Linken-Abgeordneter Ferat Kocak: „Ich bin Aktivist im Parlament“
Der Antifaschist Ferat Kocak war Opfer eines rechten Brandanschlags. Nun sitzt er für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus.
taz: Herr Kocak, Sie haben sich gegen eine Koalition mit SPD und Grünen ausgesprochen; doch die Koalitionsgespräche laufen. Bereuen Sie schon, dass Sie sich ins Abgeordnetenhaus haben wählen lassen?
Ferat Kocak: Nein, im Gegenteil. Ich kann meine Position jetzt im Parlament vertreten. Ich will die Stimme der sozialen Bewegungen sein, ihnen Raum geben und meine Ressourcen für sie zur Verfügung stellen. Das heißt, dass ich mich jetzt nochmal mit DW Enteignen treffe, mit der Krankenhaus- und Klimabewegung und antirassistischen Initiativen, um mit ihnen über ihre Haltelinien für Koalitionsverhandlungen zu sprechen. Wenn wir uns als Partei verstehen, die für und mit den Bewegungen Politik macht, müssen wir diese kennen.
Ferat Kocak, 42, ist ist gebürtiger Kreuzberger und in Neukölln aufgewachsen. Seit seiner Jugend engagiert er sich vor allem in den Bereichen Antirassismus und Antifaschismus – und geriet so in den Fokus von Nazis, die 2018 einen Brandanschlag auf ihn verübten. Für die Linke engagiert er sich seit 2016. Bei der Berlinwahl gelang ihm über den Listenplatz 14 der Einzug ins Abgeordnetenhaus.
Was spricht gegen eine Regierungsbeteiligung?
Wir sind nur dritte Kraft, haben Prozentpunkte verloren und keinen Regierungsauftrag erhalten. Im Sondierungspapier erkenne ich vor allem die Handschrift von Franziska Giffey, wenig die der Linken, wenig radikale Politik. Eine Ampel hätte auch kein wesentlich anderes Papier hervorgebracht. Wenn das die Basis für Koalitionsverhandlungen ist, sollten wir keine Angst davor haben, in die Opposition zu gehen.
Was wäre dann besser?
Dann müssten wir uns mit unserer Kritik an SPD und Grünen nicht zurückhalten und könnten viel besser soziale Bewegungen für uns gewinnen. Ich will den Wähler*innen sagen: Wählt uns und wir kämpfen gemeinsam. Nicht: Wählt uns und wir regieren für euch. Auch bliebe die Kritik an der Regierung dann nicht Rechten und Konservativen überlassen.
Waren die vergangenen fünf Jahre der Linken in der Regierung also eine Schwächung für die sozialen Bewegungen und ihre Forderungen?
Nicht an allen Stellen. Aber schauen Sie auf die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex, den wir Betroffene von rechtem Terror und sehr viele antifaschistische Gruppen fordern. Die Linke hat zwei einstimmige Parteitagsbeschlüsse dazu, aber wir konnten ihn trotzdem nicht durchsetzen. Es ist sinnbildlich. Wir sagen, wir sind gegen Abschiebung – die SPD schiebt ab. Wir sind gegen Räumung linker Freiräume – die SPD setzt das durch. Und weil wir mit denen an der Regierung sind, war unsere Kritik auch nicht so laut. Dadurch verschließen wir uns die Türen nach links.
Wäre etwas davon anders gelaufen, wenn die Linke in der Opposition gewesen wäre?
Wir hätten als Oppositionspartei zumindest den Untersuchungsausschuss beantragt und viel mehr Druck auf SPD und Grüne ausüben können, dem zuzustimmen. Es wäre für sie dann schwierig gewesen, sich dem zu entziehen. Die Räumungen hätten wohl trotzdem stattgefunden, aber es wäre nicht auf uns zurückzuführen. Auch hätten wir denen, die dagegen gekämpft haben, eine viel lautere Stimme geben können.
Wie wollen Sie Rot-Grün-Rot noch verhindern?
Ich sage nicht, dass ich eine Regierungsbeteiligung partout ablehne. Wir müssen aber mehr von unseren Haltelinien durchsetzen: den Volksentscheid umsetzen. Das Tempelhofer Feld nicht bebauen. Stopp der S-Bahn Privatisierung. Keine Abschiebungen. Ein 365-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Ich weiß, dass zu einer Koalition auch Kompromisse dazugehören, aber mit einer Franziska Giffey wird das schwierig.
Sie kennen sie noch aus Neukölln.
Giffey kommt aus der Buschkowsky-Tradition; das sagt schon alles. Sie hat sich damals medial inszeniert, wie sie sich mithilfe des Sicherheitsdienstes von Michael Kuhr gegen Sperrmüll in Neukölln kümmert – anstatt um den rechten Terror. Hätte sie sich rechtzeitig darum gekümmert, hätte es den Anschlag auf mich vielleicht nicht gegeben. Giffey macht populistische Politik.
Verstehen Sie sich jetzt als Politiker oder weiterhin als Aktivist?
Mit dem Wort Politiker kann ich mich nicht identifizieren. Ich bin Aktivist im Parlament. Es ist wichtig, mir das immer wieder zu sagen, um den Bezug zur Straße aufrechtzuerhalten und einen Mind Change hin zur Anpassung an dieses System zu verhindern. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr Aktivist auf der Straße, im Prinzip seit meiner Geburt, weil meine Eltern in türkischen und kurdischen linken Gruppen aktiv waren und mich immer mitgenommen haben. Ich kenne es nicht anders, als dass wir auf der Straße gekämpft haben und die Politik das gemacht hat, was sie für richtig hält. Ich will nicht dasselbe machen, was ich die ganze Zeit erlebt habe.
Wird das einfach oder werden Kompromisse nötig sein?
Ich weiß es nicht. Ich bin sehr stur. Das sagt meine Mutter auch immer.
Fraktionsdisziplin?
Ich bin sehr undiszipliniert.
Ihre Partei weiß aber, wen sie sich da ins Parlament geholt hat?
Ich will die Partei aufbauen. Ich habe mich bereit erklärt, nur so viel Geld für mich zu behalten, wie es dem Tarif der Linkspartei entspricht, also nur so viel zu verdienen wie meine Mitarbeiter. Es geht mir darum, keine Hierarchie zwischen Mitarbeiter*innen und Mandat zu schaffen. Der Rest fließt in die Basisarbeit in Neukölln, um Strukturen aufzubauen. Ansonsten denke ich, dass unterschiedliche Meinungen das sind, was eine Linke ausmacht. Immer Einigkeit zu zeigen, ist nicht meine Devise. Es würde sicher hart für mich werden, wenn es auf meine Stimme ankommt, aber ich glaube, das wird aufgrund der Mehrheitsverhältnisse eher nicht passieren.
Wie bereiten Sie sich auf Ihre neue Aufgabe vor?
Ich muss verstehen, wie das ganze System funktioniert, was bürokratisch auf mich zukommt. Eigentlich hasse ich Bürokratie.
Und inhaltlich?
Ich lerne, wie Klimaschutz auf parlamentarischer Ebene funktioniert, denn in dieser Fachgruppe verhandle ich jetzt mit. Da lese ich mich ein und treffe mich auch mit Michael Efler, unserem bisherigen klimapolitischen Sprecher. Um die Klimakämpfe auf den Straßen aus dem Parlament heraus zu stärken, ist es sinnvoll, dass ich da jetzt mit einsteige.
Ich dachte, Sie werden sich um Innenpolitik, um Strategien gegen rechts kümmern?
In der Innenpolitik ist meine Meinung doch noch einmal anders als die der Partei. Aus Antira-Perspektive bin ich der Ansicht, dass wir schon längst über „Defund the police“ sprechen müssen; also weniger Geld für die Polizei und ein anderes Verständnis von Sicherheit statt über den Ausbau der Polizei, wie es unser Wahlprogramm fordert. Aber ich fürchte, daran würde jede Koalition scheitern. Natürlich werde ich auch im Bereich „Strategien gegen rechts“ meine Erfahrungen in die parlamentarische Arbeit der Linksfraktion einbringen.
Was sollte Ihre Partei in dem Bereich herausholen?
Ein ganz wichtiges Thema ist für mich Racial Profiling, denn das ist wie der Schlag eines ganzen Staates gegen einen einzelnen Menschen. Junge Menschen, die damit konfrontiert sind, finden kein Vertrauen mehr. Es muss Gesetze geben, die dieses Verhalten unter Strafe stellen – und wir brauchen eine Beweislastumkehr. Die Polizei soll beweisen müssen, dass sie nicht aus rassistischen Gründen kontrolliert hat.
Den Untersuchungsausschuss zu Neukölln braucht es auch noch?
Ja! Alle drei Parteien fordern das. Sogar Giffey hat es bei einer Podiumsdiskussion im Wahlkampf gesagt, also muss der jetzt kommen. Für mich ist wichtig, dass wir Experten dazuholen, von der Mobilien Beratung gegen Rechtsextremismus bis zur Opferberatung ReachOut, und mit ihnen diskutieren, wie wir das umsetzen, damit wir am Ende auch einen Output haben. Wir müssen in die Tiefe der Fehler der Sicherheitsbehörden einsteigen, die in den elf Jahren des rechten Terrors gemacht wurden. Ich will ein Verständnis dafür erlangen, warum es all die Jahre eine Aufklärungsrate von null Prozent gab. Ist der Verfassungsschutz da involviert? Gibt es V-Männer? Parallel dazu muss es einen Runden Tisch mit Anti-rechts-Initiativen geben, die den Ausschuss von außen beobachten und vielleicht so etwas wie ein Tribunal durchführen.
2018 wurde Ihr Auto von Nazis in Brand gesteckt, das Feuer griff auf Ihr Haus über. Wird jetzt mit einer größeren öffentlich Wahrnehmung als Parlamentarier die Gefahrenlage für Sie noch größer?
Ich bin mir sicher, dass ich in den letzten Jahren mit meinem antifaschistischen Engagement dafür gesorgt habe, dass die Nazis mich im Visier haben. Wenn sie einen Moment finden, wird bestimmt etwas passieren. Aber ich versuche, diese Momente zu minimieren.
Wissen Sie schon, wie Sie AfD-Abgeordneten im Parlament begegnen werden?
Ich bin schon zweien begegnet.
Und?
Ich bin nicht mit ihnen in den Fahrstuhl gestiegen. Ich habe sie nur angeguckt. Maximale Distanz. Wenn es aber drauf ankommt: Konfrontation geht auch klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Pistorius stellt neuen Wehrdienst vor
Der Bellizismus kommt auf leisen Sohlen
Abtreibungsrecht in den USA
7 von 10 stimmen „Pro-Choice“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala