Umstrittene Pläne der EU zur Taxonomie: Klimabewegung ist entrüstet
Aktivist*innen sind empört: Die EU will Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen. Fridays for Future protestierten am Freitag in 15 Städten.
Mehrere große Umweltverbände wie der Nabu, der Naturschutzring, die Deutschen Umwelthilfe, die Klima-Allianz und der WWF fordern die Bundesregierung in einem offenen Brief dazu auf, sich gegen die Pläne aus Brüssel zu wehren, die Investitionen in Gaskraftwerke oder Atomanlagen zukünftig als nachhaltig labeln würden. Die deutsche Bundesregierung müsse sich Österreich und Luxemburg anschließen und vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, um die Entscheidung noch zu stoppen.
Auch Fridays for Future mobilisiert gegen das grüne Label für Gas und Atomenergie. Am Donnerstag demonstrierte Luisa Neubauer zusammen mit anderen Aktivist*innen in Brüssel vor dem Sitz der EU-Kommission. „Ist das eigentlich alles ein Joke für euch?“, fragte sie in Richtung des Gremiums, „ist es ein Spiel, in dem ihr fossile Energien am Leben haltet, so lange es geht, und nur so tut, als würdet ihr Klimagase reduzieren wollen? So sieht es jedenfalls aus.“ Das Geld, das durch die Taxonomie in Gas- und Atomenergie fließen könnte, würde dann beim Ausbau regenerativer Energien fehlen. Der Versuch, Gas und Atomenergie als Teil der Lösung der Klimakrise darzustellen, sei verlogen und brandgefährlich.
Für den Freitag hatte Fridays for Future Deutschland zu dezentralen bundesweiten Protesten gegen die Taxonomie aufgerufen. In 15 Städten veranstalteten die Aktivist*innen am Nachmittag coronakonforme Aktionen wie Kundgebungen, Laufdemos mit Abständen oder Fahrraddemonstrationen. Sie wenden sich mit ihrem Protest gezielt an die deutsche Bundesregierung. Zwar liegt die Entscheidung, ob das „grüne Label“ in der bisher angedachten Form kommt, in den Händen der EU-Kommission. Eine „verstärkte qualifizierte Mehrheit“ von 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten müsste den Vorschlag ablehnen, um ihn zu kippen – das gilt als sehr unwahrscheinlich.
Bundesregierung soll Vorschlag ablehnen
Aber bis nächste Woche Freitag können die Mitgliedsstaaten der EU-Kommission noch Rückmeldungen zu dem geplanten Klassifizierungssystem geben, und die Kommission könnte ihren Vorschlag überarbeiten – danach sind Änderungen kaum noch möglich. Deshalb ist es der Klimabewegung so wichtig, jetzt Druck zu machen. Aber auch nach Verstreichen der Feedback-Frist wollen die Aktivist*innen weiter gegen das „Greenwashing“ protestieren. „Das absurde und gefährliche Verhalten der Bundesregierung in dieser Frage zeigt, wie wichtig der Druck von der Straße weiterhin ist“, sagt Helena Marschall, Bundessprecherin von Fridays for Future. Außerdem bleibe Deutschland ja immer noch die Möglichkeit der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Nach dem Gegenwind der vergangenen Wochen kündigte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Anfang der Woche an, die Bundesregierung werde sich klar gegen die Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie aussprechen – von Gas ist bislang allerdings keine Rede. Bundeskanzler Olaf Scholz hält Gas bekanntlich für eine super Brückentechnologie und hat wahrscheinlich darauf gedrängt, den fossilen Energieträger in das Klassifizierungssystem aufzunehmen.
Für die Klimabewegung ist das ein Skandal: „Dass die Ampelkoalition, die als Klimaregierung angetreten ist, binnen kürzester Zeit nach ihrem Antritt ein solches Greenwashing für fossile Energien betreibt, raubt uns das letzte bisschen Hoffnung, das wir in diese Regierung hatten“, sagt Fridays-Sprecherin Carla Reemtsma. Die angekündigte Stellungnahme gegen Atomenergie reiche nicht, sondern sei vielmehr eine Hintertür für Anreize, weiter in Gas zu investieren.
„Wenn die Bundesregierung den Vorschlag nicht entschieden ablehnt, bricht sie alle Wahlversprechen und alle Zusagen an den Klimaschutz“, sagt Helena Marschall. „Gleich bei der ersten wichtigen klimapolitischen Entscheidung, die die neue Regierung treffen muss, so danebenzu iegen, wäre ein riesiges Versagen.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen