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Outing von Verdächtigen im InternetAm Instagram-Pranger

Nach einer Vergewaltigung in Hamburg fordert eine Petition, die Gesichter der Verdächtigen zu veröffentlichen. Auf Instagram schritt jemand zur Tat.

Tatort: der Hamburger Stadtpark Foto: Joans Walzberg/dpa

Hamburg taz | Das Verbrechen ist abscheulich, die Tatverdächtigen auf freiem Fuß – und die sozialen Medien voll von Wut und Empörung. Nach der Gruppenvergewaltigung eines 15-jährigen Mädchens vor gut einem Jahr im Hamburger Stadtpark sollen die mutmaßlichen Tatverdächtigen nun öffentlich an den Pranger gestellt werden. Das fordert zumindest eine Petition auf der Internetplattform change.org, die bereits von fast 10.000 Menschen unterstützt wird. In dem derzeit wichtigsten sozialen Netzwerk Instagram ging ein User noch weiter: Er veröffentlichte die Fotos und abgekürzten Namen von sieben angeblich Tatverdächtigen.

Die Tat ereignete sich im September vergangenen Jahres. Laut einer Pressemitteilung der Polizei feierte das Mädchen an einem Samstagabend zusammen mit Freunden im Stadtpark. Kurz nach 23 Uhr verlor sie den Kontakt zu ihren Freunden und traf auf eine Gruppe von Jugendlichen, die sie in ein Gebüsch führten und sie dort vergewaltigten.

Medienberichten zufolge wurden Spermaspuren von mindestens neun Männern bei dem Mädchen festgestellt. Zeugen berichteten, dass die Tat gefilmt worden sei. Ein solches Video sei bei Durchsuchungen allerdings nicht gefunden worden. Zudem sollen die Täter das Mädchen bestohlen haben.

Fast 14 Monate nach der Tat ermittelt die Staatsanwaltschaft nun gegen elf junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren. „Die abschließende Bewertung der Ermittlungsergebnisse dauert an“, teilte Mia Sperling-Karstens von der Staatsanwaltschaft mit. Gegen einen der Beschuldigten sei ein Haftbefehl ergangen, der jedoch außer Vollzug gesetzt worden sei.

„Von der Beantragung weiterer Haftbefehle ist abgesehen worden, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen“, erläuterte Sperling-Karstens. Dafür wäre ein dringender Tatverdacht sowie ein Haftgrund nötig gewesen. Dieser könne etwa vorliegen, wenn die Gefahr bestehe, dass der Beschuldigte flüchtet, Beweismittel vernichtet oder Zeugen unter Druck setzt.

Einfach wäre es, wenn einer der am Pranger Stehenden bei uns eine Beschwerde einreichen würde

Martin Schemm, Sprecherdes Hamburger Landesdatenschutzbeauftragten

Dass alle Tatverdächtigen derzeit auf freiem Fuß sind, erbittert den Petenten „F.T.S.“ aus Berlin so sehr, dass er einen Aufruf an die Grünen, Die Linke und die FDP auf change.org gestartet hat mit dem Titel „Wildtiere gehören nicht frei unter Menschen“. Sein Vorwurf: Die Justiz setze die Täter weiterhin der Gesellschaft aus.

F.T.S. findet: „Solche Menschen dürfen nicht die Freiheit schmecken, wenn sie diese einem jungen Menschen für immer genommen haben.“ Deshalb müssten nicht nur die Gesichter der Täter veröffentlicht werden sondern auch ein junger Mann gekündigt werden, der eine Anstellung bei einem sozialen Träger für Menschen mit Behinderung gefunden habe.

Unter Verweis auf die Petition hat der User „stadtparktaeter_hh“ auf Instagram die Vornamen und abgekürzten Nachnamen von acht angeblich Beschuldigten veröffentlicht, dazu die Fotos von sieben jungen Männern, die beteiligt gewesen sein sollen. Daneben steht ein Text zu dem Vorfall mit dem Logo der Organisation Kinderseelenschützer, der auf die Bild-Zeitung verweist.

Das Posting verfehlte seine Wirkung nicht: „Die, die dieses schreckliche Verbrechen begangen haben, verdienen etwas so Grausames, daß es nicht in Worte gefasst werden kann“, kommentierte jemand. Ein anderer stellte eine Misshandlung im Gefängnis in Aussicht: „Happy Birthday, wenn ihr in Haft kommt. Egal, selbst wenn ihr in iso kommt. Einer hat immer bessere Kontakte.“ Unter den Kommentaren fanden sich auch rassistische Anfeindungen.

Dabei hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Es gibt keine Anklage. Ob die Namen stimmen und die Fotos überhaupt etwas mit den Beschuldigen zu tun haben, ist ungewiss. „Es muss die Unschuldsvermutung gelten“, sagt Martin Schemm, der Sprecher des Hamburger Datenschutzbeauftragten der taz. Gegen solche Veröffentlichungen vorzugehen, sei Schemm zufolge nicht ganz einfach. Instagram gehört zu Meta – bis vor Kurzem facebook. Die zuständige Gesellschaft sitze in Irland. „Einfach wäre es, wenn einer der am Pranger Stehenden bei uns eine Beschwerde einreichen würde“, sagt Schemm.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat wegen der auf Instagram veröffentlichten Bilder ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet. Dabei gehe es um den Vorwurf der Beleidigung. Ob der Vorwurf rechtlich haltbar sei, sei aber noch offen, teilte Oberstaatsanwältin Sperling-Karstens mit.

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13 Kommentare

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  • Waren es nicht zuletzt Leute, sich sich für fortschrittlich hielten, die die staatliche Justiz durch die online-Verfolgung über Twitter und Co ersetzen wollten, betreffend zB einen dt. "Komödianten"… Schon da wurde gewarnt, dass dies nicht unbedingt ein Fortschritt wäre, spätestens wenn auch andere diese neue Justizform Internetpranger für sich entdecken.....bzw sich diese etabliert.

  • Keine gute Idee! Es kann doch sein, dass jemand falsch beschuldigt wird und möglicherweise führt sowas dazu, dass Täter sich für ihre Untaten auch noch medial feiern lassen und am Ende dann die Strafe, die das Gesetz eigentlich vorsieht, womöglich gar nicht mehr verhängt werden kann.

  • @LOWANDORDER

    Danke :-)

  • Es ist bezeichnend, dass die "Vorverurteilung" und der "Hass" gegen die Täter auf mehr Empörung trifft als die unsagbar menschenverachtende Tat selbst. Diese war (da ja nicht über Straftaten ohne politische oder gesellschaftliche Relevanz berichtet wird, wobei beides hier durchaus vorliegt) der taz keine Nachricht wert, wohl aber das Kompromittieren der Täter. Der eigentliche Skandal ist, dass bei einer Gruppenvergewaltigung Untersuchungshaft negiert wurde, obwohl Verdunkelungsgefahr offensichtlich gegeben ist (Absprachen der Täter untereinander) und auch Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden kann, wenn junge Männer demonstriert haben, dass sie in der Lage sind, ein hilfloses Mädchen von 15 Jahren über anderthalb Stunden reihum zu vergewaltigen. Ich möchte erleben, dass bei einer lange zurückliegenden Tat eines Prominenten, die im Rahmen der MeToo-Bewegung thematisiert wird, so gegen "Vorverurteilung" vorzugehen gewagt wird wie bei diesem grenzenlos abscheulichen Missbrauch. Um Frauenrechte ist es anscheinend übler bestellt denn je.

    • @BUBU:

      Bei den geschilderten Ereignissen um das vermeintliche Outing von vermeintlichen Tätern geht es ja nicht um eine "Empörung" über die Tat an sich, sondern um Hass und Hetze gegen konkrete Personen, von denen lediglich behauptet wird, sie hätten eine Tat begangen.



