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Vorsitz des InnenausschussesAusgrenzen – aber richtig

Der Innenausschuss wird wohl ohne AfD-Vorsitz auskommen müssen: Die anderen Fraktionen wollen den AfD-Kandidaten nicht wählen.

Abgeordnete der AfD-Fraktion, allen voran Alice Weidel Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Niemand will die AfD wählen: Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass die demokratischen Abgeordneten im Innenausschuss des Bundestags den AfD-Kandidaten für den Vorsitz durchfallen lassen werden. Der Vorsitz steht der rechtspopulistischen bis extrem rechten Partei nach der Verteilung im Ältestenrat vergangene Woche formal zu, ebenso wie bei den Ausschüssen für Gesundheit und Entwicklung. Allerdings wollen Abgeordnete mehrerer Fraktionen vor allem im Innenausschuss einem AfD-Vorsitz widersprechen und ihre Zustimmung verweigern.

Sicherheitspolitisch wäre ein AfD-Vorsitz im Innenausschuss brisant, weil der Partei selbst eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz droht. Der Vorsitzende plant und führt nicht nur Sitzungen durch, sondern soll auch einen kurzen Draht zu Sicherheitsbehörden haben.

Für das Amt nominierte die AfD auf ihrer Fraktionssitzung am Dienstag Martin Hess, einen ehemaligen Polizisten, der Linksextremismus für extrem gefährlich hält und die Gefahr rechtsextremer Netzwerke hingegen relativierte. Auch interessant: Er war in einer Polizeieinheit mit der vom NSU ermordeten Michèle Kiesewetter, zusammen mit anderen Personen im Umfeld des Uniter-Netzwerkes. Ebenfalls waren zwei Mitglieder dieser Böblinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit 523 Mitglieder eines deutschen Ablegers des Ku-Klux-Klans sowie der V-Mann „Corelli“, der sich im NSU-Umfeld bewegte.

Trotz dieses Berufsumfelds hält Hess Gegenmaßnahmen und Aufklärung von Rechtsextremismus in der Polizei für eine „Hexenjagd“. Den Vorsitz den Innenausschusses wolle er neutral ausfüllen, behauptete er bei seiner Vorstellung am Dienstag. Am Mittwoch tagt der Innenausschuss erstmals für seine konstituierende Sitzung.

Vize anderer Parteien können übernehmen

Schon zuvor sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, der taz: „Die AfD hat das Vorschlagsrecht für den Vorsitz, mehr nicht. Die Abgeordneten in den Ausschüssen sind frei, sich selber zu den Personalvorschlägen zu positionieren.“ Sollte in einem der Ausschüsse dem Vorschlag nicht entsprochen werden, würden laut Mihalic „zunächst“ die Stellvertreter die Sitzung leiten. Wenn diese ebenfalls nicht bestimmt werden könnten, würde die dienstälteste Abgeordnete übernehmen.

Die AfD hat das Vorschlagsrecht für den Vorsitz, mehr nicht

Irene Mihalic, Grüne

Die beiden anderen Ampelfraktionen äußerten sich ähnlich, womit bereits eine Mehrheit gegen den AfD-Vorsitz bestünde: Von SPD-Mitgliedern im Innenausschuss wurde kolportiert, dass diese keinen AfD-Vorsitzenden wählen würden – das sei „eine Prinzipienfrage“. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, sagte der taz: „Es besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein bestimmtes Wahlergebnis im Ausschuss.“ Letztlich entschieden die Ausschussmitglieder – mit Blick auf die Kandidaten.

Jan Korte aus der Linksfraktion wurde etwas konkreter: „Die Linke unterstützt oder wählt grundsätzlich keine Rechtsextremen und Faschisten.“ Und auch die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz ließ keinen Interpretationsspielraum: „Man kann den Vorsitz in diesem Ausschuss nicht einer Partei geben, die selbst in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird.“ Bestärkt wurde sie vom CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der am Dienstag sagte: „Es ist undenkbar, dass ein AfD-Abgeordneter dem Innenausschuss vorsitzt.“ Er begründete das mit der besonderen Rolle des Innenausschusses – in anderen Ausschüssen sei es personenabhängig.

