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Monument mit „Katharinas Ruhm“, dem ersten Kriegsschiff im Auftrag der Zarin. Aufnahme von 1972 Foto: Vladimir Granovskiy/Sputnik/afp

Von Russen eroberte Stadt ChersonErste Besetzung seit 1944

Cherson nahe der Halbinsel Krim war schon zu Zeiten von Katharina der Großen Ziel politischer Großmachtfantasien. Präsident Putin eifert ihr nun nach.

A m Samstag wurde in Cherson geschossen. Russische Soldaten feuern aus ihren Gewehren Salven ab, offenbar in die Luft. Die Menschen auf dem Freiheitsplatz vertrieben sie damit nicht. Es sind, so viel lässt sich dem kurzen Video entnehmen, mehrere hundert, vielleicht über tausend Männer, Frauen, Alte, Junge, auch Halbwüchsige. Die einen schwenken blau-gelbe Fahnen, andere haben sich die ukrainische Flagge über ihre Schultern gelegt, sie rufen „Ruhm der Ukraine!“, sie brüllen, pfeifen. Als die Schüsse gellen, presst sich jemand auf den Asphalt. Manche laufen weg. Doch wirklich in die Flucht schlagen lässt sich die Menge nicht.

Die russischen Soldaten müssen irgendwo beim Rathaus stehen, einem typischen Koloss im Stalin-Empirestil. Dort haben die Eindringlinge am vergangenen Mittwoch erstmals Bürgermeister Igor Kolychajew getroffen. „Ich habe ihnen keine Versprechungen gemacht“, erklärte der 50-Jährige später. „Ich habe sie nur gebeten, nicht auf Menschen zu schießen.“ Am Samstag haben sich die russischen Soldaten offenbar daran gehalten.

Zum ersten Mal seit 1944 sind wieder Besatzer in Cherson. Sie rollen mit ihren gepanzerten Wagen über den Uschakow-Prospekt, der sich schnurgerade durch die Stadt zieht, sie kontrollieren die Stadtverwaltung, sie feuern aus ihren Gewehren und sie werden vom Kreml aus kommandiert – als wäre Cherson eine gefährliche, unheimliche Stadt. Dabei ist Cherson ein Kind des Imperiums.

Die Gründungsgeschichte von Cherson dürfte Präsident Putin besonders gefallen und inspiriert haben

Cherson ist die Stadt von Katharina der Großen und Grigori Potjomkin. Die Kaiserin und der Fürst von Taurien haben in Cherson die Schwarzmeerflotte gegründet. Unten am Fluss Dnipro (auf Russisch: Dnepr) erinnert ein prächtiges Denkmal an den Bau des ersten Schiffes, „Ruhm Katharinas“ war sein Name, 66 Kanonen waren an Bord. Heute ist der Hauptstützpunkt dieser Flotte Sewastopol, ihre Geschütze sind auf die ukrainische Küste gerichtet, auch auf Cherson.

Bukolische Freuden

Es gibt Gegenden, die scheinen von der Welt vergessen. Jahrzehnte dämmerte Cherson zwischen Steppe und Meer. Die südukrainische Stadt mit ihren 290.000 Einwohnern hat einen See- und einen Flusshafen und ist von Weinbergen, Weizen- und Sonnenblumenfeldern umgeben. Der Weizen lagert in mächtigen Silos, wird im Hafen umgeschlagen oder gleich auf dem Dnipro von Flussschiffen mit dickem Rüssel auf Hochseefrachter gepumpt.

Nur wenn ein Kreuzfahrtschiff, auf dem Weg von Kiew zur Krim, im Hafen anlegte, kam Geschäftigkeit auf. Ausländische Touristen, viele aus Deutschland, schlenderten für Stunden über den Uschakow-Prospekt, besuchten den Bauernmarkt und kauften bei alten Frauen Tischdeckchen und Puppen aus Stoff. Oder sie bestiegen kleine Boote und ließen sich auf eine der Dnipro-Inseln schippern, wo sie mit Fisch und Selbstgebranntem bewirtet wurden. Die Ukraine – ein einziger bukolischer Traum.

