: Vier Todesfälle in zwei Jahren
Selbsthilfeorganisationen fordern eine Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt
Von Nadine Conti
21 Vereine und Selbsthilfeorganisationen von Migrant*innen haben am Dienstag in Hannover Maßnahmen gegen Polizeigewalt und Racial Profiling von der niedersächsischen Landesregierung gefordert. Anlass der gemeinsamen Stellungnahme war eine Anhörung vor der Kommission für Migration und Teilhabe des niedersächsischen Landtages. Der Flüchtlingsrat und zahlreiche andere Initiativen fordern, auf die negativen Erfahrungen vieler Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte zu reagieren.
Sie verweisen vor allem auf die vier Todesfälle allein in den letzten zwei Jahren: In der Folge von Polizeieinsätzen starben Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst sowie Kamal I. im Oktober 2021 wiederum im Landkreis Stade. Auch die alltäglichen Erfahrungen, die zahlreichen anlasslosen Kontrollen und die ständigen Enthüllungen über rechtsextreme Chatgruppen in den Sicherheitsapparaten schürten Angst und Misstrauen, heißt es in der Erklärung.
Die Initiativen fordern daher unter anderem eine unabhängige Beschwerdestelle außerhalb des Polizeiapparates mit eigenen Ermittlungsbefugnissen, ein explizites Verbot des Racial Profiling und eine wissenschaftlich fundierte Rassismus-Studie. Außerdem sollte das Thema in der Aus- und Weiterbildung verankert werden, mehr Transparenz und eine bessere Fehlerkultur geschaffen werden.
Frage nach psychosozialer Versorgung
Bei der Anhörung, die bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen war, sollten unter anderem die Betroffenenberatung Niedersachsen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und Dr. Fatoş Atali-Timmer von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zu Wort kommen.
In den ersten drei der genannten Todesfälle sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die beteiligten Polizeibeamten längst eingestellt worden. Im Fall Kamil I., der erst vor zehn Tagen starb, ermittelt die Staatsanwaltschaft Stade noch. Das ist allerdings genau die Staatsanwaltschaft, die heftige Kritik auf sich zog, weil sie die Ermittlungen im Fall des 19-jährigen Aman Alizada aus dem Jahr 2019 gleich zweimal hintereinander einstellte – von „glasklarer Notwehr“ war da die Rede, obwohl die Darstellung des Tathergangs auch andere Schlüsse zulässt.
In fast allen Fällen stellt sich zudem die Frage nach der psychosozialen und medizinischen Versorgung der Betroffenen. Sowohl bei Aman Alizada, bei Mamadou Alpha Diallo und erst recht bei Kamal I. gab es im Vorfeld zum Teil deutliche und wiederholte Hinweise auf psychische Probleme, auf die aber niemand reagierte. Eine Anklage wegen dieser Art von unterlassener Hilfeleistung gab es jedoch noch nie. Deutliche öffentliche Hinweise darauf, dass die Polizei beim Umgang mit psychisch Kranken einen Verbesserungsbedarf erkennt, fehlen ebenfalls.
Am Donnerstag soll außerdem vor dem Landtag gegen Mittelkürzungen im Bereich der Migrationsberatung protestiert werden.
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