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Die Sondergipfel von Nato, EU und G7Alternativlose Eskalation

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Weder Putin noch der Westen haben genug Druckmittel in den Händen. Erst wenn das Kräfteverhältnis kippt, werden Verhandlungen denkbar.

Statuen in einer Kirche in Lemberg Foto: Carol Guzy/dpa

E inen Krieg durch Verhandlungen zu beenden hat immer zwei Voraussetzungen. Erstens müssen beide Seiten zur Überzeugung gelangt sein, militärisch nicht gewinnen zu können. Und zweitens müssen für die Machthaber beider Seiten die politischen Kosten einer Fortführung des Krieges höher sein als die der Aufgabe politischer Maximalforderungen.

Als dritte Regel kommt hinzu, dass beide ­Seiten niemals öffentlich zugeben, an diesem Punkt ­angelangt zu sein. Deshalb behauptet Präsident Wladimir Putin, die Sanktionen des Westens seien ärgerlich­, aber letztlich nicht so schlimm, und die „Spezialoperation“ laufe nach Plan – und der ­Westen tut so, als sei er bereit und in der Lage, die auch für die eigenen Wirtschaften schädlichen Sanktionen unendlich lange durchzuhalten und die ukrainischen Verteidigungs­linien mit immer mehr Waffenlieferungen zu halten.

In Moskau scheint man zwar inzwischen begriffen zu haben, dass die ursprünglichen Vorstellungen darüber, wie leicht die ukrainische Armee auszuschalten, Selenski zu stürzen und eine Marionettenregierung einzusetzen sei, mit der Realität wenig zu tun hatten. Aber die Reaktion auf diese Erkenntnis ist nicht Verhandlungsbereitschaft – die würde Schwäche signalisieren –, sondern die immer stärkere Bombardierung der Städte, die mit der nahezu vollständigen Zerstörung Mariu­pols ihren ersten schrecklichen Höhepunkt erreicht hat. Wir wissen nicht, ob wir euch besiegen, aber euer Land kaputtmachen können wir ganz sicher, wir haben dabei keine Eile und können jederzeit weiter eskalieren. Das ist Moskaus Position der Stärke.

Dem haben die Regierungen des Westens, die sich am Donnerstag in Brüssel zu Sondergipfeln von Nato, G7 und Europäischer Union versammeln, nicht so viel entgegenzusetzen. Bemüht, den Krieg nicht über die Grenzen der Ukraine hinausgehen zu lassen, setzen sie sich selbst enge Grenzen der militärischen Einmischung, auch wenn die natürlich de facto durch die Lieferung von Waffen und militärischen Aufklärungsinformationen längst stattfindet. Und die Sank­tio­nen zielen klar auf einen in Russland selbst herbeigeführten Regimewechsel – der aber derzeit wenig wahrscheinlich erscheint. Sie sind dennoch das schärfste Schwert, das der Westen anzuwenden bereit ist.

So werden die Staatschefs in Brüssel vermutlich die Sanktionen weiter verschärfen, den Druck auf Deutschland erhöhen, Energieimporte aus Russland nun endlich zu beenden, und weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ankündigen. Die Eskalation geht also weiter – und dazu gibt es furchtbarerweise kaum eine Alternative. Um den Frieden irgendwann verhandeln zu können, muss die Zermürbung offensichtlicher werden. Was dann von der Ukraine noch übrig ist, ist allerdings fraglich.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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12 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    heute



    Vor 25 Minuten



    David Rech



    David Rech



    Charles Michel erklärt Sieg über Putin zum Ziel

    EU-Ratspräsident Charles Michel hält eine Niederlage des russischen Regierungschefs Wladimir Putin für die künftige Sicherheit in Europa für essenziell. Michel sagte im US-Sender CNN, die russische Führung habe wahrscheinlich gedacht, die EU werde gespalten, Europa und die USA würden auseinanderdividiert. Das sei ein Fehler gewesen.



    =====



    =====



    ""---- Das bedeutet, dass wir vor allem dafür sorgen müssen, dass Putin besiegt wird. Das muss das aktuelle Ziel sein. Das ist eine Frage der Sicherheit für die Zukunft Europas und für die Zukunft der Welt.""

    EU-Ratspräsident Charles Michel

  • Die Eskalationsmöglichkeiten, eine notwendige Schwäche-Stärke-Asymmetrie bis es zu ernsthaften Verhandlungen und Waffenstillstand kommen kann, sind für diese Situation gut analysiert.

    Grundlegend falsch ist die Erzählung dahinter. Sie basiert auf dem Missverständnis, dass wir zwei Kriegsgegner sind, sogar in Verlängerung wie sie der Zweite Weltkrieg vorgab, die sich aus ehemals Alliierten hin zu einer zweigeteilten Welt ergeben habe.

    Kommunismus auf der einen Seite - gemeinhin der „Osten“,



    auf der anderen Seite der freie „Westen“ in Personalunion nicht allein USA, GB, F, sondern NATO und EU.

    Irgendwo dazwischen Deutschland, mal als Verantwortlicher mit Ewigkeitslast und daraus resultierender Pflicht Forderungskataloge aus historischer Verantwortlichkeit zu erfüllen, mal als Wirtschaftsmacht in Verantwortung viertgrößter Geldgeber oder größter Geldgeber zu sein, je nach Bündnis, mal der verantwortungslose „Bremser“ für diverse Handlungsoptionen für die anderen: Je nach moralischem Spielball gefordert:



    Selbstaufgabe mindestens zur wirtschaftlichen Verzwergung, Selbstaufgabe einer doppelt so großen Bevölkerung wie die der Ukrainer, der größte Anteil in Europa, Selbstaufgabe eines Geberlandes im Hinblick auf EU, auf NATO, auf Entwicklungsländer. Oder Aufschwingen zu allem unter umkehrten Vorzeichen.

