piwik no script img

Die Metamorphose des Olaf ScholzUnter totaler Kontrolle

Ingo Arend
Gastkommentar von Ingo Arend

Als Juso war er einst unberechenbar. Als Neukanzler zeigt er sich glatt geschliffen und floskelbewehrt.

Kaum tauchte er auf, verbreitete sich nervöse Unruhe im Saal. Olaf Scholz war mal unberechenbar Foto: Michael Probst/ap

D er Lockenschopf. Das war früher das Erkennungszeichen von Olaf Scholz. Wann immer der freche Juso aus Hamburg im Bundesvorstand der SPD-Jugendorganisation oder auf ihren hitzigen Bundesdelegiertenversammlungen auftauchte, war er schnell zu erkennen an seiner verwuschelten Haartracht. Die irgendwie auch ein Symbol für seine politische Unberechenbarkeit war. Und für die verschlungenen Wege, die er einschlug, um an sein politisches Ziel zu kommen.

Kaum tauchte er auf, verbreitete sich nervöse Unruhe im Saal. Entweder wegen der Intrigen und Bündnisse, die dann geschmiedet wurden oder längst geschmiedet waren. Wegen der ironischen Bemerkungen, die er um sich herum verspritzte wie feinste Dosen unmerklich wirkenden Gifts. Oder wegen der Debatten, die er Backstage anzettelte, während sich vorne am Rednerpult die Gralsritter der Doppelstrategie noch dabei abwechselten, graues Recyclingpapier durch den Floskelkopierer zu schieben.

Dass Olaf Scholz keine Locken mehr hat, wird man ihm nicht vorwerfen können. Wenn das nicht einen aufschlussreichen Rollenwechsel signalisierte. Wo Ole von Beust, der flamboyant gelockte Großbürger und Scholz’ Vorvorgänger als Hamburger Bürgermeister, sich und seine konservativen Stammwähler so sehr öffnete, dass sie Schwarz-Grün feierten, versteinerte der libertäre Stamokapler Scholz zu einem Opfer des somatischen Disziplinarregimes, als das Politik eben auch immer wirkt: streng, glatt geschliffen, floskelbewehrt.

Auch dieses politische Urgestein schrumpfte nach vierzig finessenreichen Jahren auf das für den sozialistischen Nachwuchs vorgesehene Format: ein Kiesel im Mahlstrom der Demokratie.

Ingo Arend

Politologe und Historiker, schreibt über Kunst und Politik. Stationen beim Freitag, bei der taz und beim Deutschlandfunk Kultur. Mitglied im Präsidium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).

Der berüchtigte Scholzomat eben. Was neben der rhetorischen Stanze auch meinte: ein Mann, der sich selbst unter totaler Kontrolle und alle juristischen Regularien sofort bei der Hand hat. Höchstens noch bei Hintergrundgesprächen ironisch gluckst. Ein Mann, für den Fantasie offenbar ein Fremdwort ist.

Sein Auftritt im Cum-Ex-Ausschuss demonstrierte, dass er es in Sachen Elefantenhaut und Pokerface mit dem US-Polit-Reptil Mitch McConnell aufnehmen kann. Sein Bekenntnis, „in Hamburg habe ich mich unsterblich in meine Frau verliebt“, steht in seltsamen Gegensatz zu der maskenhaften Starre, mit der man ihn im Fond seines Dienstwagens in die Kameras blicken sieht. Kurzum: ein Mann wie sein eigener Dienstwagen. Als Bundeskanzler fährt er jetzt passenderweise ein neues, besonders sicheres Exemplar, das schussfeste Reifen hat und widerstandsfähig gegen Sprengladungen ist.

Die Pathologie des Politischen

Dass Olaf Scholz nach den Hamburger Jahren im blauen Business-Panzer nun den obersten Knopf seines blütenweißen Hemdes aufgeknöpft hat, ist kein Zeichen der Öffnung. Warum er sich im Laufe seiner politischen Karriere immer mehr geschlossen hat, hat er uns nie anvertraut. Dabei wäre es wichtig, diesem politsomatischen Kipppunkt auf die Spur zu kommen. Schon, um Kevin Kühnert oder Annalena Baerbock vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.

Aber die Pathologie des Politischen reicht tief, bleibt begraben im Geheimnis. Stumm schlägt sie sich im Körper nieder, im Habitus. Die fröhliche Angela Merkel der Wendezeit panzerte sich, wie der von ihr auf das Altenteil geschickte Helmut Kohl, mit Leibesfülle und undurchdringlichen Zügen. Nicht umsonst hat Franziska Giffey, die Weltmeisterin der scheinoffenen Fröhlichkeit, ihre 50er-Jahre-American-Suburb-Kostüme einmal ihre „Uniform“ genannt.

Das Gegenbeispiel wäre Claudia Roth. Die Goldparmäne des Unbotmäßigen ist aus einem ähnlich politischen Milieu nach oben gestiegen wie Scholz – ohne dabei etwas von ihrer subversiven Energie und ihrem eruptiven Temperament zu verlieren. Mag sie heute auch noch so elegant und bourgeoisiekompatibel auf dem Grünen Hügel in Bayreuth auftauchen.

Graumäusigkeit ästhetischer Wesenskern der Demokratie

Repräsentiert Roth gleichsam den stets ausbruchsbereiten Vesuv des progressiven Lagers, wirkt der oft versteinert daherkommende Scholz wie dessen Pompeji: Das wilde Leben, das hier einst stattgefunden haben mag, ist nur noch durch eine Schicht erkalteter Sedimente zu erkennen.