      Das geht einfach gar nicht.



      Ich nehme mal an wir sind beide keine Juristen und wir kennen beide nicht den genauen Ermittlungsstand - für mich jedenfalls trifft das zu.



      Insofern können wir beide die Entscheidung über eine erforderliche Untersuchungshaft doch gar nicht beurteilen.



      Wenn tatsächlich kein dringender Tatverdacht vorliegt, wen wollen Sie denn dann in Untersuchungshaft nehmen?



      Und wie bitte stellen Sie sich die Verlautbarung einer Empörung über die Tat vor, ohne dabei auch der betroffenen Frau zu nahe zu treten? So a la Bildzeitung mit Hintergrundbericht zu ihren Lebensumständen?



      Dass Vergewaltigung Scheiße ist, egal wann, wo und von wem begangen, ist doch wohl erstens Konsens und zweitens geltendes Recht.



      Wollen Sie das jeden Tag in jeder Zeitung auf der Titelseite gedruckt sehen?

  • New von vorgestern. Auf YT findet man schon seit einiger Zeit Bilder der Tatverdächtigen mit abgekürzten Namen.

  • "Das fordert zumindest eine Petition auf der Internetplattform change.org, die bereits von fast 10.000 Menschen unterstützt wird. In dem derzeit wichtigsten sozialen Netzwerk Instagram ging ein User noch weiter: Er veröffentlichte die Fotos und abgekürzten Namen von sieben angeblich Tatverdächtigen."

    Das geht garnicht ... kann man die Unterzeichner dieser Petition nicht ermitteln und wegen Hassrede drankriegen?

  • Krass, das die Plattform eine solche Petition überhaupt zulässt. Das ganze sollte ein Strafbestand werden. Hoffe, die Täter der Gruppenvergewaltigung werden ermittelt und bekommen eine harte Strafe...

  • Es sollte doch möglich sein, von den mutmasslichen Tätern DNA-Spuren zu nehmen und diese mit den Spermaspuren zu vergleichen...

  • Warum verwechseln wir menschen so oft Justiz mit Rache?

    • @tomás zerolo:

      Fragens doch einfach mal den feinen Herrn Klaus Hillenbrand. Gellewelle.



      Der ist der Sühnespezialist der taz!



      Dem sind Franz v. Liszt*1851 mit seiner modernen & geltenden Strafzwecklehre & ein Tucho fraglos unbekannt •

      unterm——- servíce —



      de.wikipedia.org/wiki/Franz_von_Liszt



      & Tucho =>



      www.textlog.de/tucholsky-merkblatt.html



      “… Jedes Verbrechen hat zwei Grundlagen: die biologische Veranlagung eines Menschen und das soziale Milieu, in dem er lebt. Wo die moralische Schuld anfängt, kannst du fast niemals beurteilen – niemand von uns kann das, es sei denn ein geübter Psychoanalytiker oder ein sehr weiser Beicht-Priester. Du bist nur Geschworener: strafe nicht – sondern schütze die Gesellschaft vor Rechtsbrechern.…

      Wenn du Geschworener bist, sieh nicht im Staatsanwalt eine über dir stehende Persönlichkeit. Es hat sich in der Praxis eingebürgert, dass die meisten Staatsanwälte ein Interesse daran haben, den Angeklagten ›hineinzulegen‹ – sie machen damit Karriere. Laß den Staatsanwalt reden. Und denk dir dein Teil.







      Vergewissere dich vorher, welche Folgen die Bejahung oder Verneinung der an euch gerichteten Fragen nach sich zieht.







      Hab Erbarmen. Das Leben ist schwer genug.







      Ignaz Wrobel



      Die Weltbühne, 06.08.1929, Nr. 32, S. 202.

      Soweit mal

    • @tomás zerolo:

      Weil Gerechtigkeit etwas objektives ist und die Rache subjektiv.

      So wird auch jede/r ein anderes Delikt als das „Schlimmste“ angeben, was man einem Menschen antun kann.