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Abschied von Merkel und KurzRote Rosen und ein Baby

Angela Merkel zeigte bei ihrem Abschied als Kanzlerin Haltung. Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz hingegen demonstrierte nochmal, wie klein er ist.

„Das kann sie sich jetzt gönnen“, Merkel mit Rose beim Zapfenstreich zum Abschied Foto: Hannibal Hanschke/reuters

K omm, wir wetten, wann sie heult, sagte der Sohn, als wir zusammen vor dem Bildschirm Platz nahmen. Großer Zapfenstreich für Angela Merkel, live aus dem Bendlerblock – das war ein Pflichttermin. Und, in Anbetracht der sonstigen Umstände – draußen dunkel, Krankheitsfälle im persönlichen Umfeld rücken näher – war das auch das einzige Wohlfühlevent der Woche.

Ist es nur eine weitere Skurrilität in Coronazeiten oder schon besorgniserregend, wenn eine demokratisch gewählte Kanzlerin mit militärischen Ehren verabschiedet wird wie eine Königin?ƒ

Auch Demokratien brauchen ein bisschen Pomp und Rituale der Selbstvergewisserung. Aber es ist schon auch was Besonderes, dass jemand freiwillig und selbstbestimmt dieses Amt aufgibt, an dem Vorgänger wie Kohl oder Schröder bis zuletzt klebten wie kleine Jungs.

Deshalb warten alle so sehnsüchtig auf die letzte Rede der Kanzlerin: Wird sie ihr Vermächtnis darlegen? Wird sie uns den Weg weisen in dunkler Zeit? Natürlich nicht. Merkel ist erfahren, aber nicht weise. Und einen wirklichen Plan hat sie auch nicht.

Ironie-Schlager aus dem Osten

„Mit Fröhlichkeit im Herzen an die Arbeit“, schön und gut. Aber wenn sie Radikalisierung, Klimakrise und Digitalisierung als so dringende Probleme empfindet – warum hat sie nach 16 Regierungsjahren dann einen solchen Handlungsstau hinterlassen?

Dass im Vorlauf des Zapfenstreichs so ausufernd spekuliert wurde über die Liedauswahl der Kanzlerin, die mit einem Ironie-Schlager aus dem Osten (getextet übrigens von einem Mann, der nach der Wende wegen Kindesmissbrauch verhaftet wurde – aber das thematisierte kaum jemand), einem Balladenklassiker und einem Kirchenlied aus dem Amt scheidet, liegt wohl vor allem daran, dass die allgemeine Nachrichtenlage so düster ist, dass man nach jedem Farbfilm und jeder roten Rose greift, die man kriegen kann. Und auch nach Gott, für die, denen das hilft.

Es könnte aber auch daran liegen, dass sich die Kanzlerin in ihren 16 Regierungsjahren so übermenschlich diszipliniert und im Politischen wie Privaten ungreifbar präsentiert hat, dass man sie jetzt wirklich mal die Contenance verlieren sehen wollte. „Das kann sie sich jetzt gönnen“, sagte der Nachwuchskommentator neben mir auf dem Sofa.

Die Bundeswehr und die ausrichtende Verteidigungsministerin gaben jedenfalls alles: Trommelwirbel und funkelnde Posaunen, Fackeln und weiße Glacéhandschuhe, Helm ab zum Gebet und schultert das Gewehr. Doch erst bei Hilde Knefs roten Rosen hieß es „Wasser marsch“ bei Merkel – selbstverständlich protestantisch gebremst. Was für eine Haltung! Und Olaf Scholz schaute auf der Tribüne unter seiner Maske drein, als dämmerte ihm erst jetzt, welche Verantwortung auf ihn zukommt.

Sebastian Kurz: larmoyant und trotzig

Wie klein und armselig dagegen der andere Abschied dieser Woche: Man habe ihn regelrecht gejagt, dabei sei er auch nur ein Mensch. Und kein Verbrecher, was er schon noch beweisen werde. So larmoyant und trotzig verabschiedete sich Österreichs Ex-Kanzler und zuletzt ÖVP-Chef Sebastian Kurz von allen politischen Ämtern.

Gekaufte Meinungsumfragen, geschmierte Journalisten, Vetternwirtschaft: Der Jungpopulist, dem in seinem Amtsverständnis stets jegliche Demut gefehlt hat, zieht sich jetzt ins Private zurück. Und nimmt seinen Nachfolger und seinen Finanzminister gleich mit.

Merkel ist erfahren, aber nicht weise. Und einen wirklichen Plan hat sie auch nicht.

Gemeinsam rein, gemeinsam raus, nach uns die Sintflut: Nicht nur in seiner Migrationspolitik, sondern auch im Amtsverständnis ist der Jungkonservative das Gegenmodell zu Merkel. Ihr glaubt man, dass sie die Macht einfach ausziehen kann wie einen ihren berühmten Blazer. Dem eitlen Kurz aber nimmt man seine neue Papa-Rolle höchstens als PR-Move ab, um, scheinbar geläutert, seine erneute Rückkehr an die Macht vorzubereiten.

Nein, einen Zapfenstreich hat Sebastian Kurz nicht verdient, aber wenn man sich zu seinem Abgang ein Lied vorstellen kann, dann Falcos „Egoist“: Ganz oben auf der Liste. Ja da stehe ich. Du mußt mir schon verzeih’n. Aber ich liebe mich.

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Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
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6 Kommentare

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  • Merkels Musikauswahl zu ihrem Abschied war aus meiner Sicht eine unverhohlene Spitze an Wladimir Putin. Der wird sich nun nämlich darauf einstellen müssen, dass er bei ihren NachfolgerInnen auf deutlich weniger Geduld und Verständnis stoßen wird. Auch im Verhältnis von CDU und CSU wird man das wohl schon sehr bald merken können. Großer Gott, wir loben Dich!

  • "...(getextet übrigens von einem Mann, der nach der Wende wegen Kindesmissbrauch verhaftet wurde – aber das thematisierte kaum jemand)..." - Raun, raun - Sie wissen schon. Ich will ja nichts gesagt haben, aber ...

    Welchen Beitrag - ausser, dass man mal wieder darauf hinweist, dass Männer halt Schweine sind - sollte dieser Einschub?

    Das Lied wurde von einer Frau (!) gewünscht, die Menschen im Mittelmeer ertrinken liess, für den Irak-Krieg war, aktiv jegliche Klimapolitik ausgebremst hat und heldinnenhaft die Patente von staatlich finanzierten Covid-Impfstoffen verteidigt. (Aber das themaisiert ja kaum jemand).

    Demagogie ist offensichtlich nur schlimm, wenn sie dem 'falschen' Ziel dient.

  • Fakt ist: Merkel hat schlussendlich die CDU aus dem Kanzleramt geschossen. Schon indem sie einen unfähigen nachfolger protegierte - jetzt schlägt die Stunde des Blackrock-Managers. Tja und das smarte Bürscherl in Wien, für den würden heute noch die Mehrheit seiner Wähler votieren. Es geht um Macht und Einfluss - die hat Merkels Union verloren, die ÖVP sitzt immer noch - mithilfe der Grünen - an den Schalthebeln der Macht. Küss die Hand soweit.....

  • Ich fand die Chose so weit ganz cool.

    Was ich allerdings etwas beunruhigend fand, war das Outfit der Soldaten. Das kam mir vor wie eine Mischung aus Wehrmacht und NVA. Modische Totalitarismustheorie.

    Bis auf die Matrosen. Bei denen muss ich immer an Kiel oder Kronstadt denken.

    Schicker wäre es gewesen, Gaultier hätte ihnen einen Fummel verpasst. Wie in "Das Fünfte Element".

    Man kann nicht alles haben.

  • Ist es fair gegenüber der Sängerin und dem Komponisten von dem Farbfilm-Song, wenn der Autorin dazu nur einfällt, dass der Texter des Liedes wahrscheinlich Kindesmissbrauch begannen hat? Kann man nicht zwischen Werk und Künstler unterscheiden? Auch miese Menschen können schöne Dinge erschaffen. Der betreffende Texter hat sich noch vor dem Gerichtsurteil in seiner Gefängniszelle getötet. Trotzdem war es toll dass Merkel dieses heute noch erfrischend wirkende Lied gewählt hat. Auf Text wurde dabei eh verzichtet.

    • @vulkansturm:

      Warum genau sollte es unfair sein, wem auch immer gegenüber, über einen Texter schlicht die Wahrheit zu sagen?



      Außerdem wurde er, wenn ich Wikipedia glauben darf, ja schon 2002 rechtskräftig verurteilt, "wahrscheinlich" Kindesmissbrauch begangen, trifft also nicht zu.



      Den Text würde ich jetzt auch nicht als so künstlerisch erhaben einstufen, dass darüber die Taten des Texters schamhaft verschwiegen werden sollten. Dazu bleibt es den Einzelnen ja unbenommen, ganz nach Belieben, zwischen Künstler und Werk zu trennen.



      Hat Frau Merkel ja auch getan.