    Die NATO hingegen ist demnach auch kein Verteidigungsbündnis mehr, sondern ein Bündnis, das Recht dort herstellen muss, wo Unrecht festgehalten wird - vor UNO oder Gremien, die wechseln. Demnach der „Westen“ die moralische Instanz, die militärische Übermacht, dazu verpflichtet, überall dort mit Gewalt einzugreifen, wo Unrecht und Unmoral vorherrscht, mindestens in „Europa“.

    Und obwohl Moskau örtlich Warschau näher ist als dem Ural, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Europa hierin nicht geographisch beschrieben wird.



    Die Welt eine Scheibe, obwohl zwischen dem Westen und dem Osten nur unterschieden werden kann, wenn man von Berlin, Paris, London aus urteilt.

  • Danke für diesen nüchternen Kommentar. Wenn auch schmerzhaft und traurig hebt es sich wohltuend ab vom ersatzpatriotischen Gebrüll, das überall ertönt.

  • Bernd Pickert will nur teilweise begreifen wie die Lage ist und was die Asymmetrie ausmacht.



    Meine Analogie:



    Dilan Sözeri wurde in Berlin in einem Zug oder an einem Bahnhof von einer Gruppe rassistisch angegriffen und körperlich verletzt. Krankenhaus, Polizei leitete den Spruch der Angreifer als Begründung weiter.



    Also zwei Verhandlungspartner: Frau Sözeri soll Zugeständnisse machen. Denn die angreifende Gruppe sei in einer Position der Stärke. Absurd, pervers.



    Wann bricht die isolationistische Dummheit der NATO auf und geht in die Offensive gegen die russischen hybriden Zerstörungsmethoden über?



    Denis Yücel fordert eine Flugverbotszone.



    Die EU muss jetzt gemeinsam stark sein, einander vertrauen und zeigen, was da alles Positives dabei ist.

  • Der Westen hat verpennt!

    Leider ist es viel zu spät die brutale russische Kriegsmaschinerie zu stoppen.

    Der Westen benötigt noch mehrere Monate um sich koordiniert an der NATO Westgrenze mit funktionierendem Gerät und tauglichem Personal in Abwehrstellung zu bringen. Bis dahin ist die Ukraine unter minutiöser Beobachtung unserer Medien vernichtet.

    Hektische Gipfeltreffen, halbherzige Sanktionen, wirre Diskussionssendungen und Menschenketten sind vielfach erprobte, stumpfe Waffen unserer Demokratien. Leider werden sie Putins Hypersonic-Raketen nicht abfangen.

    Der Westen verfügt derzeit über keine gleichwertige Technologie... genausowenig wie es (noch) keine militärische Abwehr gegen diese Raketen gibt.

    Was bleibt ist eine falsche Hoffnung?

  • An der Spitze von im internationalen Geschäft hoch jonglierenden Organisationen finden sich Leute, hinter denen sich ein Massenschub an ziviler Nachfrage sammelt. Deshalb ist das meist ebenso starrsinnig wie unbeweglich, hantiert sinn- und zweckfrei unter Auslassung sämtlicher konstruktiver Möglichkeiten. Wer die A*schkarte zieht bekommt die nächste Grausamkeit geliefert, wir erwarten weitere menschliche Wirksamkeit in den Tagen. Mir persönlich ist eine philosophische Dekonstruktion lieber, als der selbst verbastelte Zusammenbruch aller menschlichen Errungenschaften innerhalb weniger Wochen. Damit es jeder weiß, ich gebe die Schuld am Krieg beiden Seiten.

    • @Picard:

      "Damit es jeder weiß, ich gebe die Schuld am Krieg beiden Seiten."

      Na klar. Und wenn einer seien Ehefrau umbringt, geben Sie die Schule auch beiden Seiten. Schließlich war die Frau ja nicht ganz unschuldig an den Streitereien, die die beiden schon seit Jahren hatten ...

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @Picard:

      Ja ja, Nebelkerze.

  • "Die Eskalation geht also weiter – und dazu gibt es furchtbarerweise kaum eine Alternative"



    Was bitteschön wäre an einem Energieembargo gegen Putin "furchtbar"? Der schnellste Weg, den russischen Angriff auf die Ukraine zu unterbinden, wäre ein Importstopp für russisches Öl und Gas. Denn die Einnahmen aus diesen Geschäften halten bisher das Herrschaftssystem des Kremls aufrecht. www.spiegel.de/wir...-97bc-86080c2b7028

    • @Michael Myers:

      Ein solches Embargo wäre gleich sich selbst in den Kopf zu schießen, um damit Russlands Fuss zu erwischen.

  • Es gibt hier nicht wirklich viele Optionen. Denn eines muss klar sein: Sollte Putin in irgendeiner Weise Erfolg haben, werden wir uns über kurz oder lang die Frage stellen müssen, wie wir bei einem Angriff auf einen der baltischen Staaten reagieren wollen.

    • @Schalamow:

      Und einem Angriff auf Moldawien, sowie Polen.