piwik no script img

Ermittlungen gegen WehrsportgruppeWeitreichende Kontakte

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen eine rechtsextreme Wehrsportgruppe. Die Verdächtigen haben Verbindungen ins Verteidigungsministerium.

Er soll Anführer einer rechtsextremen Wehrsportgruppe sein: Jens G. bei einem Militariatreffen Foto: isso.media

Hamburg taz | Die Fahrzeuge auf dem Anwesen nahe Wedemark (Region Hannover) offenbaren die Neigung des Besitzers: Mehrere abgedeckte deutsche Militärfahrzeuge stehen auf dem Grundstück von Jens G. Eine lange Narbe an der linken Wange des Mannes deutet die politische Haltung an: Es ist der typische Schmiss einer schlagenden Burschenschaft, den er im Gesicht trägt.

Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen den stellvertretenden Vorsitzenden der Reservisten-Kreisgruppe Hannover. Der Verdacht: Der Oberstleutnant der Reserve soll der Anführer einer rechtsextremen Wehrsportgruppe sein, die Mi­­­­gran­t:in­­nen im Visier hatte. Hinzu kommt: Einige der Beschuldigten kennen sich nicht nur aus Reservistenverbänden, sondern auch aus rechtsextremen Kreisen.

„Der Kreis der Verdächtigen umfasst mittlerweile zehn Personen“, sagt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, Wiebke Bethke, der taz. Die Auswertungen des umfangreichen, sichergestellten Materials dauere aber noch an, sagt Bethke.

Dass die Ermittlungen nach einer Durchsuchung von acht Objekten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfallen und Berlin dauern könnten, betonten die Ermittelnden schon im September 2021. Knapp 250 Waffen waren damals nach Razzien sichergestellt worden. Hinzu kamen Waffenteile, Munition und Datenträger. Eine Liste mit ­Adressen von Po­li­ti­ke­r:in­nen soll bei einem Beschuldigten aus Wriedel (Landkreis Uelzen) gefunden worden sein. Als „Neigungsgruppe“ bezeichneten sich die Verdächtigen offenbar selbst.

In seiner Freizeit besuchte G. Militärfahrzeug-treffen in Munster und war Hobby-kommandant im örtlichen Panzermuseum

Auf G. kamen die Ermittler über Umwege. Bei einer Routineüberprüfung im Bundesverteidigungsministerium fiel dem Militärischen Abschirmdienst der Handykontakt eines Referenten in der Abteilung „Strategie und Einsatz“ auf. Der Referent war Burschenschaftler in Hannover. Gemeinsam mit Jens G. besuchte er 2004 ein „Ritterkreuztreffen“, wie das ARD-Magazin „Kontraste“ berichtet. Dort versammeln sich hochdekorierte Wehrmachtssoldaten. Zu den Verdächtigen der Wehrsportgruppe zählt der Referent nicht. Ein Blick auf die Facebook-Freunde von G. zeigt: Er kennt weitere Personen im Umfeld des Verteidigungsministeriums.

Auch den von der Staatsanwaltschaft Beschuldigten Wolfgang F. aus dem Wendland kennt G., – allerdings nicht aus dem Netz: F. verbrachte wie G. seine Jugend in einem Jugendbund namens „Deutsch-Wandervogel“ (DWV). Der DWV wurde von einem „ehemaligen Waffen-SSler“ aus Hodenhagen angeführt, sagt Odfried Hepp der taz. Der ehemalige Rechtsterrorist und spätere inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit wuchs mit Rechtsbündischen auf. „In einem der Zeltlager sagte mir ein alter SS-Mann: ‚Ich habe einmal einen Eid geschworen und den breche ich nicht bis an mein Lebensende‘“, sagt Hepp und hebt hervor: „Er meinte den auf Adolf Hitler“.

Unter den völkisch-antisemitischen Jugendgruppen war der DWV vermutlich die weltanschaulich radikalste Gruppe, betont der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch. Dieser sehr kleine Bund bestünde heute formal nicht mehr, doch manche Angehörige halten lebenslang die Treue.

G. nahm dann an bündischen Treffen teil, besuchte Polizeiangaben zufolge die antisemitische „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft“ in Ilfeld (Thüringen). Sein Freund Wolfgang F. schickte die eigenen Kinder zum rechtsextremen „Sturmvogel-Deutscher Jugendbund“. 2016 kamen vier der mutmaßlich Beschuldigten im Dorf Edendorf (Landkreis Uelzen) zusammen.

Völkische Familien feierten dort mit Gleichgesinnten aus ganz Deutschland ihren „Maitanz“. Eine Frau mit Stirnband und langem Rock stieg aus einem Auto mit der „88“ im Kennzeichen. Sie nahm die Hand des Mannes aus Wriedel. Beide teilen bis heute eine Leidenschaft für Waffen. Der Mann, Christian G., ist Reservist. Die Frau war in der Vergangenheit liiert mit dem Anführer der inzwischen verbotenen Gruppierung „Combat 18“. 2002 fuhr sie mit dem späteren Mörder von Walter Lübcke zu einem Nazi-Aufmarsch nach Bielefeld. Den Maitanz in Edendorf feiert das Paar gemeinsam mit Jens G. und Wolfgang F., der zum Tanz aufspielt.

Bis zu den Ermittlungen leitete G. Schießtrainings und Übungswochenenden mit Sanitäts-, Absicherungs- und Orientierungsinhalten. Für den „Heimatschutz“ bildete der Zimmermann auch Zivilisten an Waffen aus. In seiner Freizeit besuchte er Militärfahrzeugtreffen in Munster, war „Hobbykommandant“ im Panzermuseum. Bündische führte er durch das Museum.

Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft wies G. gegenüber „Kontraste“ zurück.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Sehr sportlich sehen die aber nicht aus mit ihren Bierbäuchen

  • Sorry, von den in der Überschrift genannten Verbindungen ins Bundesaußenministerium kann ich im Text nichts entdecken.

      • @Nikolai:

        Steh' ich jetzt auf dem Schlauch? Auch in diesem tagesschau-Artikel ist vom Bundesverteidigungsministerium die Rede. Der Referent wurde zwar inzwischen von dort versetzt, wohin steht da allerdings nicht. Bundesaußenministerium und Bundesverteidigungsministerium sind doch immer noch zwei verschiedene Häuser, oder?

        • @Stadtkind:

          Gute Frage!

  • Ja, ja die Entnazifizierung nach dm Krieg scheint in die Hose gegangen zu sein.

    Die "Verschworenen" haben wohl ihren Kindern damals ebenfalls ein Gelübde abverlangt, das sie nun als Erwachsene ausleben. In "guter"Gesellschaft hinein in den Verwaltungsdienst - Seilschaften waren schon damals direkt nach dem Krieg überlebenswichtig und sind es wohl heute noch.

    So verwundert es nicht das die bewusste Verfolgung von Naziverbrechern schon immer sehr zögerlich durchgeführt wurde - gerade durch Staatsanwälte und Gerichte. Hätte es Hrn. Wiesenthal nicht gegeben, wären noch viel mehr dieser Mörder ihrer Strafe entkommen. Der Nachwuchs lebt unter uns, wird auf die Zukunft gut vorbereitet. Viele davon nehmen wichtige Schlüsselpositionen in unserem Staat ein.



    Selbst die jüdischen Verbände sehen da nicht mehr alle.

    • @Sonnenhaus:

      Sie unterstellen den Nachkommen von Nazis undifferenziert ebenfalls Nazis zu sein. Diese Unterstellung ist nicht haltbar und für viele eine Zumutung.