Survival-Show „7 vs. Wild“ auf Youtube: Wild gewordene Männer
„7 vs. Wild“ handelt von sieben Männern, die in Schwedens Wildnis ums Überleben kämpfen. Warum boomt das Reality-Format ausgerechnet jetzt?
Es fließen Tränen, es wird gefroren und philosophiert: Wenn die Männer im Youtube-Reality-Format „7 vs. Wild“ sich dem Überleben in der Wildnis stellen, entsteht eine abenteuerreiche Achterbahn der Gefühle. Der geben sich auch die Zuschauer:innen des Formats hin. Sie fühlen sich hingezogen von den puren Emotionen und dem Herausfordern des Überlebenstriebs, der dargestellt wird. Über fünf Millionen Aufrufe haben die meist geklickten Folgen auf Youtube.
Das Konzept ist simpel: „Ausgesetzt in der Wildnis von Schweden kämpfen sieben Kandidaten sieben Tage ums Überleben“, verrät die rauchige Männerstimme im Trailer. Dabei dürfen die ausschließlich männlichen Teilnehmer nur wie viele Gegenstände mitnehmen? Richtig, sieben. Die Idee an sich ist bekannt und ein Kernpfeiler für klassisches Reality-TV; aber erst mit „7 vs. Wild“ erreicht ein waschechtes deutsches Survival-Format den Mainstream. Warum boomt das ausgerechnet jetzt? Zeigt der Erfolg etwa, dass die Coronakrise das Tier in uns wiedererweckt hat?
„7 vs. Wild“: 16 Episoden, auf Youtube
Wegen der Pandemie zitterten in den letzten Monaten viele um den Erhalt der kritischen Infrastruktur. Das kann den Gedanken triggern: Was ist, wenn alles zusammenbricht? Was gestern noch dystopisch schien, ist heute Realität. Vater Staat kann scheitern. Für diesen Ernstfall machen die Männer bei „7 vs. Wild“ eine Generalprobe. Sie wissen genau Bescheid: Welche Utensilien nutzen, wo ein Lager aufschlagen, welche Pilze essen. Und vielleicht hoffen einige Zuschauer:innen darauf, sich etwas abgucken zu können.
Dass der Erfolg des Formats mit der Coronakrise zusammenhängen könnte, glaubt auch Frank Schwab. Er ist Medienpsychologe an der Uni Würzburg und beschäftigt sich vor allem aus einer evolutionspsychologischen Perspektive mit Medien. „Grundsätzlich ist die Thematik rund ums Survival sicherlich sehr aktuell“, sagt er.
Eine archaische Abenteuererzählung
Ausschlaggebend für den Erfolg sei vor allem der soziale Vergleich, den die Zuschauer:innen aus dem Youtube-Format ziehen, so Schwab. Schaut man sich an, wie bitter die Männer frieren, scheint das Ausharren im Lockdown auf dem Sofa vielleicht nicht ganz so schlimm. Das Video wird zum Guckloch in eine ungemütliche Welt.
Schwab vermutet außerdem, dass der Konsum den Zuschauer:innen als mood management dient. Das bedeutet, dass sie ihre Medienkonsumentscheidungen danach richten, welche Alltagsstimmung sie bei sich wahrnehmen. Da sich viele von ihnen seit Beginn der Pandemie bedroht fühlen, ziehen sie ein Medienangebot vor, das diesen diffusen Ängsten ein konkretes Bild gibt. Das Konsumieren von Survival-Formaten dient dann als Verarbeitungsmechanismus.
„Außerdem spielt da der Aspekt der semantischen Nähe mit rein“, erklärt Schwab. Das heißt, Menschen vermeiden in ihrem Medienkonsum Dinge, die zu nah an ihren echten Problemen sind. „Ich will keine Filme sehen, in denen Viren eine Gefahr darstellen, sondern lieber Wölfe“, so Schwab. Damit spielt er auf die in der schwedischen Wildnis herumstreunenden Wölfe an, die bei „7 vs. Wild“ angekündigt werden. Und erklärt zugleich: Wölfe sind weiter weg und gleichzeitig konkreter – anders als das Virus, das ganz nah dran ist, aber sehr schwer zu greifen.
In dieser Generalprobe zur Apokalypse wird ein ganz bestimmtes Bild reproduziert: Männer überleben allein im Wald. Wer nach Hilfe ruft, hat verloren. Den Wettkampf gilt es komplett isoliert zu bestreiten, nur die Kamera darf dabei sein. „Es fühlt sich ein wenig an wie ein Initiationsritus, über den man zum richtigen Mann wird“, sagt der Medienpsychologe. Das habe etwas von einer archaischen Abenteuererzählung.
Einen Gewinn kann dieses spezielle Format sicherlich bringen: das Ende unseres mystifizierten Bildes der Natur. „Das Schöne und das Grausame der Natur wird deutlich“, beobachtet Schwab. Das Format biete die Möglichkeit, eigene Momente zu entwickeln, wie das Filmen von spektakulären Sonnenuntergängen und dichtem Nebel. Gleichzeitig sehe man das Leid, das beispielsweise eine fehlerhafte Ausrüstung zur Folge haben kann.
Sowieso: Zu wissen, welche sieben Sachen man am besten auf eine einsame Insel mitnehmen sollte, kann so verkehrt nicht sein. Auch wenn dafür hin und wieder das Tier in uns geweckt werden muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar