piwik no script img

Demo für türkischen Journalisten„Angriff auf unser Leben im Exil“

Nach dem Überfall auf Erk Acarer versammeln sich 200 Menschen, um ihre Unterstützung zu zeigen. Viele sind wie er Exi­lan­t*in­nen aus der Türkei.

Erk Acarer am Brandenburger Tor in Berlin, 2018 Foto: Karsten Thielker

Berlin taz | Es sind an die 200 Menschen, die sich am Donnerstagabend zu einer kurzfristig organisierten Solidaritätskundgebung für Erk Acarer am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg versammeln. Der aus der Türkei stammende Journalist, der in Berlin vor der Verfolgung durch das Erdogan-Regime Schutz gesucht hatte, war am Mittwochabend an seinem Wohnhaus in Neukölln von drei Männern angegriffen und verletzt worden. Offenbar handelte es sich um eine brutale Drohung: „Du schreibst nicht mehr!“, soll einer der Angreifer gerufen haben. Acarer lebt seit 2017 in Deutschland, bis Juli 2020 arbeitete er für die taz.gazete.

„Zum Fürchten“ sei der Angriff auf Acarer, sagt eine Teilnehmerin der Demo am Donnerstagabend. Wie viele hier gehört sie zu der wachsenden Gruppe von Exi­lan­t*in­nen aus der Türkei, die vor dem Druck auf die dortige Zivilgesellschaft und die Meinungsfreiheit durch das AKP-Regime geflohen sind. „Erdogan-Faschismus“ nennt ihr Begleiter das.

Der Angriff auf Acarer sei „ein Angriff auf unser Leben im Exil“, sagt einer der Redner. Die Tat sei „eine Drohung gegen alle, die sich hier für freie Medien einsetzen“, ergänzt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen.

Mihr zählt auf, wie viele Medien Staatspräsident Erdogan dort in den vergangenen Jahren geschlossen hat (160), wie viele Jour­na­lis­t*in­nen im Gefängnis sitzen oder saßen (200), wie viele Angriffe auf Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen es gab (140 seit 2016). Die Menschen in der Türkei bräuchten die unabhängigen Informationen derjenigen, die sich im Exil für die Meinungsfreiheit einsetzten, betont er.

Pressefreiheit, das ist nicht nur unsere Freiheit als Journalisten

Deniz Yücel

„Pressefreiheit, das ist nicht nur unsere Freiheit als Journalisten“, sagt Deniz Yücel, ebenfalls Redner auf der Kundgebung. Der ehemalige taz-Journalist saß als Türkeikorrespondent der Welt selbst vom Februar 2017 bis Februar 2018 wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ in der Türkei in Haft.

„Es ist auch Ihr Grundrecht als Bürger, dass Sie hier verteidigen“, spricht er die Kund­ge­bungs­teil­neh­me­r*in­nen an: „Ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit.“ Auch wenn noch nicht klar sei, ob der Angriff auf Acarer organisiert war: Politisch verantwortlich sei das Regime in der Türkei, so Yücel.

Und, so fordert er am Ende seiner Rede noch: Der Platz, auf dem die Kundgebung stattfindet, zwischen Kottbusser Damm und Reichenberger Straße, solle endlich nach Celalettin Kesim benannt werden. Der aus der Türkei stammende Linke war dort im Januar 1980 von türkischen Faschisten ermordet worden, bisher erinnert eine Gedenktafel an die Tat.

„Schulter an Schulter gegen den Faschismus“

Am Ende der Kundgebung gegen 20 Uhr ziehen die Teilnehmer*innen, begleitet von einem überschaubaren Polizeiaufgebot, in Richtung Oranienplatz weiter. „Schulter an Schulter gegen den Faschismus“, lautet der Ruf des Demozugs. „Wir sind auch gegen den Erdogan-Faschismus“, sagen zwei junge Berliner türkischer Abstammung, die der Kundgebung am Rand zugehört haben. Ihre Namen wollen sie lieber nicht nennen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ca. 0,1% der türkischstämmigen EinwohnerInnen Berlins haben gegen den Terror aus Ankara protestiert.



    Woran liegt das? Fühlen sich Menschen in Deutschland unsicher, wenn sie gegenüber Erdogan eine kritische Meinung äußern? Haben die Faschisten hier die Kontrolle über kritische türkischstämmige BürgerInnen.

    Eine kurdische Demonstration in Bergisch Gladbach soll verboten werden, weil die Bundesregierung die Definition von Erdogan, wer Terrorist ist, komplett übernommen hat. Alles nur aus Gefälligkeit, weil der Despot die Drecksarbeit macht und Flucht nach Europa verhindert.

  • Marionetten-Terror?



    //



    Ein langer Arm nicht zur Umarmung//



    Mit Hieben jetzt sollte als Warnung//



    Wie früher schon in diesen Sachen//



    Opposition wohl mundtot machen.



    //



    Wer Schergen und auch Schläger schützt//



    Am Ende seinen Feinden nützt//



    Wenn deren Freunde reichen Klage//



    Ein bei Gericht, denn hier die Frage//



    //



    Aus dem Strafrecht wird sich stellen//



    Ob ein Staat in solchen Fällen//



    Zieht Fäden im Hintergrund//



    Das wäre ein dicker Hund.//



    //



    Zu denken allen hier voran//



    Ist an Schergen pro Erdoğan//



    Das Ankara ist wohl egal//



    Wie bisher schon bei jedem Mal.//



    //



    Es braucht daher in uns'rem Land//



    In Zukunft eine feste Hand//



    Die Schutzmacht der Demokratie//



    Das von allein passieret nie.//



    //



    Man kann aber im Gegenzug//



    Stornieren Reise und auch Flug//



    In eins von solch besagten Ländern//



    Im Kleinen wirksam etwas ändern.//



    //



    Ein Boykott wird ergo Problem//



    Dort irgendwann daher auch dem//



    Der herrscht gleich wie ein Autokrat//



    Ist weg der Devisen-Vorrat.//



    //



    Juli 2021, MR

  • Nur 200 Teilnehmer. Erschreckend und die Frage: Was ist den Türken Pressefreiheit wert? Oder haben sie so Muffe vor ihrem SOGENANNTEN Präsidenten?

  • 200 Teilnehmer bei irgendwie 200.000 Türken in Berlin. Man kann sich mal wieder nur wundern, bzw. eigentlich nicht mehr.