Bei der Wahl für die Ausschussvorsitze lässt sich zumindest für den Innenausschuss vermuten, dass sich ein ähnliches Schauspiel zutragen könnte wie bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten, bei der AfD-Kandidat*innen mittlerweile reihenweise durchgefallen sind. Ein Eilantrag der AfD dagegen beim Bundesverfassungsgericht scheiterte – für eine ähnliche Organklage der AfD sieht es nicht besser aus: Denn die Wahl der Abgeordneten ist frei. Heißt also: Formal steht der AfD ein Posten dort zu, aber niemand kann die Abgeordneten dazu zwingen, AfD-Kan­di­dat*in­nen auch zu wählen.

Dass die AfD diesen Ausschuss überhaupt bekommt, haben insbesondere die Grünen verbockt: Sie hatten Zugriffsrecht vor der AfD – wählten aber den unwichtigeren Europa-Ausschuss – auch um Toni Hofreiter dort zum Vorsitzenden zu machen, nachdem dieser kein Minister wurde.

Alter Herr von Germania für Ausschuss

Zum Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses nominierte die AfD Jörg Schneider. Der 57-Jährige ist Alter Herr der rechsextremen Burschenschaft Germania und „freut sich schon auf die Auseinandersetzung mit dem Gesundheitsminister“, wie er am Dienstag sagte. Die AfD hatte während der Pandemie immer wieder Fakten verdreht und Verschwörungsideologien befeuert.

Dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sollte Dietmar Friedhoff leiten, der für den Verfassungsschutz 2019 als Begründung für die Einstufung als Prüffall herhalten musste. Laut einer von ihm gehaltenen Rede müssten die Grünen und Angela Merkel „als allererste weg … Das sind die, die unser Volk auflösen wollen, und deswegen müssen wir radikal dagegen vorgehen.“ Merkel wolle das Volk auslöschen, behauptete er.

Interessant: Markus Frohnmaier aus dem völkischen Spektrum der Partei war zuvor in mehreren hauchdünnen Wahlgängen als Vorsitzender des Entwicklungsausschusses durchgefallen. Frohnmaier befürwortete die russische Besetzung der Krim, besuchte russische Separatisten und arbeitete mit dem russischen Geheimdienst zusammen.

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16 Kommentare

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  • …es kann doch jetzt auch mal Schluss sein mit dem mehr oder weniger subtilen Baerbock-Bashing.

    Anstatt hier wieder Anspielungen zu machen („verbockt“), kann man doch einfach neutral berichten, das Grüne UND FDP ihr Zugriffsrecht nicht wahrgenommen haben.

    Und was ist überhaupt das Drama, wenn doch ohnehin allen Beteiligten klar ist, dass sie keinen AfD-Kandidaten wählen werden?

    • @Frau B aus Z:

      Da sind Sie schlecht informiert. Klassischerweise hat die größte Oppositionspartei das Vorschlagsrecht für den Vorsitz im Finanzauschuss, proporzmäßig haben die weiteren Parteien ein Vorschlagsrecht für den Vorsitz anderer Ausschüsse. Die Grünen hatten vor der AfD sich für den Europaausschuss entschieden. Die Reihe war nun bei der AfD - und peng, so kam es. Die FDP kam erst danach.

      • @Lars B.:

        Wenn man Nazis ausbremsen will, ist das eine gemeinsame Anstrengung aller drei Ampel-Parteien plus Union plus Linke!

        SPD wollte Auswärtigen Ausschuss für einen Versorgungsposten haben (ehem. Staatsminister Roth? Oder gar Heiko Maas?) FDP war scharf auf Verteidigungsausschuss für Frau Strack-Zimmermann, sie gefühlt schon den Ministerposten sicher geglaubt hatte und bedient werden musste.

        Der fragliche Ausschuss für die Union ist der Haushaltsausschuss, nicht Finanzen.

    • @Frau B aus Z:

      "Etwas verbocken" ist nach meiner Erinnerung ein wenn auch salopper aber doch völlig normaler Ausdruck, wenn etwas nicht hinbekommen wurde.

      Etwas dünnhäutig?

      • @Encantado:

        Richtig!



        Er wird aber liebend gerne und vermehrt in Zusammenhang mit den Grünen und Frau Baerbock genannt.



        Findet man wahrscheinlich witzig und subtil, denn so ein saloppes Wort gehört nicht in einen sachlichen Beitrag.

        Und da - wie zu erwarten war - ja eh kein AfDlet zum Zug kam, war es auch reichlich überflüssig das Thema so hochzublasen…

  • Na, dann besteht ja noch Hoffnung. Das haben andere Medien entweder gar nicht erläutert oder verzerrt dargestellt, als ob das schon Fakt wäre oder alle die Wahlsystemdetails im Bundestag detaliiert kennen würden.

    Danke, TAZ!

    Ich freu mich schon, wenn sie wieder heulen bei der AfD.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Dies ist tatsächlich ein Resultat Grüner Postenschieberei, die sich überhaupt nicht um Konsequenzen schert.



    Nicht gegenüber dem linken Flügel, der AB und RH immer brav unterstützt hat und genauso düpiert wurde wie Anton Hofreiter. Nein, auch ein Rechtsradikaler, der jetzt verdeckte Ermittlungen gegen sich genehmigen muß, ist offenbar kein zu hoher Preis für die Machtpolitik der Realo Fraktion.

    Besser als mit der Empörung von Carla Reemtsma/FFF kann man die grenzenlose Enttäuschung über diese verlogene Partei garnicht in Worte fassen.

  • Irgendwelche Deppen haben ja die AFD gewählt, und zwar nicht eben wenige, sonst hätten wir diese Probleme im Bundestag gar nicht. Es ist irgendwie beruhigend, dass alle anderen MdBs die Zusammenarbeit mit dieser braunen Truppe verweigern. Danke dafür!

  • Bestimmt jetzt die AfD welchen Ausschuss die Grünen wählen müssen? Der Europaausschuss ist jetzt nicht unbedingt unwichtig.

    Die FDP hat den Verteidigungsausschuss genommen und hatte auch vor der AfD das zugriffsrecht und nach den Grünen. Warum ist es nicht "vorallem" Schuld der FDP?

    • 0G
      05867 (Profil gelöscht)
      @Sascha:

      Die Realos haben die Grünen durch ihre Postenschieberei doch erst in diese „Sachzwänge“ gebracht.



      Es gab im Innenausschuss mal einen richtig Guten Grünen, dem es insgesamt um Inhalte ging.



      Und nicht wie AB und RH nur um Macht und Posten für die eigenen Leute (dazu gehören die Fundis auch erst in zweiter Linie)

    • @Sascha:

      Weil die Grünen im Grundsatz antifaschistisch sein sollten, was die FDP nie von sich behauptet hat. Von der FDP die sich mit der Wahl Kemmerichs bereits mit der AfD zusammengetan hat ist ohnehin nichts anderes zu erwarten, von den Grünen sollte man das schon meinen. Allerdings würde ich mich lieber aufhängen als den Grünen zu vertrauen. Siehe Agenda 2010, Atomausstieg, Vermögenssteuer wieder einführen, NSU Ausschuss in Hessen blockieren etc. etc.

  • Von der AfD aufgestellte Kandidaten für den Vorsitz, egal welcher Art , NICHT zu wählen, ist eine relativ einfache Art sich politisch klar zu positionieren. Ich erwarte von den Mitgliedern der Ampel ein klares Zeichen, dass sie diese Leute nicht wählen. Da muss man weiter garnichts zu sagen. In einer Demokratie entscheiden Wahlen, und die sind in der Regel geheim. Es ist doch völlig gleich was passiert, diese Rechten werden sich immer als Opfer darstellen, also kann man sie auch bei Wahlen durchfallen lassen.

  • Wieso haben die vor allem die Grünen die Vergabe der Ausschüsse verbockt? Die FDP war zwischen Grünen und AfD dran.



    Die Wahl der Grünen mag überraschender gewesen sein, aber die letzte Chance vergeben haben die Gelben.

    • @Herma Huhn:

      Eben nicht. Gem. Proporzbeschluß im Ältestenrat der BT war die AfD nach den Grünen und vor der FDP dran.

  • Warum werden eigentlich nicht SPD oder FDP dafür kritisiert, nicht den Innenausschuss gezogen zu haben?

    • @hoax:

      Weil die Grünen als nächstes an der Reihe waren und sich für den Europaausschuss entschieden haben.



      Informieren Sie sich doch einmal über die Vergabe des Vorschlagsrechts.