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Landesparlament konstituiert sichJünger und vielfältiger

Das Abgeordnetenhaus tagt erstmals nach seiner Neuwahl am 26. September. Mehr Mitglieder denn je haben einen Migrationshintergrund.

Das neu gewählte Berliner Abgeordnetenhaus trifft sich erstmals am Donnerstag Foto: dpa

Berlin taz | Ein Mann Mitte 70 wird an diesem Morgen kurz nach 10 Uhr am Rednerpult stehen. Er wird fragen, ob jemand vor dem 30. Oktober 1947 geboren und damit älter als er ist. Und dann wird Kurt Wansner, Kreuzberger CDUler und Grünen-Lieblingsfeind, als so bestätigter Alterspräsident die erste Sitzung des am 26. September neu gewählten Abgeordnetenhauses eröffnen. Kleiner als bislang wird es sein, jünger und vielfältiger als jedes Berliner Parlament bisher. Und wie um das zu bestätigen, wird es später am Vormittag einen neuen dauerhaften Präsidenten bestimmen, der erst 44 ist und damit der Zweitjüngste jemals in diesem Amt.

Fünfeinhalb Wochen nach der Wahl sitzen, wenn alle kommen, 147 statt bisher 160 Frauen und Männer vor den Flaggen für Berlin, Deutschland und Europa an der Kopfseite des modern gestalteten Plenarsaals, der in den 90er Jahren in dem früheren preußischen Landtagsgebäude entstand. Nie gab es so viele Abgeordnete mit Migrationshintergrund, nie so viele junge, vor allem bei den Grünen. Die haben auch eine davon, die 37-jährige, in Teheran geborene Bahar Haghanipour, als Vizepräsidentin vorgeschlagen.

Nur noch vier Mitglieder seien über 65, stellte CDUler Wansner am Dienstag gegenüber der taz fest, immer weniger hätten zentrale Phasen der Berliner Geschichte wie er selbst miterlebt. Darum will er, der sonst in der parlamentarischen Fragestunde regelmäßig die rot-rot-grüne Koalition attackiert, am Donnerstagmorgen nicht wie sonst oft auf den Streit um die Rigaer Straße 94 sprechen kommen – „da würde man sich in der Rolle ja lächerlich machen“. Um Geschichte soll es gehen, um den Mauerbau, um den Volksaufstand von 1953, bei dem sich Wansner, damals fünfeinhalb, an Verwundete bei ihm im Hauseingang erinnert.

Noch-Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hat ihren Rückzug aus der Landespolitik angekündigt Foto: dpa

Nach Eröffnung, Rede und einzelnem Aufruf aller Abgeordneten wird der dauerhafte Vorsitzende gewählt und den Alterspräsidenten vorne auf dem Podium ablösen. Der dafür vorgesehene Dennis Buchner ist erst 44 Jahre alt – nur Willy Brandt war mit 41 jünger, als er 1955 in dieses Amt kam. Die SPD als stärkste Fraktion hat das Vorschlagsrecht und ihn dafür benannt, Dienstag stellte er sich in anderen Fraktionen vor.

Konstituierende Sitzungen

Nicht nur das Landesparlament tagt an diesem Donnerstag zum ersten Mal nach der Berlin-Wahl am 26. September, auch die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen kommen zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammen. Erst an diesem Tag endet die Mitgliedschaft der im September nicht wiedergewählten Volksvertreter. Alle Sitzungen werden durch das jeweils älteste Mitglied eröffnet. In Lichtenberg und Reinickendorf sind das AfD-Verordnete. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Wahl des Parlamentspräsidiums und der Bezirksverordnetenvorsteher oder -vorsteherinnen. (sta)

Zu seiner Nominierung hatte der Tagesspiegel eine Liste mit wenig schmeichelhaften Äußerungen Buchners in sozialen Netzwerken veröffentlicht und nahegelegt, da folge nun ein Rowdy auf den seriösen Parlamentspräsidenten Ralf Wieland, der mit 64 nicht mehr für das Abgeordnetenhaus kandidiert hatte. Auch aus der SPD war nicht nur Nettes zu hören. Wieland selbst sagte jüngst über Buchner, der habe bisher in der „Abteilung Attacke“ gearbeitet.

Langjährige Parlamentskollegen Buchners aus anderen Parteien zeichnen ein deutlich positiveres Bild. „Ich dachte: Von wem reden die da? Ich habe ihn nie so erlebt“, sagte die Grüne Nicole Ludwig der taz, die mit Buchner im Sportausschuss zusammensaß und die Arbeit mit ihm lobt. Nur in Richtung AfD, „da konnte er schon mal austeilen“. Der CDUler Tim-Christopher Zeelen sieht in ihm jemanden, „der Brücken bauen kann“, und spricht von „extrem guter Zusammenarbeit“. Zu angeblicher Rüpelhaftigkeit Buchners sagte Zeelen in dieser Woche der taz: „Das ist Quatsch.“ Dass nun ein Sportpolitiker Präsident wird, freue ihn besonders – „vielleicht kann er da noch ein paar besondere Akzente setzen“.

Neben dem Podium, auf dem an diesem Donnerstag erst Wansner und dann Buchner sitzt, werden auch die bisherigen Senatsmitglieder Platz nehmen, die geschäftsführend im Amt bleiben, bis eine neue Landesregierung steht. Die meisten von ihnen werden dem künftigen Senat nicht angehören, obwohl ihn nach jetzigem Stand dieselben Parteien stellen wie bisher. Bei den Grünen bleibt mutmaßlich nur Justizsenator Dirk Behrendt: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop kündigte am Mittwoch ihren Rückzug aus der Landespolitik an, Verkehrssenatorin Regine Günther hatte schon mitgeteilt, dass sie künftig nicht mehr als Senatorin zur Verfügung steht.

Bei der SPD verabschieden sich Regierungschef Michael Müller sowie Dilek Kalayci (Gesundheit) und Sandras Scheeres (Bildung). Während Müller als Bundestagsabgeordneter in der Politik bleibt, ist die Zukunft der bisherigen Senatorinnen offen. Weil es als zweifelhaft gilt, dass ihr Parteifreund Matthias Kollatz weiter das Finanzressort leitet, ist Andreas Geisel (Inneres) mutmaßlich das einzige von jetzt fünf SPD-Senatsmitgliedern, das auch künftig der Regierung angehört. Deutlich anders ist die Quote bei der Linkspartei, wo zwei von drei sicher bleiben dürften: Kultursenator Klaus Lederer genauso wie Sozialsenatorin Elke Breitenbach.

Für die frei werdenden Plätze bei der SPD sind zwei im Gespräch, die jüngst noch als Anwärterinnen für Buchners Posten galten. Dass weder Iris Spranger sich darum bewarb, die 2011 und 2016 vergeblich für den Parlamentsvorsitz kandierte, noch Ina Czyborra, wie Spranger Vize-Landeschefin der SPD, legt nahe, dass für beide noch Lukrativeres kommt.

Die künftigen Senatorinnen und Senatoren werden nach jetziger Planung am 21. Dezember in der Mitte des Plenarsaals vor Buchner als neuem Präsidenten stehen und in ihr Regierungsamt eingeschworen. Die dann ausscheidenden Müller und Pop waren 2016 die einzigen Senatsmitglieder, die den Eid mit einem „So wahr mir Gott helfe“ bekräftigten. Ein gottloser Senat droht Berlin dennoch nicht: Bettina Jarasch, als Grünen-Spitzenkandidatin designierte Senatorin, ist bekennende Katholikin.

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1 Kommentar

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Wird sie Pofalle bei der DB ablösen?