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Treffen des „Weimarer Dreiecks“Zurück nach Minsk

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die Kriegsgefahr bringt unvermutete Einigkeit zwischen Berlin, Paris und Warschau. Den Gesprächen muss nun die Rückkehr zum Minsker Abkommen folgen.

Das gemeinsame Ziel des Dreiecks: einen Krieg in Europa zu verhindern Foto: Sergey Averin/SNA/imago

D ass es ausgerechnet die derzeit größte Krise in Europa ist, die Deutschland, Frankreich und Polen erstmals seit Jahren wieder im Trialog zusammenbringt – wer hätte das gedacht. Am Dienstagabend empfing der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Polens Präsident Andrzej Duda und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Berliner Kanzleramt im Rahmen des sogenannten Weimarer Dreiecks. Es war das erste Treffen auf Chefebene seit elf Jahren. Das allein ist schon ein kleiner Erfolg der Krisen­diplomatie der vergangenen Tage.

Das gemeinsame Ziel des Dreiecks: einen Krieg in Europa zu verhindern. Angesichts eines Aufmarsches von 100.000 russischen Soldaten an der russisch-ukrainischen Grenze, dem immer fordernder vorgetragenen Wunsch der Ukraine nach Waffenlieferungen aus Deutschland und schriller werdenden Tönen auf allen Seiten keine Selbstverständlichkeit mehr.

Auch nicht selbstverständlich war die Einigkeit, die Polen, Deutschland und Frankreich an den Tag legten. Eine Einigkeit, die es in den letzten Jahren weder in EU- noch in Migrationsfragen oder der Klimapolitik gab. Dass sich die Antagonisten in einer vielstimmigen, bisweilen kakofonen EU angesichts der Kriegsgefahr zusammenraufen können, ist ein Etappensieg. Doch wie geht es nun weiter?

Das Kunststück wird sein, die verfeindeten Parteien Ukraine und Russland dazu zu bewegen, das Minsker Abkommen endlich umzusetzen. Das hieße: schwere Waffen und ausländische Militäreinheiten vollständig abzuziehen, die umkämpften Gebiete Lugansk und Donezk unter lokale Selbstverwaltung zu stellen und der Ukraine volle Kontrolle über ihre Grenze zu garantieren. Weder Kiew noch Moskau haben mittlerweile Interesse an diesem Abkommen, doch es ist das einzige, das von beiden einst unterzeichnet wurde. Und obwohl mit vielen Schlaglöchern versehen, der derzeit einzige realistische und für beide Seiten gesichtswahrende Weg aus diesem Konflikt. Meistern lässt er sich nur, wenn die EU sich einig ist, ihn gemeinsam mit Russland und der Ukraine zu gehen.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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6 Kommentare

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  • "Das Kunststück wird sein, die verfeindeten Parteien Ukraine und Russland dazu zu bewegen, das Minsker Abkommen endlich umzusetzen. "

    Das wird in der Tat ein Kunststück, den Russland beharrt ja auf der Fiktion, im Donbas nicht Konfliktpartei zu sein. Keine schweren Waffen in Separatistengebieten stehen zu haben, keine Soldaten dort zu haben, keine Kontrolle über ukrainisches Gebiet auszuüben.

    Mir scheint, die Kommentatorin hat eine Wissenslücke.

    • @Barbara Falk:

      "Mir scheint, die Kommentatorin hat eine Wissenslücke."

      Sehe ich nicht so:



      Die Autorin geht doch auf alles ein - ist halt nur kompakt formuliert und dadurch zwar nicht explizit aber aus dem Zusammenhang heraus unzweideutig verständlich:

      "Das hieße: schwere Waffen und ausländische Militäreinheiten vollständig abzuziehen, die umkämpften Gebiete Lugansk und Donezk unter lokale Selbstverwaltung zu stellen und der Ukraine volle Kontrolle über ihre Grenze zu garantieren."

      Die Forderung nach Selbstverwaltung geht an die Ukrainische, die nach Abzug schwerer Waffen und der Unverletzlichkeit der Grenzen an die Russische Adresse.

      Könnte ich so unterschreiben.



      Muss ja auch nicht alles immer mit dem retorischen Vorschlaghammer gedengelt werden.

      • @Waage69:

        "Die Forderung nach Selbstverwaltung geht an die Ukrainische, die nach Abzug schwerer Waffen und der Unverletzlichkeit der Grenzen an die Russische Adresse.



        Könnte ich so unterschreiben."

        Ich auch.



