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Thriller „Nightmare Alley“ im KinoJahrmarkt der Ängste

Guillermo del Toros „Nightmare Alley“ ist eine Hommage an den Film noir. Visuell gelingt das wunderbar, die Geschichte bleibt dahinter etwas zurück.

Dream Team? Psychiaterin Dr. Lilith Ritter (Cate Blanchett) und Stanton Carlisle (Bradley Cooper) Foto: Walt Disney Studio Motion Pictures

Dass es Guillermo del Toro („Shape of Water“) früher oder später auf den Jahrmarkt verschlagen würde, war eigentlich abzusehen. Dass er diesen Ort genauso düster und bedrohlich inszenieren, ihn mit Schatten und zwielichtigen Gestalten bevölkern würde wie Tim Burton den Zirkus in seiner Neuverfilmung von Disneys „Dumbo“, ebenso. Beide Regisseure verwandeln in ihren Filmen altbewährte Stätten der Gelöstheit, der oberflächlichen Freuden und Leichtigkeit in Areale des Grauens, in deren Winkeln stets das Schreckliche lauert.

Und ebenso wie Tim Burton ist auch del Toro für eine ganz eigene visuelle Sprache bekannt. Einer, der es gelingt, Horror in einer der Thematik eigentlich unangemessenen, aber dennoch ästhetisch überaus ansprechenden Hoch­glanz­optik zu präsentieren. Ganz wie beim 2015 erschienenen „Crimson Peak“ um ein diabolisches Paar (Tom Hiddleston und Jessica Chastain), das immer wieder junge Frauen in ihr dämmeriges Herrenhaus lockt, um sie zu ermorden und so an ihr Vermögen zu kommen, bettet del Toro auch in „Nightmare Alley“ menschliche Abgründe in eine bei all ihrer Abscheulichkeit bestechend schöne Welt.

Neuankömmling Stanton „Stan“ Carlisle (Bradley Cooper), dessen Weg die eine oder andere Leiche pflastert, erweist sich als hervorragend geeigneter Türöffner zu ihr: Sein Charme ist die Fassade eines verschlagenen Charakters. Er weiß um seine Wirkung, setzt sie geschickt ein, um seinen Zielen Schritt für Schritt näher zu kommen. Damit macht er sich wie die Schau­stel­le­r*in­nen des Jahrmarkts, die Kar­ten­le­ge­r*in­nen und Wahrsager*innen, eine Illusion zunutze, um sein Publikum für sich zu gewinnen.

Ein Wesenszug, der ihn gleichsam zum hervorragend geeigneten (Anti-) Helden eines Film noir macht. „Nightmare Alley“, angesiedelt zwischen Großer Depression und Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, kann man getrost als eine Hommage an diese Stilrichtung verstehen. An ihren Pessimismus im Hinblick auf die moralische Standhaftigkeit des Menschen, ihr Interesse für abseitige Milieus, ihre meist schablonenhaften, wiederkehrenden Figuren.

Der Film

„Nightmare Alley“. Regie: Guillermo del Toro. Mit Bradley Cooper, Cate Blanchett u. a. USA 2021, 150 Min.

Wie del Toro all diese Attribute konsequent auf seinen düsteren Psychothriller anwendet, bereitet allein schon aus nostalgischen Gründen große Freude. Der zugrundeliegende Stoff wird durch dieses Korsett gleichsam seiner Vielschichtigkeit beraubt.

Faszination und Furcht

Bereits bei Stans Ankunft auf dem Jahrmarkt wird, der Logik seiner filmischen Vorbilder folgend, nicht nur die Saat für seinen Aufstieg, sondern gleichsam auch für seinen unabwendbaren Fall ausgebracht. Die erste Attraktion, der er sich gegenübersieht, soll sich als Menetekel erweisen: Ein seltsames Mischwesen, das „halb Mensch, halb Tier“ sei, wird angekündigt. Ein sogenannter „Geek“ kriecht in die Manege, das lange, strähnige Haar im Gesicht klebend. Als der kurz darauf einem Huhn den Kopf abbeißt, ist aus dem Gesicht des Helden ein Widerstreit aus Faszination und Furcht zu lesen.

Der schmierige Vorsteher (Willem Dafoe) der Schau, der sich Stan zunächst als Handlanger anschließt, erklärt ihm, wie man eine solche Kreatur erschafft: Man suche sich einfach einen Säufer und bezahlt ihn mit Schnaps. Ziert der sich zunächst, droht man ihm mit dem Rauswurf. Die schiere Angst vor dem Nüchternsein wird ihn die Aufgabe künftig mit vollkommener Hingabe erfüllen lassen. Man hat ihn in der Hand.

Die Worte wecken die Neugier des Helden, die Faszination obsiegt. Aus ihnen lässt sich ein Leitfaden zur Manipulation destillieren: Seine Angst ist der Schlüssel zu jedem Menschen. Kennt man sie, erlangt man Macht über ihn. Um diese zunächst sehr banal anmutende, aber doch treffende Wahrheit – ein Blick in die Menschheitsgeschichte genügt, um sich ihrer zu versichern – kreist „Nightmare Alley“ immer wieder.