Jedem Besucher sind auch die Studenten der Marineakademie aufgefallen. Ukrainische Seeleute, auf der ganzen Welt unterwegs, erlernen ihr Handwerk in Cherson. Mit weißem Hemd, schwarzen Hosen und Messingschnallen prägen die jungen Burschen die Stadt. In Cherson, fünfzig Kilometer vom offenen Meer entfernt, wird die Ukraine eine Seefahrernation.

Die Zäsur kam 2014

Die ganze Beschaulichkeit endete 2014 abrupt. Mit der Annexion der Krim lag Cherson faktisch vor der russischen Grenze. Hundert Kilometer Steppe trennen die Stadt vom russischen Einfluss. Die Kreuzfahrtschiffe, mit der Krim ihres Hauptziels beraubt, blieben aus. Es wurde stiller – und gleichzeitig unruhiger. Im Februar 2015 explodierte ein Munitionslager der Armee in der Nähe der Stadt. Es gab vier Tote und viele Verletzte. Mutmaßungen über Saboteure von der Krim machten die Runde.

Irgendwann, so glaubt man heute, habe Wladimir Putin begonnen, sich in Historienbücher zu vertiefen. Der Kremlherrscher stieg tief hinab in die russische Geschichte, studierte die Schlachten der großen Feldherren, die Kolonisierung von Neurussland, der fruchtbaren Steppenregion am Schwarzen Meer, die Einverleibung der Krim. Das „Sammeln russischer Erde“, die stete Ausdehnung des Imperiums auf Kosten der Nachbarn, war die politische Doktrin, die mit Iwan dem Schrecklichen begann und unter Katharina ihren Höhepunkt fand.

Die Gründung von Cherson wird den Präsidenten besonders inspiriert haben. Was heute nur eine beschauliche Provinzstadt ist, war Teil eines Projekts, für das kein Opfer zu groß schien, auch kein Menschenopfer. Katharina II. ließ an der Mündung des Dnipro eine Stadt und eine Festung gründen, um in ihrem Schutz eine Kriegsflotte zu bauen. Sie sollte unter dem Doppeladler das Schwarze Meer durchpflügen, den Bosporus und Konstantinopel erobern und das oströmische Kaisertum wiedererrichten. Ein neues Byzanz würde geboren, regiert von einem russischen Kaiser.

Katharinas „griechisches Projekt“

Was heute wie Größenwahn wirkt, war vor 250 Jahren Großmachtpolitik. Das „griechische Projekt“ verfolgte Katharina II. über Jahrzehnte. 1762 hatte die Deutsche den russischen Thron bestiegen. Von Anfang an zu ihrer Seite – Grigori Potjomkin, zuerst Liebhaber, dann Freund und Chefplaner der Zarin. Alles Griechische, alles Antike war in St. Petersburg en vogue. Und so erhielt die Stadtgründung am Dnipro den Namen Cherson, nach der antiken Siedlung Chersonesos an der Südspitze der Krim. Die Halbinsel, Herrschaftsgebiet des Krim-Khanats, war schließlich Katharinas nächstes Ziel. Das Hinterland am Dnipro, abgetreten vom Osmanischen Reich, war nicht genug.

Cherson ist planmäßig angelegt, die Straßen sind schnurgerade. Die Magistrale, der Uschakow-Prospekt, ist drei Kilometer lang und beginnt unten am Dnipro, wo das Bronzeschiff steht. Von der einstigen Festung sind nur noch Reste vorhanden, zwei Tore, ein Arsenal, Wälle. Was einst hundert Hektar einnahm, ist parzelliert und bebaut, Sportplätze, Parks, ein Kulturpalast. Doch eigentlich ist alles ein Friedhof. Cherson ist auf Sümpfen errichtet. Nicht nur St. Petersburg wurde auf Knochen errichtet, auch Cherson. 20.000 Menschen starben beim Aufbau der Stadt, die meisten an Malaria, Typhus, Pest.

Als 1783 das erste Kriegsschiff vom Stapel läuft, ist Katharinas Interesse an Cherson bereits erlahmt. Im selben Jahr fällt ihr die Krim kampflos in den Schoß. Das Krim-Khanat wird aufgelöst und die Halbinsel dem Russischen Reich einverleibt, „von nun an und für alle Zeit“ wie es heißt, ihr neuer Name: Taurien, wie einst in der Antike.

