Schließung einer Obdachlosentagesstätte: „Warmer Otto“ kaltgestellt
Die bekannte Tagesstätte für Wohnungslose in Moabit macht dicht. Die Empörung bei Betroffenen und Helfer:innen ist groß.
Nur ein chic gekleideter älterer Herr mit Hut und schwarzem Mantel will was sagen: „Ich sehe das überhaupt nicht ein“, beschwert er sich. „Ich bin jeden Tag hier, das gilt auch für die meisten anderen. Es ist Familie, wir kennen uns ja alle. Außerdem kann man telefonieren, duschen, Wäsche waschen. Man fühlt sich geborgen.“
In den 38 Jahren seines Bestehens ist der „Warme Otto“ zu einer Institutionen der Wohnungslosenhilfe geworden. Hunderte Menschen ohne festen Wohnsitz geben ihn als Postadresse an, im Keller stehen Spinde zur Unterbringung von Besitz, es gibt eine Kleiderkammer, Beratung, auch eine spezielle für EU-Bürger*innen – und man kann tagsüber im Warmen sitzen. Im letzten Coronawinter, wo fast alle Tagesangebote für Wohnungslose dicht waren, wurde der Otto zu einer besonders beliebten – und stets vollen – Anlaufstelle.
Umso überraschender war die Nachricht, dass der Betreiber, die Berliner Stadtmission, den Otto dichtmacht: „Die bisherigen Räumlichkeiten werden den gewachsenen fachlichen und rechtlichen Anforderungen nicht mehr gerecht und stellen keine zukunftsfähige Basis dar“, heißt es auf der Webseite. Man sei aber auf der Suche nach einem neuen Ort.
Unterschreiben gegen Schließung
Kai Oeynhausen, der nach eigenem Bekunden seit vier Jahren Gast im Otto ist und die Sache mit einer E-Mail an die Berliner Presse bekannt machte, findet die Begründung „an den Haaren herbeigezogen“. Die Räumlichkeiten seien nicht erst seit gestern heruntergekommen, erklärt er wütend. „Klar müsste da was gemacht werden, aber wieso schließt man jetzt – wo der Winter anfängt?“ Bis Ersatz gefunden sei, müsse der Otto aufbleiben, fordert er – und startete eine Unterschriftenaktion.
160 Menschen habe er schon auf seiner Liste, erzählt er stolz am Telefon. Auch in der Tagesstätte liegen Listen aus, zwischen 300 und 400 sollen dort in einer knappen Woche unterschrieben haben.
Auch die AG der Berliner Wohnungslosentagesstätten fordert die Offenhaltung des Otto. „Die Berliner Wohnungslosentagesstätten kommen jetzt schon an ihre Auslastungsgrenzen. Die Schließung des Warmen Ottos würde die Situation extrem verschärfen“, heißt es in einer Presseerklärung.
Ebenfalls empört ist eine ältere Nachbarin des Warmen Otto namens Edeltraud Immel-Sauer. Nachdem sie von der Schließung erfahren hat, hat sie einen Brief formuliert, der an die Stadtmission und Presse adressiert ist. Im Brief protestiert sie gegen die Schließung kurz vor Wintereinbruch und fordert die Verantwortlichen dazu auf, den Warmen Otto erhalten zu lassen.
Niemand hat mehr Lust
Karen Holzinger, Leiterin des Fachbereichs Wohnungslosenhilfe der Stadtmission, versteht die Empörung, erklärt sich aber für machtlos. Es sei leider nicht gelungen, ein neues Team auf die Beine zu stellen, nachdem das alte in Rente gegangen sei. Drei neue Sozialarbeiter hätten gekündigt, zwei erst Mitte Oktober.
Offenbar seien die Arbeitsbedingungen im Otto, auch wegen baulicher Mängel, nicht mehr annehmbar. „Der Generationenwechsel ist uns nicht gelungen“, bedauert sie. Immerhin soll die Poststelle bis Jahresende an drei Tagen pro Woche öffnen. Auch an ihre Spinde könnten die Menschen so lange noch ran, verspricht Holzinger.
Ihre Hoffnung, schon bald in Mitte etwas Neues zu eröffnen, könnte aber verfrüht sein. Der neue Bezirksstadtrat für Soziales, Carsten Spallek (CDU), erklärte: Der Bezirk plane „ein vergleichbares Angebot“ – gegebenenfalls auch mit einem anderen Träger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn