piwik no script img

Staat gegen antiqueere GewaltDer blinde Fleck

Gewalt gegen LSBTI-Personen bleibt oft unsichtbar. Einzig Berlin erhebt genauere Zahlen. Die Innenministerkonferenz will das nun ändern.

Die Innenministerkonferenz stellt sich gegen antiqueere Gewalt Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | Es war eine Premiere auf der Innenministerkonferenz: Erstmals seit ihrem fast 70-jährigen Bestehen befasste sich die IMK Anfang Dezember mit dem Thema queerfeindliche Gewalt. Berlins damaliger Innensenator Andreas Geisel hatte den Tagesordnungspunkt eingebracht. Der SPD-Mann sprach von einem „überfälligen“ Schritt. Die Opfer dieser Gewalt und die Tätermotivation müssten „klar benannt“ werden.

Die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen fällten einen gemeinsamen Beschluss: Die teils schweren Angriffe auf LSBTI-Menschen verurteile man „aufs Schärfste“, heißt es darin. Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszu­gehen. Diese Gewalt müsse „wirksam“ bekämpft werden. Das Bundesinnenministerium solle dafür eine unabhängige Fachkommission einberufen.

Die LSBTI-Community reagierte erleichtert. Jahrelang hatte sie erfolglos gefordert, dass sich die Politik des Problems offensiver annimmt. Man begrüße den Beschluss, den man als „Auftakt für eine abgestimmte und gemeinsame Strategie“ mit den Interessenverbänden betrachte, erklärte Alfonso Pantisano vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbansd (LSVD).

Tatsächlich bleibt queerfeindliche Gewalt bis heute ein blinder Fleck. Erst Anfang 2020 führte die Polizei in ihren Statistiken das Themenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ ein, um auch transphobe Tatmotive zu erfassen. Zuvor schon existierte „sexuelle Orientierung“ für homophobe Angriffe.

In beiden Feldern zusammen zählte das Bundeskriminalamt 2020 bundesweit 782 Straftaten – ein Jahr zuvor waren es noch 576. Für den LSVD ist das aber nur die Spitze des Eisbergs: 80 bis 90 Prozent der Delikte würde nicht angezeigt oder nicht korrekt registriert. Selbst drei schwulenfeindliche Morde 2020 in Dresden, Gießen und Altenburg seien nicht in die Statistik aufgenommen worden.

Einzig Berlin erhebt seit Längerem genauere Zahlen. Hier gibt es zudem seit bereits knapp 30 Jahren eine hauptamtliche Ansprechperson für LSBTI bei der Polizei, seit 2012 auch bei der Staatsanwaltschaft. Für 2020 zählte die Hauptstadt insgesamt 341 queerfeindliche Straftaten, knapp die Hälfte der bundesweiten Delikte – auch, weil anderenorts die Straftaten kaum erhoben wurden. Für 2021 wurden in Berlin vorläufig erneut 383 Delikte erfasst. Bundesweite Zahlen liegen hier noch nicht vor.

Zuletzt beschloss nun auch Bremen, queerfeindliche Straftaten detaillierter zu erheben. Andere Bundesländer erfassen diese teilweise. Demnach gab es 2020 in Baden-Württemberg 67 queerfeindliche Delikte, in Hamburg 30, in Bayern 37 und in Sachsen angeblich nur 19. Dass dies wirklich alle Taten waren, darf bezweifelt werden.

Fortschritte in Sicht

Die neue Bundesregierung will die Erfassung LSBTI-feindlicher Kriminalität verbessern. Sie soll künftig auch als strafverschärfend gesetzlich festgeschrieben werden. Erstmalig wurde diese Woche mit Sven Lehmann, Grünen-Staatssekretär im Familienministerium, auch ein Queerbeauftragter der Bundesregierung ernannt. Er soll einen „Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ anschieben, mit Aufklärungsprogrammen an Schulen und „Diversity Management“ in der Arbeitswelt.

Dazu kommt die auch von der IMK beschlossene neue Fachkommission aus Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und LSBTI-Vertreter:innen, die das Bundesinnenministerium auf den Weg bringen soll. Bis zur übernächsten IMK im Herbst 2022 soll sie erste Empfehlungen vorlegen, wie Gewalt gegen LSBTI besser bekämpft werden kann. Der Fokus liegt auf der Erfassung, der Sensibilisierung der Polizei und der Opferbetreuung.

Ob für die Kommission schon Schritte unternommen wurden, konnte das Innenministerium auf taz-Anfrage jedoch nicht mitteilen. LSVD-Vorstand Pantisano fordert, dass die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Gremium innerhalb ihrer ersten 100 Amtstage einsetzt: „Im Hinblick auf die jahrzehntelange Verharmlosung und Ignoranz von Hasskriminalität gegen queere Menschen darf keine Zeit mehr verloren gehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Wie wäre es dann, wenn das Wörtchen "Phobie" durch "Feindlichkeit" ersetzt wird?

    Wäre mal ein Anfang, einfach "das Kind"/"die Tat" beim Namen nennen.

    Gruß Anika

    • @Anika F.:

      Sehe ich genauso. Mich nervt es schon lange, dass Feindlichkeit als Angststörung bezeichnet wird, als seien die Täter nicht für ihre Handlungen verantwortlich, sondern lediglich psychisch krank.

  • Habe zum Thema LGBTQ-feidliche Hasskriminalität eine Petition mit über 50.000 Unterschriften gestartet. Leider wollte sie bei der IMK niemand entgegennehmen.