Wladimir Putin macht es heute wie die Zarin, nur umgekehrt. Erst nimmt er sich die Krim, jetzt greift er nach der Ukraine. Cherson, eine Gebietshauptstadt, ist die erste große Beute. Und mit ihr fällt Potjomkins Grab in russische Hand. Es gibt ein Denkmal, das an den Fürsten von Taurien erinnert, nicht weit vom Freiheitsplatz entfernt, wo am Samstag die Schüsse fielen. Wie ein antiker Gott steht Potjomkin da, schlank, in Rüstung und makellos. In Wahrheit war er einäugig.

Auf Knochen aufgebaut

Seinen größten Triumph feierte Potjomkin 1787. Kaiserin Katharina fuhr mit ihrem Hofstaat den Dnipro hinab, um ihre neuen Provinzen in Neurussland und auf der Krim zu besichtigen. Am Flussufer versammelte sich das Volk, Feuer loderten, sie erleuchteten Paläste, Türme und Häuser. Die ausländischen Gesandtschaften, die die Kaiserin begleiteten, sollten an Europas Höfen von der märchenhaften Reise berichten. Bald war allerdings von Kulissen aus Pappmaché und Sperrholz die Rede, kurz – von Potjomkinschen Dörfern.

Auch Joseph II. war skeptisch. Der Kaiser aus Wien war ebenfalls zu Gast in Cherson. Katharina pries die „blühende Stadt“, Joseph aber hatte von den vielen Toten erfahren und flüsterte dem französischen Gesandten ins Ohr: „Alles erscheint leicht, wenn man mit Geld und Menschen verschwenderisch umgeht. Wir in Deutschland und Frankreich können uns das nicht erlauben, was man hier ohne Schaden zu tun wagt. Der Herrscher befiehlt und die Sklavenhorden gehorchen.“

Merkwürdig, dass ein prunksüchtiger Mensch wie Potjomkin so eine bescheidene Grablege hat. Seine Morgenmäntel seien mit Diamanten besetzt gewesen, heißt es. Für den Aufbau von Cherson habe er in St. Petersburg einmal mehr als eine Million Rubel in bar eingesteckt. Potjomkin wollte in Cherson begraben werden. Gestorben ist er 1791 nicht in einer Schlacht, sondern an Malaria. Der Fürst von Taurien liegt am Rande der Festung in der Katharinenkirche unter einer Marmorplatte begraben. Frauen huschen am Eisenzaun vorbei, der das Grab wie einen Käfig begrenzt. Grigori Potjomkin hat Cherson als „sein Kind“ bezeichnet. Folgsam ist es allerdings nicht, bis heute.

Hilfe aus Russland abgelehnt

Jeden Tag, berichtet ein Augenzeuge aus Cherson, protestieren sie dort gegen die Besatzer. Und die „humanitäre Hilfe“ aus dem russischen Verteidigungsministerium wollen sie nicht. Russische Bilder zeigen einen Lkw-Konvoi, an dessen Seitenwänden, elegant geschwungen, das große Z der Besatzer prangt. Der Stadtrat von Cherson lehnte die Hilfe ab. Die russische Führung ist brüskiert. „Die Haltung der Chersoner Stadtspitze ist sehr ähnlich der des Kiewer Regimes!“, zürnt Außenminister Lawrow.

Noch vor dem russischen Einmarsch: Kadetten der Marineakademie Mitte Februar in Cherson Foto: NYTNS/laif

Im Vergleich zu Lawrow, aber auch zu seinen eigenen Tiraden in den Tagen zuvor, ist Wladimir Putin am Vorabend des Frauentags von überaus großer Güte erfüllt. In einer Fernsehansprache aus dem Kreml gratuliert er allen russischen Frauen, lobt besonders die, die in den Streitkräften dienen, verkündet finanzielle Wohltaten, kommt kurz auf die Kampfhandlungen der „Spezialoperation“ zu sprechen und würdigt am Schluss eine ganz besondere „großartige Frau“. Putins Blick wird fest, dann beginnt er sie zu zitieren: „Ich werde meine Heimat verteidigen, mit dem Gesetz und mit dem Stift und mit Schwert! Solange ich lebe!“

Hinter dem Präsidenten ragt ihr Standbild hervor. „Matuschka“ hat der Präsident sie eben genannt, Mütterchen. Das klingt friedlich. In Wahrheit ist Sophie Auguste Friederike von Anhalt-­Zerbst, so hieß sie bei ihrer Geburt, Putins Meisterin: Katharina die Zweite – Mutter von Cherson und größte Sammlerin russischer Erde.

