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Reformen in der PflegeIn die Flucht getrieben

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Was ist der Unterschied zwischen der Auto- und der Pflegebranche? Arbeitsbedingungen wie in der Pflege würden in Autoindustrie niemals geduldet.

Reformen in der Pflege sind dringend nötig Foto: dpa

M an stelle sich vor: Volkswagen, Fertigungsstraße. Es herrscht Arbeitskräftemangel. Daher muss der Personalaufwand pro Auto reduziert werden. Man lässt die Heizungen in den Wagen weg, das spart Personal. Und müssen eigentlich fast alle Pkws vier Türen haben? Reichen doch auch zwei. Am Ende produzieren die Fachkräfte minderwertige Autos.

Was in der Autoindustrie undenkbar wäre, passiert täglich in der Pflege, nur ist es hier schlimmer, weil es um Menschen geht. Pflegekräfte gehen motiviert in einen Beruf, in dem sie für die Gebrechlichen tatsächlich im Alltag „einen Unterschied machen“ könnten. Ein freundliches Wort, eine angenehme Berührung wärmen das Herz. Aber die Zeit dafür ist nicht da. Die Pflegekräfte müssen erleben, dass sie ihre Fähigkeiten nicht umsetzen können, ja sogar hinter dem zurückbleiben müssen, was man allgemein als menschliche Zuwendung versteht.

Diese Dissonanz dürfte einer der Hauptgründe sein, warum 40 Prozent der Pflegekräfte erwägen, aus ihrem Beruf auszusteigen, wie eine neue Studie des Fachverlags Vincentz Network in Zusammenarbeit mit dem Pflegeberufsverband DBfK ergibt. Die Flucht aus dem Pflegeberuf wird verstärkt, weil heute aufgrund des allgemeinen Arbeitskräftemangels in vielen Berufsfeldern alternative Jobangebote zur Verfügung stehen.

Aber Alarmismus hilft nicht weiter. Stattdessen sollte die Regel gelten: Taten statt Worte. Es muss möglich sein, im Zweifelsfall mehr Hel­fer:in­nen in den Heimen einzusetzen mit der Möglichkeit der Weiterbildung. Es muss aufhören, dass Pflegekräfte aus ihren freien Tagen geholt werden, weil es für Krankheitsausfälle im Heim keinen Ersatz gibt. Es muss Rücksicht auf private Belange auch in der Dienstplangestaltung genommen werden.

Beides, Springerpools für Vertretungen und familienfreundlichere Arbeitszeitgestaltungen, steht auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Spürbare Entlastungen in den Heimen müssen kommen. Sonst bleiben sie die schwarzen Löcher in einer Leistungsgesellschaft, die sich lieber mit Autos als mit menschlichen Körpern beschäftigt.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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8 Kommentare

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  • Schön, dass das Thema beackert wird.

    Schade, dass kein Wort fällt über die Ursache:



    Die Monetarisierung des Gesundheitswesens seit Mitte der 90er, mit den damit einhergehenden Controlling Orgien und Shareholder Value.

    Wie wäre es mit dem Rückkauf des Gesundheitswesens aus offensichtlich schädlicher privater Hand zurück in öffentliche Hand ?

    Lindner & Co bräuchten dann zwar Kardiologen - hoffen wir mal, das die nicht auch schon eingespart wurden...

  • Der Beitrag geht etwas daran vorbei warum in der Autoindustrie halbwegs gute Arbeitsbedingungen herrschen. Gute gewerkschaftliche Organisation.

    • @wirklich?:

      Da haben Sie einen Punkt (und gleich in dreifacher Ausfertigung 😀).



      Wie oft muss ich mir - informell - die Klagen und das Gejammere der Kolleg*innen anhören, im Teamgespräch - in Anwesenheit der Leitungsperson - herrscht dann schon wieder das sprichwörtliche Schweigen im Walde.



      Überlastungsanzeigen, gar gewerkschaftliches/berufspolitisches Engagement ... Fehlanzeige.

  • Der Beitrag geht etwas daran vorbei warum in der Autoindustrie halbwegs gute Arbeitsbedingungen herrschen. Gute gewerkschaftliche Organisation.

  • Der Beitrag geht etwas daran vorbei warum in der Autoindustrie halbwegs gute Arbeitsbedingungen herrschen. Gute gewerkschaftliche Organisation.

