Schild ausgepackt hat, tun es ihr Tausende Schü­le­r*in­nen nach. Mit Wort­füh­re­r*in­nen wie Luisa Neubauer und Jakob Blasel brachte die Bewegung einige Monate lang erstaunliche Faktenkenntnis in jede Talkshow – und CDU und SPD dazu, ein Klimaschutzgesetz zu verabschieden (das später mangels Klimaschutz vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde) sowie den Kohleausstieg einzuleiten (der abgeschlossen ist, wenn Bochum Temperaturen wie Neapel hat oder so).

Das ist mehr, als viele anderen Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen von sich behaupten können. Bei der Bundestagswahl 2021 sind sogar ein paar Freitagsdemonstrierende ins Parlament eingezogen. Wer Bock auf einen Job in der Politik hat: Am ehesten wird das hier was.

Neben dem Schilderbasteln, SUV-Fahrer*innen-Anpöbeln und Nachschreiben von verpassten Klassenarbeiten kann man sich bei FFF hervorragend mit Flügelkämpfen die Zeit vertreiben. Die werden bevorzugt in den abertausenden Whatsapp- und Telegram-Gruppen ausgetragen und lassen sich bei einer solch großen Gruppierung mit basisdemokratischem Anspruch auch nicht verhindern.

Bonus: Während die selbst erklärte Mitte der Gesellschaft dich für eine baumknutschende Kommunistin hält, kannst du dir des Hochmuts der radikaleren Seite der Familie sicher sein. Für sie bist du zu moderat, kompromissbereit … und sowieso, dieses Streiken, damit kommt man doch auch nicht mehr in die „Tagesschau“. Immerhin: Wenn FFF zum globalen Klimastreik aufruft, machen auch überregionale Tageszeitungen eine Klimaspezialausgabe.

Als Fridays for Future demonstrieren seit 2018 vor allem Schü­le­r*in­nen und Studierende freitags für den Klimaschutz. Im Sommer 2019 mobilisierte FFF Hunderttausende.

Die kauzige Cousine

Viele haben sie, diese etwas zu exzen­trische Cousine. Mit der man auf der Familienfeier dann doch irgendwann zu diskutieren anfängt. Bis das Gespräch ins Stocken gerät, weil sie zum fünften Mal betont, dass wir bald alle verhungern werden. Und weil sie die Vorteile eines Essen-retten-Gesetzes erklärt, obwohl ihr da ja schon alle zugestimmt haben.

Manchmal kommt sie mit einem Jutebeutel voll containertem Essen zum Familientreff, das sie dann überall auf dem Tisch zwischen Omas Kartoffelsalat und Hackbraten verteilt. „Wir müssen unser Essen retten, um unser Leben zu retten“, murmelt sie dabei mantramäßig vor sich hin. Dann geht sie sich noch mal kurz den Alleskleber von den Händen waschen. Oder ist das der Senf aus dem Containernpaket?

Manchmal trifft man sie auch auf der Straße (meistens in der Nähe von Autobahnausfahrten), sie zieht kurz den Kopf ein, grüßt dann aber doch. Ist schließlich Familie. Grundsätzlich ist man sich ja einig. Und ein bisschen tut sie einem auch leid. Kann schließlich nicht einfach sein, so als Tochter des überkorrekten Onkels. Richtig Revolte ist ja heute fast unmöglich: Straßen- und Flughafenblockaden schockieren ihren Papa längst nicht mehr. Da muss schon ein Hungerstreik her. Und konkrete Forderungen. Mehr Druck gegen die Regierung. Nimmt denn diese Familie die Klimakrise überhaupt so richtig ernst? Wenigstens lassen sich alle die containerten Gurken schmecken. Schön grün, oder?

Den „Aufstand der letzten Generation“ gibt es seit Ende 2021, er ging aus dem einige Monate zuvor absolvierten „Hungerstreik der letzten Generation“ hervor. Anfang des Jahres blockierten 50 bis 100 Ak­ti­vis­t:in­nen fast täglich Autobahnen bei verschiedenen Städten. Sie fordern ein Essen-retten-Gesetz und kippen bei ihren Protesten containerte Lebensmittel auf die Straße.

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1 Kommentar

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  • Es ist schon bedauerlich: Die Oldies bei ATTAC und Greenpeace, die echten Naturschützer beu BUND und NABU, die juristischen Kämpfer bei der DUH und und und.. (viele Bürgerinitiativen) und dazu noch die die Demokratieberater von Mehr Demokratie, viele Köche in der Küche mit ähnlicher Zielsetzung. Die entscheidenden Beweger sind jedoch Gretas Jünger von Fridays for Future und die Wissenschaftler , die sich noch viel zu wenig um einen Wandel der von Parteiinteressen beherrschten Parlamentskultur kümmern, deren Vollstrecker sich für ihre konkreten, nicht mehr zeitgemässen 'Leistungen' viel zu hohe Honorare genehmigen konnten. Daran konnten auch die inzwischen gut etablierten 'Grünen' nichts ändern, eher im Gegenteil. Wir brauchen eine neue Umweltschutzpartei, die wirklich etwas bewegen kann, auch ohne Berufspolitiker, die nichts anderes gelernt haben !