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21 Kommentare

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  • Danke für den wichtigen Hinweis auf die politische Doktrin von der Sammlung der russischen Erde. Sie erklärt Putins Denken und Strategie. Unter dem Blickwinkel ist es denkbar, dass sein Ziel immer schon die Beherrschung der Ukraine war. Ein kleiner Fehler: Der Slogan stammt schon von Iwan III, der rund hundert Jahre vor Iwan IV. dem Schrecklichen lebte.

  • Auch nach Katharina war Kherson noch ein beliebtes Experimentierfeld. In den 60er/70er Jahren planten die Sowjets ein riesiges Industriegebiet, mit Häfen, Flughäfen und Platz für 3 Millionen Genossen. Es blieb eine Utopie.



    PS: Katharina die Große ist sehr beliebt in Russland.

  • Ok, sieht man also davon ab, was Putin aus dieser grossen Geschichte der Region, der Stadt macht, (furchtbar, schrecklich, schlimme Phantasie usw.- zweifellos)



    scheint in diesem Text zumindest die Bereitschaft zu einem Verständnis auf, in dem man sich darauf einigen könnte: So sehr national-ukrainisch, wie Eigentum russischer Grossmachts-Imperium-Erinnerung- ist die Krume der ortsansässigen Bevölkerung, mit ihren Alltagsproblemen und -Bedürfnissen also nicht. Ist dann doch bisschen differenzierter. Heterogener. Und also vielleicht wirklich weder mit grossmachtsimperiums-nationalistischer Mobilisierung Putinrusslands, noch mit Asow-Regiment und ukrainisch-nationalistischer ultra-Agenda als Mitglied der EU und NATO. zu bewältigen. Mit Krim natürlich. Weil Völkerrecht.

    Ist ja das Problem scheinbar. Weder die Eigentums-Erzählung Putins, noch die der nationalistischen Ukraine, die angebliche oder tatsächliche "Russen" zu Ausländern in ihrem Geburtsland macht, führt zu einem demokratischen, friedlichen Land.

    Man weiss ja zu Genüge - als geschichtsbewusster Mensch - die nationalistische, gar imperial-nationalistische Erzählung ist meist eine, mit der die Herren der Welt das unbewältigte Problem nicht bewältigen, dass in mancher Vorstadtsiedlung immer mehr ihre Wohnung und Heizungsrechnung nicht mehr bezahlen können.



    In welcher Sprache einem die Rechnungen auch immer ins Haus flattern. In welchem Land die Wohnsiedlung auch immer steht.

  • Höchst makaber, die Erwähnung eines adligen deutschen Mädchens, das als 15-Jährige nach Russland kam und dann zu einer Zarin aufstieg, in Zeiten, in denen die Frauen in der Politik eigentlich - mit wenigen Ausnahmen nichts zu sagen hatten - im Zusammenhang mit dem Masenmörder Putin, an dessen Händen Tonnen roten Blutes kleben. Nicht nur makaber, geradezu verabscheuungswürdig. Putin hat, wie es Baerbock ähnlich auf den Punkt brachte, jegliche Menschlichkeit auf dem Thron des Massenmörders geopfert. Er lügt wie gedruckt nur für sein armseliges EGO. Möge er ähnlich wie Hussein ums Leben kommen. Es ist der erste Mensch, dem ich wegen des Ersparen vielen Leids Zigtausender den Tod wünsche, so bald als irgend möglich.

  • Hübsche Geschichte, nur schien dem Author dieser Mär nicht bekannt zu sein, dass das deutsche Reich erst 1871 entstand. Daher ist es kaum vorstellbar, dass Kaiser Joseph II. 1787 dem Franzosen ins Ohr flüsterte, dass "wir in Deutschland uns das nicht erlauben können." Anscheinend hat es sich in gewissen Kreisen noch nicht herumgesprochen, dass Österreich, genauso wie die Ukraine, ein souveräner Staat ist.

