piwik no script img

Unabhängigkeitstag in PolenRechte marschiert in Warschau auf

Neofaschisten, Antisemiten, Nationalisten, Frauenhasser und Homophobe strömten in die Hauptstadt. An der Demo-Route wurden Häuser verbarrikadiert.

Rauchige Luft und ein rot-weißes Fahnenmeer: Warschau am 11. November 2021 Foto: Czarek Sokolowski/ap

Warschau taz | Einmal im Jahr zeigt Polens Patriotismus seine hässliche Fratze. Ausgerechnet am 11. November, dem polnischen Unabhängigkeitstag, strömen aus dem ganzen Land Neofaschisten, Antisemiten, Nationalisten, Frauenhasser, Homophobe und politisch Ahnungslose, die es einfach nur mal ordentlich krachen sehen wollen, nach Warschau. Zehntausende kamen auch an diesem Donnerstag in die polnische Hauptstadt. „Der europäische Pöbel missachtet unseren Premier“, heizte der Rechtsradikale Robert Bąkiewicz die Stimmung auf dem zentral gelegenen Dmowski-Platz an und warnte zugleich: „Dieses Jahr ohne Bengalische Feuer!“

Trotzdem ging es hoch her. Böller krachten, Feuerwerkskörper flogen laut zischend durch die Luft. Im weiß-roten Meer aus Nationalfahnen waren auch viele Falanga-Flaggen der antisemitischen Militärorganisation der ONR (Obóz Narodowo-Radykalny, dt. Nationalradikales Lager, eine neofaschistische Organisation, die seit 1993 existiert und an die Tradition der gleichnamigen faschistischen Partei der Zwischenkriegszeit anknüpft; Anm. d. Redaktion) zu sehen, außerdem keltische Kreuze und White-Power-Transparente von Rassisten.

Der 11. November ist ein staatlicher Feiertag, an dem an die Wiedergewinnung der Souveränität Polens erinnert wird. In Westeuropa sind die drei Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795 durch die Nachbarmächte Russland, Österreich-Ungarn und Preußen heute weitgehend unbekannt. Für die meisten Polen aber besteht das Trauma von 123 Jahren Unfreiheit bis heute fort.

Umso wichtiger wäre es, gemeinsam jedes Jahr aufs Neue die 1918 wiedergewonnene Freiheit und Unabhängigkeit zu feiern. Stattdessen setzten auch in diesem Jahr die in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) alles daran, dass die berüchtigte Allpolnische Jugend und das antisemitische National-Radikale Lager (ONR) den Feiertag am 11. November gestalten durften.

Eigentlich hatte Warschaus Stadtpräsident Trzaskowski den Marsch verboten

Da sie in den letzten Jahren eine Spur der Verwüstung sowie verletzte Polizisten und Unbeteiligte in Warschau hinterlassen hatten, verbot Warschaus Stadtpräsident Rafał Trzaskowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) den diesjährigen Marsch. Auch die Sorge wegen einer weiteren Covid-19-Ausbreitung spielte dabei ein Rolle.

Der Verein des Unabhängigkeitsmarsches wollte sich dem Verbot nicht beugen und ging vor Gericht, doch Trzaskowski gewann den Prozess in allen drei Instanzen. Damit schien das Problem ausgestanden und Trzaskowski konnte mit einer kleinen antifaschistischen Gruppe seine Demonstration vor den Nationalisten anmelden.

Doch völlig unerwartet meldete sich plötzlich Jan Józef Kasprzyk, der Chef des von der PiS kontrollierten Kriegsveteranenverbandes, zu Wort. Er gab dem Marsch den formalen Status einer Staatsfeierlichkeit und sprach den Nationalisten das Recht zu, den nunmehrigen Staatsmarsch auszurichten. Zugleich sicherte der Veteranenfunktionär den Teilnehmern den Schutz durch Polizei und Kriegsgendarmerie zu.

Es ist klar, dass hinter dem Veteranenchef mehrere PiS-Minister stehen müssen, da er selbst keine Verfügungsgewalt über Polizei und Militär hat. Da auch in diesem Jahr mehrere Zehntausend Leute aus ganz Polen und dem Ausland anreisten, ist das Polizeiaufgebot riesig.

Trzaskowski hingegen musste unter anderem Hunderte Tonnen an Pflastersteinen abtransportieren lassen, die bereits am Straßenrand für die Instandsetzung einer der große Magistralen Warschaus aufgetürmt waren. Häuser und Schaufenster entlang der Marschstrecke wurden mit Holz- und Stahlplatten verrammelt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die PiS-Regierung der Stadt Warschau die Kosten dafür erstattet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Furchtbar, entsetzlich. und Kasprzyk, der reinste Putsch.