        Wenn wir an dem Punkt wären, wären wir ein Schritt weiter. Was für die Autorin des Kommentars, und Sie (und auch für mich) aufgrund der bekannten Fakten unzweideutig verständlich ist, wird von Russland anders gesehen. Und das ist ein wesentlicher Punkt, warum es bei diesen Verhandlungen nicht weitergeht (nicht weitergehen kann).



        Russland war 2015, beim Ausverhandeln der Minsker Verträge unter massivem militärischem Druck, defacto der Aggressor und Kriegspartei - es schickte Söldner, Soldaten ohne Abzeichen, Kriegsgerät, politische Anführer und traf die Entscheidungen, schoss mit russischen Waffen ein Zivilflugzeug ab etc. Und ist auch jetzt noch Kriegspartei. Ohne russische Finanz- und Militärhilfe etc. würden sich die "Rebellenrepubliken" binnen Wochen in Luft auflösen. Russland hat aber bei den Verhandlungen des Minsker Abkommens die rechtliche Fiktion durchgesetzt, wie wie Frankreich und Deutschland unbeteiligter Vermittler in einem "Bürgerkrieg" zu sein. In der russischen Lesart des Minsker Abkommens existieren keine Forderungen, die an Russland zu stellen wären. Russland will erreichen, dass die Ukraine sich mit Russlands Marionetten an den Verhandlungstisch setzt, um sein Doppelspiel weiter zu treiben.

        • @Barbara Falk:

          Eine Erwiderung ganz ohne ironische Spitzen - vielen Dank!

          Das Russische Doppelspiel diesbezüglich - es ist wohl so.

          Dennoch braucht es auch Angebote und eine Perspektive für die Russische Minderheit, die ja in einigen Regionen der "Rebellenrepubliken" die Bevölkerungsmehrheit stellt.



          Das diese Gebiete im Rahmen des Ukrainischen Staates verbleiben sollten und dann dort wiederum auch die ukrainischen Minderheitenrechte dann ein Thema sind und das Zusammenleben generell, ist auch klar.

          Es wird nur schwierig, diese Probleme zu lösen, wenn alles von geopolitischen Spielchen überlagert wird, wie z.B. die Verlockung, die Ukraine über kurz oder lang nicht nur in die Nato zu holen sondern, verbunden mit einer Vollmitgliedschaft, die Möglichkeit 800km von Moskau atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren.

          Da müsste man sich auch mal ehrlich machen, bzw. einige grundsätzliche Dinge bezüglich der eigenen Absichten klarstellen.

          • @Waage69:

            Die Perspektive (und bereits ganz unspektakuläre gelebte Realität) der russischsprachigen Menschen in der Ukraine ist es, ein ganz normales Leben als zweisprachige ukrainische Staatsbürger zu führen. Ein freieres Leben übrigens, als es aktuell für Russen in Russland möglich ist.

            Die Perspektive der russischsprachigen Menschen in den selbsternannten Volksrepubliken? Dazu müsste man erst mal wissen, über wen man redet. Wie viele Menschen dort noch leben, ist unklar, realistische Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 50% der Bewohner seit 2014 abgewandert sind. Zum Teil nach Russland, zum Teil in die übrige Ukraine. Eine große Fluchtwelle direkt während des Krieges, und seitdem eine fortdauernde, schleichende Abwanderung. Die erfolgt nicht nach ethnischen oder ideologischen Kriterien, sondern pragmatisch. Man geht dorthin, wo man Arbeit findet oder Verwandte hat etc. Viele sind 2014 sicher davon ausgegangen, es sei nur für kurze Zeit. Jetzt sind schon acht Jahre vergangen, d.h. die Menschen richten sich ihr Leben dauerhaft woanders ein und werden nicht zurückkehren. Etwa 600.000 Einwohner sollen mittlerweile russische Pässe erhalten haben. Auch hier ist es unklar, ob die Zahl stimmt. Solange Putin Russland regiert, wird sich an der Situation in den "Volksrepubliken" nichts ändern, und die Abwanderung wird sich fortsetzen. Mit dem Ende des Putinismus werden diese Gebiete automatisch an die Ukraine zurückfallen, und dann haben die russischsprachige Menschen in diesen Gebieten dieselben Perspektiven wie die in der übrigen Ukraine jetzt schon. Und wer dann einen russischen Pass hat, steht vor der Wahl, als Ausländer ohne Wahlrecht in der Ukraine zu leben, sich wieder einen ukrainischen Pass zu besorgen, oder nach Russland auszuwandern. Eigentlich alles nicht so kompliziert. (Klingt nicht so toll, aber das ist IMO das optimistische Szenario, leider).

            • @Barbara Falk:

              ...hab's gelesen - bedankt!