    • @Franco Tiradorppp:

      Meine Güte - Sie suchen wohl die Jahresbestleistung im si tacuisses-Wettbewerb?



      Joseph II war Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, bei dem der Zusatz "deutscher Nation" schon zu seiner Zeit seit 300 Jahren offiziell verwendet wurde - und selbstverständlich haben sich die vielen weltlichen und geistlichen Fürsten dieses Gebildes als "deutsche" Fürsten verstanden, wie auch der größte Teil der anderen Einwohner (Böhmen sowie diverse Randgebiete waren da etwas anders)... "Deutschland" war seit spätestens dem 15. Jahrhundert mehr als ein topographischer Begriff und umfasste auch Gegenden, die heute diverse Nachbarstaaten der BRD sind (und auch mit dem 1871er-Reich nichts mehr zu tun hatten).

      • @Wurstprofessor:

        Natürlich war Joseph II Kaiser des Heilgen Römischen Reichs, sowie beinahe alle anderen Habsburger Monarchen auch. Dennoch ist kaum anzunehmen, dass ein Habsburger Kaiser, der dem Hause Österreichs zutiefst ergeben war, "Wir in Deutschland..." von sich geben würde. Deutschland mag zwar schon ab dem 15. Jahrhundert ein Begriff gewesen sein, dennoch waren es die Hohenzollern die 1701 das Königreich Preussen gründeten und erst nachdem sie die Habsburger 1866 in der Schlacht von Königgrätz besiegten, 1871 das Deutsche Reich gründeten. Es geht mir hier nicht um Haarspalterei, sondern darum dass Österreich genauso wenig zu Deutschland gehört, wie die Ukraine zu Russland. Als Wurstprofessor dürfte ihnen das alles ziemlich egal sein, aber wir sind insofern etwas feinfühlig, da ihr Deutschen gerne die gesamte Geschichte des deutschen Sprachraums als eure beansprucht, mit Ausnahme von Adolf Hitler, der war natürlich Österreicher. Dabei wird immer wieder geflissentlich übersehen, dass er in München Karriere machte, nicht bei uns in Wien. Also wenn schon, dann würde ich Ihnen den ersten Preis im "Si tacuisses" Wettbewerb verleihen, obwohl selbst in dem Fall wohl kaum "philosophus mansisses" zutreffen würde.

        • @Franco Tiradorppp:

          Ich bin erstens Wiener, zweitens studierter Historiker und drittens in der Lage zu Erkennen, wann es sich einfach nicht mehr lohnt. Die Worte Keeiskys seien Ihnen ans Herz gelegt: Lernen's a bisserl Geschichte.

          Ich war ja früher Mal der Meinung, ein Mensch mit AHS-Matura könne sich in Deutschland (für Sie: gemeint ist die seit 1949 formal bestehende Bundesrepublik Deutschland inklusive der durch den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes 1990 gewonnenen Gebiete) in fast jedem Grundstudium erst einmal ein Semester oder zwei ausruhen, aber... nun, vielleicht sind Sie ja so freundlich und geben an, zum Beispiel eine HTL oder HAK durchlaufen zu haben, das würde mich wirklich ungemein beruhigen.

    • @Franco Tiradorppp:

      Warum ist das nicht vorstellbar? Joseph Zwo war ja nicht nur Erzherzog von Österreich, sondern auch der von den deutschen Kurfürsten gewählte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, mithin Ober-Staatsoberhaupt aller Österreicher, Deutschen und weiterer Völker. Ganz abgesehen davon gehörten zu den habsburgischen Erblanden dieser Zeit auch Teile von Baden-Württemberg und Bayern. Dazu noch ein Zitat aus der Wikipedia: "Obwohl die Bevölkerung der ursprünglichen Erblande großteils aus Deutschen bestand und die Habsburger diese Gebiete für Jahrhunderte regierten, entstand neben der deutschen Identität ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts innerhalb eines gemeinsamen Deutschlands sukzessive auch ein verstärktes, dynastisch orientiertes Österreichbewusstsein. Die Landtage hatten ein großes Maß an Autonomie gegenüber den habsburgischen Herrschern, die sich zuallererst als deutsche Fürsten sahen."

