Ukrainekrieg vor dem UN-Gerichtshof: „Groteske Lügen“
Die Ukraine erhebt in Den Haag schwere Vorwürfe gegen Moskau. Damit wird auch das internationale Rechtssystem auf die Probe gestellt.
Die vier geforderten Maßnahmen beinhalten ein sofortiges Aussetzen der russischen Militär-Operationen, deren selbsterklärtes Ziel es ist, einen angeblichen Genozid in den ukrainischen Gebieten Luhansk und Donezk zu verhindern. Zudem sollen militärische oder irreguläre bewaffnete Einheiten keine weiteren Schritte gegen die Ukraine unternehmen, um besagten vermeintlichen Genozid zu verhindern oder zu bestrafen. Die Russische Föderation soll sich weiterer eskalierender Schritte enthalten und den Gerichtshof fortan mit regelmäßigen Berichten darüber informieren, wie sie das Urteil implementiert.
Die leeren Plätze, auf denen die russische Delegation hätte Platz nehmen sollen, markierten einen deutlichem Kontrast zu diesen Zielen. Gründe für die Abwesenheit waren dem Gerichtshof nicht mitgeteilt worden. „Dass die Stühle leer sind, spricht Bände“, so der ukrainische Gesandte Anton Korynevych. „Sie sind nicht hier im Gericht, sondern auf dem Schlachtfeld und führen einen Angriffskrieg gegen mein Land.“ Ob am Dienstag Vertreter*innen der Russischen Föderation zu ihrer Anhörung erscheinen, ist offen.
Der Gerichtshof will sein Urteil „so schnell wie möglich“ treffen, einen Termin gibt es dafür aber bislang nicht. Eine Aussprache des International Court of Justice ist theoretisch bindend, aber in der Praxis leisten verurteilte Staaten dem längst nicht immer Folge. Auch im Fall der russischen Föderation wäre dies überraschend. Das Gericht könnte den Fall dem UN-Sicherheitsrat vorlegen, der theoretisch die Implementierung des Urteils beschließen kann. Auch das ist jedoch wegen eines möglichen russischen Vetos sehr unwahrscheinlich.
Im Zentrum der Anhörungen am Montag stand die UN-Konvention zur Prävention und Bestrafung eines Genozids von 1948. Der Kreml rechtfertigt die sogenannte „spezielle Militär-Operation“ in der Ukraine mit der Behauptung, der russischsprachigen Bevölkerung in Luhansk und Donezk drohe seitens der ukrainischen Regierung ein Völkermord. „Eine groteske Lüge“, so der Anwalt David Zionts.
Zionts argumentierte, die russische Strategie der militärischen Aggression, die mit dem Schutz angeblich bedrohter Bevölkerungsgruppen begründet werde, folge dem von der Krim und dem Donbass bekannten Muster. „In den vergangenen acht Jahren gab es keinen einzigen Hinweis auf einen Genozid.“
Seine Kollegin Marney Cheek folgerte: „Das Vorgehen der Russischen Föderation stellt die Genozid-Konvention auf den Kopf. Sie missbraucht die Rechte, die dieses Abkommen bietet.“ Die übrigen Mitglieder der ukrainischen Delegation illustrierten in der Folge, dass die russische Invasion mit „weit verbreiteten“ Kriegsverbrechen zu einer humanitären und ökologischen Katastrophe führe und darum umgehend gestoppt werden müsse.
Besonders eindringlich war der Appell des US-Juristen Harold Hongju Koh, der ebenfalls die Ukraine vertritt: „Dieser Fall ist ein Test, wer sich durchsetzt: Russland oder die internationale Nachkriegs- Ordnung? Dies ist genau das, was unser Rechtssystem verhindern soll. Wozu haben wir diese Institutionen, wenn sie angesichts einer solch klaren Aggression nicht deutlich Stellung beziehen?“
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