Die Menschen wünschen sich nichts mehr, als gesehen zu werden

Zusammengenommen mit der anderen Seite der Medaille, der Hoffnung als nicht weniger wirksamem Köder, mit dem sich die Menschen locken und lenken lassen, wird sie zu einem wiederkehrenden Motiv der Erzählung – und zu Stans Hybris. Der nämlich schärft auf dem Jahrmarkt sein Talent zur Täuschung und entdeckt damit eine Möglichkeit, emporzukommen.

Spektakuläre Schauwerte

Mehr als einmal wünscht man sich, das Drehbuch, das del Toro gemeinsam mit Kim Morgan verfasste, würde sich ein wenig mehr auf die durchaus fesselnden Betrachtungen über das menschliche Wesen der gleichnamigen literarischen Vorlage von William Lindsay Gresham als auf ihre Übersetzung in spektakuläre Schauwerte konzentrieren.

Diese Betrachtungen liefern auch heute noch aufschlussreiche Denkanstöße zum Boom, den Astrologie und Tarot, durch zahlreiche Apps und hippe Ratgeberliteratur ins 21. Jahrhundert gehoben, zuletzt erfuhren. Die Menschen wünschen sich nichts mehr, als gesehen zu werden. Und dafür sind sie sogar bereit, sich hinters Licht führen zu lassen, selbst Deutungen anzunehmen, die eigentlich nicht richtig passen wollen, wie es sinngemäß an einer Stelle heißt.

Wenn Stan auf seine Mentor*innen, Hellseherin Zeena Krumbein (Toni Collette) und ihren Ehemann Pete (David Strathairn) trifft, die mit erstaunlicher Treffsicherheit die Fragen ihres Publikums beantworten, in ihre Gedanken vordringen können, interessiert sich „Nightmare Alley“ vor allem für die doppelten Böden, die aufwendige Kulisse ihrer Bühne, das Schauspiel.

Dass es, neben einigen Tricks und Codes, dafür statt übersinnlicher Fähigkeiten aber nur die Gabe braucht, die Menschen zu lesen und ihre Ängste zu erkennen und sie mit ein paar Hoffnung spendenden Worten zu trösten, um sie auf die eigene Seite zu ziehen, geht dabei fast unter.

Vielschichtige Buchvorlage

Dan Laustsens („Shape of Water“) Kamera sucht vor allem Kuriositäten und Absonderliches. Sie fängt lieber einmal mehr in Formalin eingelegte fehlgebildete Föten ein, als potenziell aufschlussreiche Dialoge abzubilden. Visuell beeindruckend ist das zweifellos, vor dem Hintergrund der vielschichtigen Buchvorlage – bereits 1947 von Edmund Goulding als „Der Scharlatan“ adaptiert – aber ein unnötig schaler Budenzauber.

Mit seiner Geliebten Molly (Rooney Mara), einer intellektuell unterlegenen Schaustellerkollegin und damit ein besonders leichtes Opfer seiner Manipulationen, bricht Stan schließlich auf, um eine eigene Show auf die Beine zu stellen. Mit einem Zeitsprung von zwei Jahren taucht „Nightmare Alley“ in den zweiten Akt und damit in ein völlig neues Setting ein. Nun auf exklusiven Bühnen vor der New Yorker Oberschicht auftretend, nächtigt das Paar in teuren Art-déco-Hotels.

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Trailer „Nightmare Alley“

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Dass der Niedergang des Antihelden nun unmittelbar bevorsteht, gibt das Schema des Film noir vor. Dass er durch eine Femme fatale herbeigeführt wird, ist naheliegend. Dennoch lässt sich „Nightmare Alley“ mit seiner zweieinhalbstündigen Spieldauer viel Zeit, um ihn vorzubereiten.

Psychoanalytikerin Lilith Ritter (Cate Blanchett), an einem Abend zufällig im Publikum, kooperiert zunächst mit ihm, versorgt ihn mit Informationen von Klient*innen, damit er die Elite der Metropole in Seáncen von seinen vermeintlichen spiritistischen Fähigkeiten überzeugen und um beträchtliche Summen erleichtern kann. Dass sie – von Berufswegen schließlich so etwas wie Fachfrau für Ängste und Hoffnungen – ihm in seinem eigenen Spiel überlegen ist, vermag er in seinem Hochmut nicht zu erkennen.

Ob der Vorhersehbarkeit dieser Entwicklung und der recht stereotyp innerhalb ihrer Zuschreibungen verharrenden Figuren, die sie vorantreiben, besitzt „Nightmare Alley“ einige Längen und finale Enthüllungen gestalten sich wenig überraschend. Die auf dem Weg vorgebrachten Ideen und mehr noch ihre formidable visuelle Einbettung, dazu die großartigen schauspielerischen Darbietungen, verfehlen trotzdem nicht ihre Wirkung. Der Illusion, dass hier nicht doch viel mehr möglich gewesen wäre als ein wunderschön anzusehender Blockbuster, sollte man sich allerdings nicht hingeben.

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1 Kommentar

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  • Guillermo del Toro geht eigentlich immer, der hat mich noch nie entäuscht.



    Ich hätte gerne mal seinen HOBBIT im Vergleich zu dem von Peter Jackson gesehen. :)