    • @Franco Tiradorppp:

      Woher, wenn nicht aus Deutschland hatte Potjomkin 1787 sein Sperrholz für den Kulissenbau?

      • @Lex:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

        “ Sperrholz... Haha. "Nachdem das Verfahren in Vergessenheit geraten war, wurde es in der Mitte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt" (Wikipedia)







        Das mag der Holzwurm nicht.



        und ziemlich kurz ist mein Gedicht.



        (Ich erinner mich noch lose



        an eine Schnupftabakdose.)







        www.zeno.org/Liter...+Schnupftabaksdose



        &



        Mich ganz lose: Von Loden-Frey - die Hüse! Hüse? - Hose.

      • @Lex:

        THAT‘s a LIE => “… Die Bezeichnung geht zurück auf die unwahre Geschichte, Feldmarschall Grigori Alexandrowitsch Potjomkin habe Kulissen von Dörfern aufgestellt und die vermeintlichen Bewohner von einer zur nächsten transportieren lassen, um Katharina die Große auf einer Reise durch Neurussland über die Entwicklung bzw. den Wohlstand der neubesiedelten Gegend zu täuschen.“



        de.wikipedia.org/w...Potemkinsches_Dorf



        “ Zur Entstehung dieser Anekdote vermuten manche Historiker, sie sei von Gegnern Potjomkins am Hof lanciert worden, die ihm seinen Einfluss auf Katharina geneidet hätten. Als Urheber wird der kursächsische Diplomat Georg Adolf Wilhelm von Helbig genannt, der sie zunächst in seinen Depeschen in Umlauf gesetzt und nach Potjomkins Tod in seiner Biografie Potemkin der Taurier (1809) verewigt habe. Helbig hatte selbst nicht an der Inspektionsreise teilgenommen.“



        servíce - Gern&Dannichfür - 🙀🥳 -

    • @Franco Tiradorppp:

      Mit eine wenig mehr Geschichtskenntnis und einem schnellen Blick in Wikipedia wüssten Sie das: " Die Bezeichnung Deutschland wird seit dem 15. Jahrhundert verwendet, ist in einzelnen Schriftstücken aber schon früher bezeugt; in der Frankfurter Übersetzung der Goldenen Bulle (um 1365) heißt es Dutschelant."

      In 1787 hat sich Kaiser Joseph II. als Deutscher fühlen können weil es das Deutsche Reich eben nocht nicht gab. Genauso wenig gab es Österreich als Staat.

      Ist schon immer wieder interessant wie die Leute immer wieder versuchen heutige Konzept zurück in die Geschichte zu projezieren. Dabei kommt selten etwas gutes heraus. Hier wars einfach nur peinlich.

      • @Michael Renper:

        Kaiser Joseph II. konnte vor allem deshalb als Deutscher fühlen, weil er ja der Kaiser dieses Deutschen Reiches war.

        Deutscher als Joseph II. konnte man also gar nicht sein.

        Das Dritte Reich hatte ja zwei Vorgänger, nicht nur das Deutsche Reich ab 1871.

        Ansonsten haben Sie vollkommen recht.

        • @rero:

          Das heilige römische Reich "deutscher Nation". Nun ja, dies als "Deutsches Reich" zu bezeichnen ist auch eher ein Rückprojektion des 19Jhd.

          • @Michael Renper:

            Klar ist das Ganze ab dem 19. Jahrhundert aufgeladen mit Projektionen.

            Dennoch hatten die Habsburger lange die Kaiserwürde. Wird so ein bisschen Identität hängen geblieben sein.

            Macht also die Schnurre, um die es geht, nicht unwahrscheinlich.