  • @JULIUS ANDERSON

    Soweit ich weiss hat sich in letzter Zeit an der Gebräuchlichkeit des Begriffs nichts geändert [1]. Worauf basieren Sie Ihre Behauptung?

    Darüberhinaus: homosexuelle Männer? Privilegiert? Leben wir in verschiedenen Realitäten?

    [1] "Queer is an umbrella term for people who are not heterosexual or are not cisgender. "



    en.wikipedia.org/wiki/Queer

    • @tomás zerolo:

      Meiner Empfindung nach leben diejenigen, die sich den ganzen Tag nur noch um Identitätsfragen drehen durchaus ein einer anderen Welt.

      Herr Feddersen hat sich in der taz darüber ausgelassen, dass er als homosexueller Mann zunehmend mit dem Vorwurf des Privileges konfrontiert ist. Es gibt dazu auch einen taz talk, den ich recht gelungen fand.

      Meine Definition basiert auf den Papers aus dem Bereich der Queer Studies, die ich gelesen habe. Zugegeben es waren nicht fürchterlich viele aber ich hatte immer den Eindruck das Queer ein Wort ist, dass nicht so recht greifbar ist.



      So wie ich es verstanden habe ist die Idee hinter einer Queeren Identität als aktivistischer Ausdruck sich selbst so zu positionieren das man in keine etablierte Kategorie passt, um dadurch die bestehende Ordnung selbst in Frage zu stellen.

  • Sind Lesben und Schwule denn überhaupt noch Queer?! Queer ist doch per Definition das was in keine etablierte Kategorie passt, doch über diesen Punkt ist man lange hinaus.



    Das dem schon lange nicht mehr so ist das weiß man auch bei der taz, in der grade homosexuellen Männern schon häufiger zu verstehen gegeben wurde, dass man anfangen wird auch sie als privilegiert zu betrachten.

    • @Julius Anderson:

      Per Definition eben alles andere als cisgender. Etabliert oder nicht spielt da gar keine Rolle.

      • @zeroton :

        Schwule und Lesben sind üblicherweise Cis-Gender.

        Tatsächlich Frage ich mich auch, was es an dieser Stelle für einen Sinn macht, transfeindliche und homophobe Gewalt zusammenzufassen. Das ist genau so, wie wenn man rassistisch motivierte Gewalt und Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen zusammenfassen würde.

        • @Ruediger:

          Es geht um Gewalt gegen LGBTIAQ+. Das hat mit Behinderung nichts zu tun!

          • @Jonas Goldstein:

            LGBTIAQ+ ist aber eben eine genau so willkürliche Zusammenfassung von Eigenschaften, sexuelle Orientierung hat mit Geschlechtsidentität genau so wenig zu tun, wie mit Behinderung oder Herkunft.

            • @Ruediger:

              Der Vergelich mit Behinderung ist historisch nur sehr ungeschickt, das sollten Sie wissen, wenn Sie sich diesbezüglich auskennen würden. Oder ist das Absicht?

          • @Jonas Goldstein:

            Versuchen Sie doch bitte mal, LGBTIAQ+ nicht als Block zu verstehen.

            • @warum_denkt_keiner_nach?:

              Ich verstehe es als Interessengruppe, die daran interssiert ist, das Artikel 2 der AEMR von 1948 und der catch all Formel am Ende umgesetzt wird. Als was verstehen Sie es denn?

              • @Jonas Goldstein:

                Jedenfalls nicht als Gruppe, die in eine Schublade passt. Dazu sind die einzelnen Teile zu verschieden. Warum will man alles immer in Schubladen pressen? Sollten wir nicht lieber daran arbeiten, dass Schubladen verschwinden?

                Übrigens sind Erklärungen von 1948 mit Vorsicht zu genießen. Die Verfasser von Artikel 2 haben zu Hause z.B. Homosexuelle munter verfolgt. Sie waren offensichtlich nicht gemeint.

        • @Ruediger:

          Da ist was dran. Man könnte dann auch einfach die Gewalttaten gegen alle, die "anders" sind, zusammenfassen.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Dann braucht Deutschland also auch keinen Antisemitismusbeauftragten mehr, sondern nur noch einen Beauftragten für alle die irgendwie anders sind?

            • @Jonas Goldstein:

              Einen Beauftragten für alle, die von ewig gestrigen verfolgt werden? Die Täter kommen alle aus der selben Ecke. Vielleicht würde das die Bekämpfung von Straftaten verbessern. Wie wäre es mit "Beauftragter gegen rechte Gewalt"?

            • @Jonas Goldstein:

              Die Täter kommen aus der selben Ecke. Sie jagen alles, was sie als "anders" einstufen. Auch Juden.

            • @Jonas Goldstein:

              Die Täter sind jedenfalls in den selben Kreisen zu suchen. Tatsächlich richtet sich ihr Hass gegen alle, die sie als anders empfinden.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Alle, die "anders" sind? Was ist dann mit Gewalt gegen Frauen - auch im Öffentlichen Raum? Nach dieser Logik wäre dann der heterosexuelle Cis-Mann der einzig "Normale".

            • @resto:

              Wieso? Frauen, die ihrem Mann gehorchen, sind doch nicht "anders". Die Gewalttäter denken nicht modern. Sie hinken gedanklich etliche Jahrzehnte hinterher.

    • @Julius Anderson:

      Sie dürfen sich was aussuchen: LGBTIAQ+ 🏳️‍🌈🏳️‍🌈🏳️‍🌈