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Erste Sitzung im Abgeordnetenhaus 2022FDP-Hilfe für SPD-Giffey

Koalitionspartner kritisieren Impfkurs der Regierungschefin. Neue Zahlen belegen ein rund siebenmal kleineres Krankheitsrisiko für Geboosterte.

Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) empfiehlt dringend, sich boostern zu lassen Foto: dpa

Berlin taz | Er gehöre ja nicht der Koalition an, müsse aber jetzt mal die Regierende Bürgermeisterin verteidigen. Florian Kluckert, Gesundheitsexperte der FDP-Fraktion, ärgerte sich am Donnerstag im Abgeordnetenhaus darüber, dass er gerade von den mitregierenden Grünen Kritik an der neuen aufsuchenden Impfstrategie von Franziska Giffey (SPD) gehört hatte. Diese richtet sich im Kern auf Migrantengruppen, wo Giffey viel Skepsis gegenüber der Impfung sieht. Für die Grünen-Abgeordnete Catherina Pieroth-Manelli hat das etwas Brandmarkendes. „Das hilft gar nichts“, urteilte sie über Kenntnis zum Hintergrund von Umgeimpften.

Die aktuelle Coronasituation und der Ansturm auf die Testzentren waren zentrale Themen bei der ersten Sitzung des Landesparlaments im neuen Jahr. Nur ein landeseigenes Testzentrum pro Bezirk – mit kostenfreien PCR-Tests nach positivem Schnelltest – sei zu wenig, beklagte die SPD-Abgeordnete Bettina König. Sie berichtete, dass sie im Dezember nach einem Treffen mit vier anderen, wie sie geboostert und getestet, an Corona erkrankte und zwei Wochen starke Grippesymptome gehabt habe.

Während König nun zu möglichst wenigen Kontakten rät, ist ihr Fall für die AfD-Fraktion der Beleg dafür, dass eine auf Testen und Einschränkungen für Ungeimpfte bauende Vorgehensweise der falsche Weg ist. „Fest im Griff hat uns nicht das Virus, sondern die Politik“, war von ihrem Abgeordneten Frank-Christian Hansel zu hören. Andere Länder wie Israel, die lange auf harte Maßnahmen setzten, würden sich jetzt auf den Schutz besonders gefährdeter Gruppen konzentrieren. Hansel sagte aber auch: „Wir sind keine Impfgegner, wir sind gegen die Pflicht.“ Und gestand der Impfung zu, die Folgen einer Infektion zu mildern.

Tobias Schulze, Vizechef der Linksfraktion, hatte das offenbar überhört. Denn er hielt Hansel gleich darauf vor, Impfen und Testen abzulehnen. Auch Schulze ließ Kritik an Giffey anklingen, die vor allem soziale Brennpunkte im Blick hat. Als Beispiele hatte die Regierende Neukölln, Wedding und Spandau/Heerstraße Nord genannt und sich dazu mit der Landes-Integrationsbeauftragten besprochen. Schulze verwies darauf, dass es keine Zahlen gibt, die größere Impfskepsis bei Migranten eindeutig belegen: „Anekdotische Geschichten“ würden keine Fakten ersetzen.

„Boostern macht den Unterschied“

Von Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne), die davon sprach, dass man über „Mittler“ mehr Zugang zu Communitys suchen will, waren neue Zahlen zur sehr unterschiedlichen Wirkung des Virus zu hören. Unten jenen, die nach einer Corona-Infektion Symptome zeigen, kommen demnach auf jeden Geboosterten fast sieben nicht oder nur einmal Geimpfte. „Eigentlich kann man sich heute nur noch als vollständig geimpft fühlen und bezeichnen, wenn man auch geboostert ist“, sagte Gote, „Boostern macht den Unterschied.“

Die Senatorin widersprach der Darstellung, wonach die Coronaverbreitung bei Kindern und Jugendlichen am größten sei. Nach ihren Angaben war die Quote am Donnerstag vielmehr bei den 20- bis 24-Jährigen mit 1.865 am höchsten. Stadtweit betrug die Inzidenz 918,5 nach 856,4 am Mittwoch, während die Auslastung der Intensivstationen mit Coronapatienten von 19,1 auf 17,9 Prozent gesunken ist. In Kürze werde die Inzidenz über 1.000 steigen, kündigte Gote an. Das würde bedeuten, dass sich binnen sieben Tagen jeder hundertste Berliner neu ansteckt.

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2 Kommentare

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  • @J_CGN

    Ich zitiere aus dem Artikel: "Von Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne), die davon sprach, dass man über „Mittler“ mehr Zugang zu Communitys suchen will [...]"

    Jetzt aus Ihrem Beitrag (auf die "Berliner Grünen" bezogen):

    "Aber wenn die Realität nicht ins Bild passt, wird sie eben angepasst."

    In der Tat.

  • Hmm, da haben die Berliner Grünen wohl andere Erkenntnisse als die Verwaltungen in Bremen, Köln, etc.

    Komisch, dass Bremen mit seiner aufsuchenden Strategie eine deutlich höhere Impfquote insbesondere unter Migranten erreicht hat.

    Aber wenn die Realität nicht ins Bild passt, wird sie eben angepasst.