  • Was hat jetzt die Montage eines Autos mit der Pflege zu tun?



    Die "Leistungsgesellschaft" beschäftigt sich nicht lieber mit Autos. Zumindest nicht mit der Gestaltung des Arbeitsprozesses. Das wird der jeweiligen Branche überlassen.



    Die Autobranche hat schon viel früher auf effektives, und in dem Fall vielleicht nicht ausbeuterisches, Arbeiten umgestellt - also optimiert mit dem Einsatz von Robotern etc.



    Der Pflegebranche steht noch mitten in diesem Prozess. Dabei gibt es ein Hauptproblem im Vergleich zur Automontage - die Quantifizierung der Arbeitsleistung. Die sozialen Kontakte, freundliche Worte, Berührungen, fallen nämlich nicht unter Leistung. Braucht man deren Erfassung? Vielleicht nicht, aber das würde an Grundprinzipien der Gesellschaft rüttlen. Gerade Selbstzahler in der Pflege möchten für ihr Geld "Leistung" sehen und da werden die Gesprächsminuten schnell aufaddiert.

  • Barbara Dribbuschs Verweis auf die Automobilindustrie zeigt eben auch, welche gesellschaftspolitischen Prioritäten hierzulande gesetzt werden. Und während die Misere in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen wenigstens noch skandalisiert wird - ohne dass sich daran grundlegend etwas ändert, jedenfalls nicht zum Positiven - , führen Heime für Menschen mit schweren komplexen Behinderungen vollends ein Schattendasein in der öffentlichen Wahrnehmung ... es sei denn, es kommt zu solch schrecklichen Vorfällen wie jüngst im Berliner Oberlinhaus, wo eine selbst psychisch erkrankte Pflegehelferin vier ihr anvertraute Patient*innen kaltblütig ermordete.



    Auch wenn die individuelle Schuld der Pflegerin vor Gericht nachgewiesen werden konnte, wirft der Prozess doch auch ein ein krasses Schlaglicht auf die enorme Arbeitsbelastung und die Missstände in solchen Einrichtungen der Behindertenhilfe.



    Verschiedene Faktoren treten hier zutage:



    1. die Implentierung des neuen Bundesteilhabegesetzes (BTHG) verschleiert die Mangelsituation in geschlossenen stationären Wohnformen der Behindertenhilfe mehr als dass es sie auflöst ... "Teilhabe" erscheint aus Sicht der Betroffenenen - Beschäftigte, Klient*innen und deren Angehörige - mehr als eine neoliberale Worthülse, mit der die auch in diesem Bereich voranschreitende Ökonomisierung schöngeredet werden soll.



    2. Da sich Einrichtungen der Behindertenhilfe oftmals in kirchlicher Trägerschaft befinden, ist es arbeitsrechtlich um das Streikrecht für Beschäftigte schlecht bestellt ... eine große Barriere, um auf die Situation und die Belange dieser Berufsgruppe und ihrer Klient*innen aufmerksam zu machen.



    3. Angehörige von Menschen mit Behinderung tun sich eher schwer, sich zum "Motor" des Protestes gegen Missstände in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu machen ... ich persönlich erlebe da oft eine Mischung aus Sorge und Wut, gepaart mit individuellen Sschuldkomplexen, seinen Sprössling in derartige Wohnformen "abschieben" zu müssen.

  • Nicht so voreilig! Wie es ist, muss es nicht bleiben. Denn wenn es so kommt, wie die Umweltverbände fordern und wie es eigentlich auch schon geplant ist, werden die Benziner von E-Autos abgelöst. Letztere benötigen weniger Arbeitsaufwand, sodass sich viele der (bisher fast privilegierten) Autoindustrie-Beschäftigten unversehens auf dem Arbeitsmarkt wiederfinden werden.



    Mehr noch: Wenn sich die Überzeugung durchsetzt, dass öffentliche Verkehrsmittel dem privaten Auto vorzuziehen sind, hat die Autoindustrie, einschl. deren Zulieferern, keine Zukunft mehr. Im Gegensatz zur Pflegebranche, deren Personalbedarf steigen wird, u. a. wegen des steigenden Lebensalters.



    Viele der dann Arbeitslosen werden einen sicheren Arbeitsplatz in der Pflegebranche finden. Wermutstropfen: Das kann noch eine Weile dauern!