Kriegsverbrechen in der Ukraine: Hoffnung auf Gerechtigkeit

Das Bündnis „Ukraine 5 AM Coalition“ sammelt Beweise für russische Kriegsverbrechen. Über eine Plattform können Bür­ge­r:in­nen Aussagen machen.

Zerstörung von rosa Kinderbetten und ein rosa Vorhang

Ein zerstörter Kindergarten in Charkiw: Fotos wie diese sind wichtig für die Dokumentation Foto: Oleksandr Lapshyn/reuters

KIEW taz | „Die Frau hatte begriffen, dass ihr Kind gestorben war. Sie wollte nicht weiterleben und bat darum, sie nicht zu retten. Der Schmerz war größer als der Willen, weiterzuleben. Sie war eine derjenigen Schwangeren, die in Mariupol Opfer eines Angriffs auf die Geburtsklinik geworden waren“, erzählt die ukrainische Menschenrechtlerin Olga Reschetilowa von der Nichtregierungsorganisation „Medieninitiative für Menschenrechte“.

Reschetilowa stellt jeden Tag Material über Kriegsverbrechen in der Ukraine zusammen. „Wir nehmen Zeugenaussagen zu Protokoll und sichten Tausende Videos und Fotos. Das Wichtigste ist, immer weiterzumachen und sich nicht dem Schmerz hinzugeben“, sagt sie. Bereits kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar schlossen sich mehrere Menschenrechtsorganisationen zu dem Bündnis „Ukraine 5 AM Coalition“ zusammen.

Dem Bündnis gehören 17 ukrainische Menschenrechtsorganisationen an. Sie sammeln Material über den Krieg, das sie internationalen Gerichten übergeben wollen. Ihr Zusammenschluss dient dazu, die Opfer der russischen Militäraggression zu verteidigen sowie die russische Führung und Personen, die unmittelbar an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt sind, zur Verantwortung zu ziehen.

Die meisten dokumentierten Fälle betreffen Morde an sowie Verletzungen von Zi­vi­list*in­nen, die Zerstörung ziviler und kultureller Einrichtungen, Plünderungen, den Einsatz von Zi­vi­lis­t*in­nen als menschliche Schutzschilde sowie die Einberufung von Bewohnern der Krim und der „Volksrepubliken Donezk und Luhansk“ in die russische Armee.

Verteidigung von Opfern vor Gericht

Auch geht es um die Behinderung friedlicher Kundgebungen sowie die Entführung von Ak­ti­vis­t*in­nen und Journalist*innen. Außerdem informiert die Koalition über die schwersten Kriegsverbrechen und übernimmt die Verteidigung der Opfer vor nationalen und internationalen Gerichten. Dazu rufen die Men­schen­recht­le­r*in­nen alle, die Opfer oder Zeu­g*in­nen von Kriegsverbrechen geworden sind, dazu auf, sich zu melden.

Gleichzeitig informieren sie darüber, was wie dokumentiert werden muss. Im Falle von getöteten oder verletzten Zi­vi­lis­t*in­nen liegt das Augenmerk auf der Kleidung, zum Beispiel bei Priestern oder Ärzt*innen. Wenn eine Person Opfer von Folter, Misshandlung oder einer Geiselnahme geworden ist, müssen jeweils die Spuren am Körper dokumentiert werden.

Das Gleiche gilt, wenn Zerstörungen ziviler Objekte, wie etwa Schulen, Kindergärten, Kliniken, Wohnhäuser, Dämme oder Fabriken, festgehalten werden. Foto- und Videobeweise von Plünderungen, der Verweigerung medizinischer Hilfe und von Angriffen auf humanitäre Missionen sind für künftige Prozesse ebenfalls von großer Bedeutung. Angesichts des Ausmaßes der Verstöße sei ein gemeinsames Vorgehen von Zivilgesellschaft und Staat, der ebenfalls Beweise erhebe und die Verbrechen untersuche, sehr wichtig, sagt Reschetilowa.

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat eine gemeinsame Plattform eingerichtet, um die Tätigkeiten aller Strafverfolgungsbehörden und staatlicher Organe zu koordinieren. „Um die gesammelten Informationen anschließend vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sowie bei potenziellen internationalen Ad-hoc-Tribunalen verwenden zu können, müssen sie verantwortungsvoll und kompetent gesammelt und nach international anerkannten Standards archiviert werden“, heißt es aus der zuständigen Abteilung.

Die Beweise werden auch dem Internationalen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt. An die Plattform kann sich jede/r wenden, um Aussagen zu machen. Sollten diese die Kriterien erfüllen, werden sie der Dokumentation hinzugefügt.

Aus dem Russischen von Barbara Oertel. Die Autorin war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

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