Annalena Baerbock auf Antrittstour: Praxistest in Polen
Annalena Baerbock beendet in Warschau ihre erste Reise als Außenministerin. Sie trifft Mitglieder von NGOs genauso wie den Amtskollegen Zbigniew Rau.
Es ist eine Einführung in Vergangenheit und Gegenwart der polnisch-deutschen Beziehungen, wozu man ja tatsächlich eine ganze Menge sagen kann. Es geht – und diese Aufzählung ist nicht abschließend – um militärische Abschreckung der Gegner Europas, den Zustand der EU, die Bedrohung der Polen durch Nord Stream 2, einen Besuch von Joschka Fischer vor 17 Jahren, den sowjetischen Überfall im Zweiten Weltkrieg, den deutschen Überfall im Zweiten Weltkrieg, den Raub polnischer Kulturgüter und die aus polnischer Sicht noch immer ausstehenden Reparationen.
„In diesem Zusammenhang sind immer noch viele Fragen ungeklärt“, sagt Rau. „Das ist ein Bereich, in dem wir von der Bundesregierung die Breitschaft zu einer konkreten Zusammenarbeit erwarten.“
Relevante Themen, keine Frage. Und doch läuft Baerbock jetzt langsam die Zeit davon. Das Treffen war ohnehin schon mit Verspätung gestartet, und vor dem Abflug in zwei Stunden hat sie eigentlich noch andere Termine geplant.
Am dritten Tag im Amt ist das hier Baerbocks erster heikler Besuch. Am Donnerstag startete ihre Antrittsreise mit Stationen in Paris und Brüssel. Natürlich gab es auch dort in Fachfragen den ein oder anderen Konfliktpunkt, im Vergleich zu Warschau waren die Termine aber nur ein Warmlaufen. Im Verhältnis zu Polen stellt sich eher die Frage, in welchen Belangen es keinen gravierenden Dissens gibt. Eine lange Liste mit Kritikpunkten hat schließlich nicht nur Zbigniew Rau, sondern auch die deutsche Seite.
Kein „beredtes Schweigen“
Vor der Grenze zu Belarus sterben noch immer Menschen, keine 200 Kilometer von Warschau entfernt. Die polnische Regierung hält an ihrer Justizreform fest, mit der sie gegen alle EU-Grundsätze die Gerichte unter ihre Kontrolle gebracht hat. Vertreter der PiS-Partei begleiteten den Start der deutschen Ampelkoalition mit der Behauptung, diese wolle in Europa ein „Viertes Reich“ errichten. Auch das ist nur ein kurzer Auszug aus der Liste.
Somit ist Baerbocks Besuch in Warschau ihr erster Praxistest. Im taz-Interview hatte die Grünen-Chefin vergangene Woche angekündigt, als Außenministerin Konflikte nicht „schönreden oder totschweigen“ zu wollen. Anders als in den letzten Jahren habe „beredtes Schweigen“ in der deutschen Diplomatie keinen Platz mehr. Hält sie diese Ankündigung an diesem Freitag ein?
Mit ihrem Reiseprogramm hat Baerbock zumindest schon vorab ein kleines Zeichen gesetzt. Vier Stunden hat sie in Warschau Aufenthalt, dabei sind fünf Stationen geplant, darunter ein nicht-öffentliches Gespräch mit Organisationen, die sich für die Rechte der Flüchtlinge an Polens Ostgrenze einsetzen, und eines mit Marcin Wiącek, dem Ombudsmann für Bürgerrechte. Er hat eines der wenigen Staatsämter inne, die noch nicht unter der Kontrolle der PiS sind. Bei der Besetzung entscheiden beide Kammern des Parlaments, deshalb konnte die Opposition mitsprechen.
Im Amt angekommen
Das Wort in der Pressekonferenz hat nun Baerbock. Sie ist freundlich im Ton, unterstreicht die guten Beziehungen, lässt die klassischen diplomatischen Sätze fallen. Sie sagt aber auch: „Wir müssen sicherstellen angesichts der eisigen Temperaturen im Grenzgebiet, dass humanitäre Hilfe zur Verfügung steht und zwar auf beiden Seiten.“ Internationale Verpflichtungen gälten für alle. „Dafür müssen wir gemeinsam Verantwortung tragen.“
Klar, früher klang das bei ihr schärfer. In den vergangenen Jahren wählte Baerbock noch deutlichere Worte. Vor anderthalb Jahren hielt sie im Bundestag eine Rede, als an einer EU-Außengrenze schon einmal europäisches Recht gebrochen wurde – damals auf den griechischen Inseln. „Das ist ein massiver Verstoß gegen Grundrechte. Das ist beschämend“, sagte sie damals. Von der Bundesregierung erwarte sie, dass sie das auch klar ausspricht.
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Noch im Bundestagswahlkampf forderte Baerbock, dass die EU ihren neuen Rechtsstaatsmechanismus „sofort umsetzt“, sprich: als Strafe für Rechtsbrüche Geldflüsse nach Polen und Ungarn stoppt. In Warschau formuliert sie jetzt vorsichtiger, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag die „Unterstützung für alle Instrumente unterstreicht“, die Rechtsstaatlichkeit sicherstellen.
Baerbock hat nun mal die Rollen gewechselt. In der Opposition kann man auf die Kacke hauen, man muss es manchmal sogar, um Abends zehn Sekunden in der „Tagesschau“ zu bekommen. In der Regierung sieht es ein bisschen anders aus.
Baerbock muss mit ihren neuen Verhandlungspartnern auf polnischer Seite voraussichtlich ein paar Jahre zurechtkommen. Da könnte es ihr lieber sein, in Rechtsstaatsfragen doch noch einen Kompromiss hinzubekommen, mit dem alle Seiten ihr Gesicht wahren.
Mittelweg gesucht
Allerdings birgt ein Regierungseintritt auch das Risiko, sich von den vermeintlichen Zwängen des neuen Amtes überwältigen zu lassen und die Vorsätze vor lauter Pragmatismus zu vergessen. Ob Baerbock dazwischen einen Mittelweg findet und wie der aussieht, das wird für die nächsten Monate die spannende Frage.
Von Zbigniew Rau auf jeden Fall verabschiedet sich Annalena Baerbock erst mal freundlich. „Ich glaube daran, dass wir als Europäer gemeinsam Lösungen finden“, sagt sie, als ein Journalist noch mal zur Rechtsstaatsfrage nachhakt. Dann geht es mit Verspätung weiter.
Nun aber fehlt die Zeit, alle Gespräche wie geplant durchzuführen. Aber die deutsche Botschaft hat improvisiert: Zum kurzen Gespräch mit dem Ombudsmann für Bürgerrechte kommen die Vertreter*innen der Flüchtlingsorganisationen einfach hinzu. Der Abflug klappt pünktlich.
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