        • @rero:

          Liggers & kluge wie Harry Mulisch - sind sogar dieser Auffassung =>



          “ Mich interessiert jedoch die Frage, wie hat es Hitler geschafft, ein Kulturvolk wie die Deutschen, das im Gegensatz zu Österreichern, Franzosen oder Polen keine antisemitische Tradition kannte, zu Antisemiten zu machen? Man muss von einem Anschluss Deutschlands an Österreich sprechen und nicht umgekehrt. Da ich schon immer verrückt war, habe ich mich auf das Thema eingelassen", erzählt Mulisch, während er sich seine zweite schwarze Pfeife mit dem weißen Punkt stopft.“



          www.abendblatt.de/...-ueber-Hitler.html



          Letzte Mutmaßungen über Hitler



          19.05.2001 Von SIGGI WEIDEMANN

          • @Lowandorder:

            Anschluss Deutschlands an einen Oesterreicher muss man sagen, und zwar 1933. "Keine antisemitische Tradition"? Wie bitte? Wilhelm Marr hat um 1880 den Begriff "Antisemitismus" etabliert. Schon mal was von Eugen Duehring gehoert? Hermann Ahlwardt? Oder von dem widerlichsten von allen, Paul de Lagarde ( "Mit Trichinen und Bazillen verhandelt man nicht...")? Judenfeindliche Tendenzen in unterschiedlicher Auspraegung bei Treitschke, Wagner, auch bei Fontane, und sogar bei Marx. Beim Hofprediger Stoecker, und schliesslich bereits beim ausgesprochenen Judenfresser Luther. Und der Antsemitismus war bekanntlich in Deutschland Jahre vor dem Maerz 1938 Staatsdoktrin. Das alles "keine antisemitische Tradition"?! Mulisch muss wirklich verrückt gewesen sein...

            • 9G
              95820 (Profil gelöscht)
              @Volker Scheunert:

              Da hat Mulisch vermutlich viele Deutsche glücklich gemacht. Wollte er das? Habe mich auch gewundert und mich gefragt, ob Luther Deutscher war. de.wikipedia.org/w...ismus_und_Romantik

            • @Volker Scheunert:

              Schade - Harry Mulisch ist tot.



              Mir brauchens ehra Aufzählung nicht zu kredenzen. Aber so einen Kenner der Materie - kommse damit nicht bei.



              Sojet wußte der besser als wir beide •

              • @Lowandorder:

                Nunja. Both. Wir Stegspucker & Bemühten der Ebene sollten vllt mit unserer Einschätzung etwas vorsichtig sein.



                Bei einem Mann mit derartigen familiären Hintergrund - der mit keine dreißig - das Beste - was über den Eichmann-Prozeß geschrieben ist (doch Hannah & du weißt das) - vom Stapel gelassen hat. Und der sich mit Sicherheit in der Materie - auch was die angeführten Aufzählungen angeht - besser auskannte - als wir alle zusammen.



                Gewiß - “over the top“ - wie es mal Katharina Rutschky angemerkt hat - auch gern mal.

                kurz - “Unser einziger Intellektueller“



                Wie es ein holländischer Musiker mal - sich umdrehend schmunzelnd im Orchester anmerkte - als ich einen seiner Sprüche in die Runde gab. But - anyway.

                In der Sache geht es um Tradition Ja oder Nein & da - denke ich - führen Aufzählungen nicht weiter. Denn.



                “Unter Tradition wird in der Regel die Überlieferung der Gesamtheit des Wissens, der Fähigkeiten sowie der Sitten und Gebräuche einer Kultur oder einer Gruppe verstanden. Nach Hans Blumenberg besteht Tradition daher nicht aus Relikten, also dem aus der Geschichte übrig Gebliebenen, sondern aus „Testaten und Legaten.“[2] Tradition ist in dieser Hinsicht das kulturelle Erbe (Legat), das in Arbeits- und Kommunikationsprozessen von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Wissenschaftliches Wissen und handwerkliches Können gehören ebenso dazu, wie Rituale, künstlerische Gestaltungsauffassungen, moralische Regeln und Speiseregeln.…“



                de.wikipedia.org/wiki/Tradition



                (Gestehe - daß ich schon als Schüler - Kategorien wie Volkscharakter etc als ideologisch bezeichnet habe & ablehne)



                Vllt aber läßt sich das von Harry Mulisch insinuierte - beispielhaft an der Person eines Karl Renner illustrieren & festmachen.



                de.wikipedia.org/wiki/Karl_Renner



                Und dort den ausführlichen Abschnitt 'Antisemitismus‘ - in seiner Vielfalt & Zitaten lesen. Zu der Kontroverse am Schluß Marko Feingold vs Anton Pelinka mag sich jeder selbst seinen Reim drauf machen.