Nun ist Graumäusigkeit der ästhetische Wesenskern der Demokratie. Und dürfte die Stimmung der „normalen, einfachen Menschen“, die Scholz beschwört, eher treffen als die sarkastische Exzentrik Wowereit’schen Angedenkens. Wenn sich mit der steifen Geradlinigkeit und der hölzernen Rhetorik, mit der sich Scholz seinen Weg durch die Fußgängerzonen, Plenarsäle und Seniorenheime bahnt, nicht zugleich eine gewisse Friedhofsruhe breitmachen würde.

Der Neukanzler sprach in seiner Regierungserklärung von einer „gigantischen Aufgabe“. Trotzdem heißt Berlin im Dezember: kein Diskurs, nirgends. Und diese hermetische Mischung aus Führen durch Einschläfern wird nun als Erfolgsmodell verkauft. Gegen den „denkenden Redner“ Willy Brandt, den der Verleger Klaus Wagenbach einst bewunderte, wirkt sein Enkel, der auf den roten Wahlkampfplakaten kurz und bündig „Respekt“ verspricht, wie ein wortkarger Buddha.

Fleischgewordenes Adenauer-Motto

Ein paar soziale Wohltaten hat er aufgetischt, um die Stammwähler zurückzuholen, die Hartz IV vergraulte. Den Grünen hat er bedeutet, dass Wende-Essentials wie das Tempolimit oder das Wohnungseigentum nicht zur Debatte stehen. Der Chef der Sozialdemokraten „im Hintergrund“ tritt auf wie eine Mischung aus dem „leitenden Angestellten“, als den sein Vorgänger Helmut Schmidt den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland GmbH einmal beschrieben hat, und dem fürsorglichen Belagerer aus dem Jobcenter.

Habituell gesehen repräsentiert Scholz das fleischgewordene Adenauer-Motto: Keine Experimente. Doch der Aufbruch zu einer anderen Gesellschaft drückt sich in einem anderen Körper aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Wie überlebt man im Dschungel? Mit Tarnung. Die sagt eben nicht viel darüber aus, was das Getarnte kann- das ist die Überraschung. Der Dschungel ist die moderne mediale Welt, geprägt von permanentem Erregungs- Management, um die größtmögliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Wer nicht in der Skandal- Maschinerie zermahlen werden will, der versteckt sich lieber. Das hat auch im Wahlkampf gewirkt! Während Laschet und Baerbock vom Klassenfeind torpediert wurden, schlich sich Scholz leise nach vorn! Grotesk! Auch Angela war, wie wolhtuend, meist kein Mensch der lauten Töne. Die Überraschungen, die sie uns gelegentlich beschert hat, haben daher wohl den tiefsten Eindruck hinterlassen. Ob der Atomausstieg oder in der Asylpolitik- daran werden wir denken bei Merkel- es waren Überraschungen, die auch die Öffentlichkeit spalteten. Welche Überraschungen stecken hinter Olaf Scholz´Fassade? Darüber sagt dieser Artikel: nichts

  • 4G
    48164 (Profil gelöscht)

    "Schon, um Kevin Kühnert oder Annalena Baerbock vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren." Da mußte ich lachen.

  • Zeit für eine Homestory? Mensch stelle sich vor: Eingeladen mit den lächelnd unterstrichenen und sanft gestikulierend offenherzig dargebrachten Worten zur Visiten-Offerte: "Sie kennen mich doch gar nicht wirklich." Stimmt, aber wiederum auch nicht ganz. Verkauft wird uns ein gut cuvetierter Mix aus Mainstream und Modulation, moderat maskulin, nach Selbstauskunft Feminist. Die dahinter stehende Idee, auf der Metaebene zu entschlüsseln, ist erfolgreich gewesen, das hätte kaum jemand erwartet im Lager der politischen Konkurrenz. Dass die Bürgerinnen und Bürger, so spricht er ja als Genosse Hanseat und als Kanzler für alle (O-Ton die "normalen", "einfachen Leute") verbindlich, ruhig regiert werden wollen, war demoskopische Binsenweisheit. Schrille Töne sind tabu, das Angebot für die Mitte ist die ruhige Tonlage, der scholzomatisierte Merkel-Mimikry-Deal, die wenig visionäre unspektakuläre, monoton abgelesene Verkündigung von Regierungsprogramm und Gesetzesvorhaben. Sparkassenvorstände und MinisterialdirigentInnen sind aus ähnlichem Holz, komplett emotionslos wirkt das nicht, aber schwingungsarm. Das wäre im Bild von Apparatschiks eine kooperative, glatt gebügelte Berechenbarkeit. Wie regiert wird in flacher Hierarchie und kollegialer Wertschätzung, das sollten diejenigen beantworten, die als Adepten des Inner Circle gelten. Und nicht zu vergessen: Nicht jeden Widerstand kann man wegmoderieren, es wird auch die SPD-typische Kritik aus den eigenen Reihen geben (müssen).



    //



    taz.de/Scholz-im-Bundestag/!5818116/



    //



    taz.de/Normalitaet...f-Scholz/!5818980/



    //



    taz.de/Rabenvaeter...ches-Amt/!5802476/



    //



    taz.de/Gesundheits...uterbach/!5820556/



    //

  • Na Servus

    Liggers Oil of Olaf I. OS&HH van G 20 & -



    Leise knarztst - HolzHalsGewinde im 💨

  • Amüsant, intelligent und mit vielen treffenden Formulierungen in der Beschreibung des



    introvertierten Kapitäns aus dem U-Boot-Bunker Hamburg!

  • WOW. Danke für diese wort- und bildgewaltige Analyse einer traurigen Politikermetamorphose. Das ist inspirierte Schreibkunst auf einem Niveau, das Freude macht. Wie schön, dass es sowas (noch) gibt! Auch dafür lieben wir die taz, nicht wahr!?



    Einen guten Rutsch allerseits!